Erste-Hilfe-App bei Vergiftungen:Wenn das Baby die Pille schluckt

Das Kind lutscht ausgiebig am Filzstift oder schiebt sich Omas Diabetesmittel in den Mund. Was ist harmlos, was gefährlich? Bei der Unterscheidung hilft eine neue App des Verbraucherministeriums. Ein Test.

Von Berit Uhlmann

Große Neugierde kann für Kinder fatal sein. Wenn sie die eindrucksvolle Blüte der Engelstrompete kosten, wenn sie probieren, was die bunte Flasche im Badezimmer beinhaltet oder den Arzneischrank durchstöbern, drohen schwerwiegende Vergiftungen. Was ist zu tun? Erbrechen auslösen? Notarzt rufen? Und wie lautet die Nummer des Giftnotrufs?

Eine neue App des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des Bundesverbraucherschutzministeriums soll Eltern und Betreuern die Erste Hilfe in solchen Fällen erleichtern. Ressortchefin Ise Aigner führte die Handyanwendung vor, die von Abbeizer bis Zuckertabletten, also Diabetesmedikamenten, all das auflistet, was Kleinkinder gerne verschlucken - und Anweisungen gibt, was in jedem dieser Fälle zu tun ist.

Brauchen nun alle Eltern diese App? Das dürfte von der Situation abhängen. Findet eine Mutter ihr bewusstloses Kind neben der Flasche mit Codein-haltigen Hustentropfen, braucht sie das Smartphone nicht zum Herumscrollen durch die langen Listen, sondern zum telefonieren. Sie muss den Notruf wählen, das Kind in die stabile Seitenlage bringen und seine Lebenszeichen überwachen.

Schädliche Hausmittel

Doch solche dramatischen Fälle sind glücklicherweise selten. In den meisten Fällen, etwa beim Verschlucken von Reinigungsmitteln, sollten Eltern die Giftnotrufzentrale anrufen. Dass die App dafür einen großen Button bietet, ist sinnvoll, denn in Deutschland gibt es keinen zentrale Giftnotruf, sondern neun verschiedene regionale Informationszentren, deren Nummern weitgehend unbekannt sind.

Neue App 'Vergiftungsunfälle bei Kindern'

Einfach zu bedienen: die App "Vergiftungsunfälle bei Kindern".

(Foto: dpa)

Zudem wird den Eltern in fast allen Fällen geraten, den Kindern Wasser, Saft oder Tee zu trinken zu geben, um das Gift zu verdünnen. In einigen Fällen allerdings gibt das smarte Programm Anleitungen, die in ihrer Kürze nervöse Eltern eher überfordern können. So heißt bei einer möglichen Vergiftung durch WC-Reiniger: "Bei nur tensidhaltigen Produkten: Gabe von ca. 1 Teel. Entschäumer (Entblähungstropfen z.B. mit Dimeticon)". Hat das Kind einen scharfkantigen Gegenstand verschluckt, solle "ein aufgefasertes Papiertaschentuch in Apfelmus" zu essen gegeben werden.

Hilfreich ist die App dagegen in all den Situationen, die nicht so gefährlich sind, wie sie auf den ersten Blick wirken. Wer sieht, wie sein Kleinkind an der Flasche mit der Bodylotion nippt, hingebungsvoll am Filzstift lutscht oder entdeckt, dass es eine Monatspackung der Anti-Baby-Pille geleert hat, ist verständlicherweise beunruhigt. Doch diese Vorkommnisse bleiben in aller Regel folgenlos. Die App kann Eltern beruhigen und sie davon abhalten ihren Sprösslingen in Panik dubiose Hausmittelchen aufzunötigen.

Die sind sowieso fast nie zu gebrauchen. Milch etwa kann dazu beitragen, dass das Gift noch schneller in den Organismus aufgenommen wird. Auch zum Auslösen von Erbrechen raten Experten zunächst nicht. Abgesehen vom Stress, unter den das Kind gesetzt wird, drohen weitere Risiken: Ätzende Flüssigkeiten passieren die Speiseröhre erneut und können sie weiter schädigen. Reinigungsmittel können beim Erbrechen schäumen und kleine Tröpfchen in die Atemwege gelangen.

Neu sind die Ratschläge nicht. Sie basieren auf einem Ratgeber der bereits im Internet veröffentlicht wurde. Die App macht sie nur auf neue Weise verfügbar. Sie ist einfach zu bedienen und wurde für Smartphones mit dem Betriebssystem Android und iOS entwickelt. Unter der Bezeichnung "Vergiftungsunfälle bei Kindern" kann das Programm ab sofort kostenlos in den jeweiligen App-Stores heruntergeladen werden.

Weitere Informationen, wie Sie in Notfällen richtig reagieren, erhalten Sie in unserem Ratgeber Erste Hilfe.

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