Familie und Pflege:Im Geflecht aus Liebe und Pflicht

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Ältere Frau mit Rollator auf matschiger Straße

Wer seine Angehörigen im Alter nicht allein lässt, profitiert unter Umständen auch selbst davon.

(Foto: dpa)

Wer kümmert sich im Alter um mich? Die Frage ist ebenso drängend wie heikel. Eltern und Kinder haben erstaunlich unterschiedliche Vorstellungen - und sprechen sie nicht aus. Doch richtig organisiert, können Angehörige die Fürsorge als Bereicherung empfinden.

Von Berit Uhlmann

Als die junge Frau den 15 Jahre älteren Mann heiratete, ahnte sie wohl nicht, was auf sie zukommen würde. Kaum waren die Kinder aus dem Gröbsten heraus, wurden erst seine Eltern, dann ihre Mutter, dann der Gatte selbst zum Pflegefall. Ein halbes Frauenleben verging, in dem sie Kleider schloss, deren Knöpfe arthritische Finger nicht mehr greifen konnten, Hände streichelte, als die Alten qualvoll um Atem rangen, und auch dann noch half, als Verwirrtheit keinen Dank mehr erwarten ließ. Nun sitzt sie allein in dem leeren Haus und fragt sich, wer für sie sorgen wird. Wer pflegt mich einmal? Das ist eine der schwierigsten Fragen des modernen Lebens. Und es ist eine, die in dieser Häufigkeit ohne Beispiel ist.

Im Tierreich scheint Altenpflege überhaupt nicht vorzukommen, sagt der Gießener Philosoph und Biologe Eckart Voland. In der Menschheitsgeschichte gibt es zwar schon sehr frühe Zeugnisse der Fürsorge. "Der Alte von La Chapelle aux Saint" war ein Neandertaler, dessen Gelenke verschlissen und dessen Zähne früh ausgefallen waren. Ohne Unterstützung aus seiner Gemeinschaft hätte er wohl kaum das damals stolze Alter von 40 Jahren erreicht, das Forscher ihm attestieren. Doch gleichzeitig finden sich durch die Geschichte hindurch immer wieder Berichte von krasser Vernachlässigung der Ältesten.

Dass die Betagten in der Vergangenheit immer mal wieder in den Genuss der Fürsorge gerieten, verdanken sie wahrscheinlich ihrem Wissen und ihrer Erfahrung. "Wenn in nomadisierenden Wildbeutergesellschaften vielleicht nur einmal pro Generation eine kritische Dürre erlebt wird, ist es natürlich vorteilhaft, auf das Wissen der Alten über mögliche Wasserspeicher zurückgreifen zu können", sagt Voland. Es scheint, als hätten in früheren Zeiten die Lebensumstände der Gesellschaft "ganz pragmatisch über den Stellenwert der Alten und über die Investition in ihr Wohlbefinden und Überleben" entschieden.

Allerdings dürfte sich die Frage der Pflege über lange Zeit nicht so drängend gestellt haben wie heute. Noch um 1700 wurden die Menschen durchschnittlich kaum 40 Jahre alt. Die heutigen 40-Jährigen stehen in der Blüte ihres Lebens, mehr noch: 85 Prozent von ihnen haben mindestens ein Elternteil. Die Wahrscheinlichkeit, dass in der Familie ein Pflegefall eintritt, ist hoch.

Wahrscheinlich ist auch, dass die Familie über diese Möglichkeit nicht spricht. Die Tabuisierung des letzten Lebensabschnittes ist noch immer weit verbreitet, das zeigen viele Umfragen. Ein prekärer Zustand, da Familien heute nicht mehr im Großverband zusammenleben und sich die Versorgung der alten Mitglieder flexibel teilen können. Meist übernimmt, wenn der eigene Ehepartner es nicht kann, ein Kind die Hauptpflege.

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