Extreme Schwangerschaftsübelkeit:Kates Leiden

Schwangerschaftsübelkeit: Herzogin Kate sagte Reise ab

Sie ist die prominenteste Betroffene: Herzogin Kate leidet an Hyperemesis gravidarum.

(Foto: dpa)

Pausenloses Erbrechen über Monate: Hyperemesis gravidarum kann eine Schwangerschaft zur Qual machen. Eine werdende Mutter schildert ihren Alltag mit der extremen Form der Schwangerschaftsübelkeit, unter der auch Herzogin Kate leidet.

Von Barbara Vorsamer

"Die Herzogin hat alle ihre Termine abgesagt und wird von Ärzten im Kensington Palace behandelt." Diese Worte begleiteten die Ankündigung des britischen Königshauses im Jahr 2014, dass Prinz William und Herzogin Kate ihr zweites Kind erwarten - und viele Beobachter machten sich lustig: Typisch royaler Hang zur Übertreibung, wegen ein bisschen Übelkeit mehrere Ärzte einfliegen zu lassen, oder?

Doch in der Pressemitteilung steht auch die Diagnose Hyperemesis gravidarum. Sie ist die extreme Ausprägung der Schwangerschaftsübelkeit und geht weit über ein flaues Gefühl im Magen hinaus.

"Ich lag nur noch auf dem Fußboden und habe geheult. Mir ging es so schlecht, dass meine Mutter aus Berlin angereist kam, weil sie Angst hatte, dass ich mir etwas antue", erzählt Katrin F. aus München von ihrer ersten Schwangerschaft. Das war 2009, das Kind war ein Wunschkind.

Von Anfang an musste sich Katrin übergeben - bis zu 30 Mal am Tag. Mitunter blieb nicht mal mehr ein Löffelchen Wasser im Magen. Und wenn nichts im Magen war, spuckte sie Blut und Galle. Es gab Stunden, in denen sich Katrin nichts sehnlicher wünschte als eine Fehlgeburt, oder in denen sie an eine Abtreibung dachte.

"Am schlimmsten war damals, dass mir keiner sagte, was es war. Oder dass es überhaupt was war", sagt Katrin, die derzeit wieder im achten Monat schwanger ist. "Meine Frauenärztin fand alles sehr interessant und gab mir Globuli."

"Ich fühlte mich gedemütigt"

Auf der Suche nach einem möglichen Magenproblem suchte Katrin noch zwei Internisten auf. Der erste untersuchte sie nicht mal, sondern erklärte lediglich, dass Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft normal seien. Die zweite Medizinerin forschte nach psychosomatischen Ursachen: Ob sie das Kind ablehne? Es Konflikte in der Partnerschaft gäbe? Angst vor den Geburtsschmerzen? "Ich habe mich noch nie so gedemütigt gefühlt", sagt Katrin. Natürlich sei es ihr psychisch extrem schlecht gegangen. Doch das sei eine Folge der Symptome gewesen, nicht deren Ursache. Sie hörte auf, zu Ärzten zu gehen. "Bevor mir jetzt noch fünf Ärzte sagen, dass ich spinne, spinne ich lieber alleine zuhause."

Die fehlende Unterstützung für Betroffene wie Katrin mag auch damit zusammenhängen, dass das Leiden selten ist. Laut einem Aufsatz des Deutschen Ärzteblatts sind 0,5 bis 2 Prozent aller Schwangeren weltweit betroffen. "Die Grenzen zur normalen Schwangerschaftsübelkeit, von der mehr als die Hälfte aller werdenden Mütter betroffen sind, sind allerdings fließend", sagt Ioannis Mylonas, Leiter der Infektiologie an der Frauenklinik der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und Erstautor des Fachaufsatzes. Mylonas und Kollegen nennen als diagnostische Kriterien der Hyperemesis gravidarum mehr als fünfmaliges Erbrechen pro Tag und einen Gewichstverlust von mindestens fünf Prozent.

Hast du es schon mal mit Ingwer probiert?

Über die Ursachen ist wenig Belastbares bekannt. Dennoch glaubt zum Leidwesen der geplagten Patientinnen jede und jeder mitreden zu können. "Den Satz ' Hast du es schon mal mit Ingwer probiert?' kann ich nicht mehr hören", sagt Katrin.

Klassische Tipps gegen Schwangerschaftsübelkeit, wie schon vor dem Aufstehen eine Kleinigkeit zu essen, sich besonders kohlehydratreich zu ernähren und Kräutertees mit Ingwer zu trinken, halfen ihr genauso wenig wie pflanzliche Mittel, Homöopathie, Akupunktur. Sie kotzte noch am Tag der Entbindung.

Medikamente trotz Schwangerschaft

Gynäkologe Mylonas rät Betroffenen, sich einen Frauenarzt zu suchen, der sich mit Hyperemesis gravidarum auskennt. Denn das starke Erbrechen kann zu Austrockung und Stoffwechselentgleisungen sowie zu Wachstumsstörungen des Ungeborenen führen. "Bei einer derartigen Stoffwechselentgleisung kann ein Arzt auch Medikamente verschreiben, die nicht offiziell für Schwangere zugelassen sind", sagt der Experte. Arzneimittel gegen Übelkeit, Vitamine und Beruhigungsmittel können bei schweren Symptomen probiert werden. "Die Datenbank Embryotox des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie gibt Ärzten und Patientinnen Auskunft darüber, welche Erfahrungen mit einem Wirkstoff in Schwangerschaft und Stillzeit gemacht wurden", erläutert Mylonas. Allerdings sollten solche Medikamente nie ohne Rücksprache mit einem Arzt eingenommen werden. Sind die Beschwerden extrem stark, werden die Patientinnen stationär behandelt. Sie bekommen dann Flüssigkeits- und Elektrolyt-Infusionen. Auch psychologische Unterstützung kann hilfreich sein.

Denn die Beschwerden können auch langfristige Folgen haben: Der Helpher Stiftung zufolge, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, über Hyperemesis aufzuklären, entwickelt jede fünfte Betroffene ein posttraumatisches Belastungssyndrom. Für mehr als ein Drittel kommt ein zweites Kind keinesfalls in Frage, mindestens zehn Prozent beenden sogar die bestehende Schwangerschaft.

Katrin erwartet derzeit ihr zweites Kind und es geht ihr besser als in ihrer ersten Schwangerschaft, obwohl Hyperemesis sich bei Folgeschwangerschaften meistens verstärkt. Doch diesmal weiß sie immerhin, was mit ihr los ist. Sie hat viel recherchiert, sich ganz anders auf diese Schwangerschaft vorbereitet und ist Mitglied in einer Selbsthilfe-Facebook-Gruppe für Frauen mit Hyperemesis. "Das hilft total. Zum einen, weil ich mich dann nicht so alleine fühle. Zum anderen, weil diese Frauen nicht mit sinnlosen Tipps kommen".

Mit Hilfe von Medikamenten reduzierte sich bei ihr das Spucken auf einige Male pro Tag. Die 31-Jährige zählt trotzdem die Tage und sagt: "Nach der Geburt lasse ich mich sterilisieren. Schwanger werden will ich nie wieder."

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