Ernährung:Zucker ohne Grenzen

Teileröffnung des renovierten Hauptbahnhof-Zwischengeschosses in München, 2014

Zucker und Fett an jeder Ecke

(Foto: Florian Peljak)

Angeblich will die Bundesregierung mit einer neuen Strategie gegen den übermäßigen Konsum von Zucker, Fett und Salz vorgehen. Doch ihre Waffe bleibt ein Plastikschwert.

Kommentar von Astrid Viciano

Spätestens jetzt geht das traurige Spektakel wieder los. Männer, deren Plauze über die Badehose hängt, ja sogar Kinder, die massige Körper ins Freibad wuchten. Gleichgültig, allenfalls mitleidig nehmen andere Schwimmbadbesucher übergewichtige Zeitgenossen zur Kenntnis. Fällt es doch leicht, mollige Erwachsene als willensschwach, Eltern dicker Kinder als verantwortungslos abzustempeln. Selbst schuld, hättet ihr doch besser auf eure Ernährung und die eurer Lieben aufgepasst.

Da tröstet es ein wenig, dass pünktlich zur Freibadsaison im Juli die Nationale Strategie für Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten veröffentlicht werden soll. Sie zeugt, zumindest theoretisch, von der Einsicht, dass wir in einer fast gesundheitsverachtenden Umwelt leben. Allein in München findet sich an fast jeder S-Bahn-Station ein Automat oder ein Kiosk, der Fettiges oder Süßes billig im Angebot hat. Oder eben der Discounter , in dem sich von der Industrie vorverarbeitete Lebensmittel in Form von Fertigprodukten in den Verkaufsregalen türmen. Wir leben also in einer Umwelt, in der es großer Einsicht bedarf, um den schmackhaften Verlockungen zu widerstehen. Nicht ohne Grund hat Deutschland unter seiner G-20-Präsidentschaft das Thema globale Gesundheit auf die Agenda gesetzt, besonders auch Folge-Erkrankungen von Übergewicht wie Diabetes.

Die vermeintliche Waffe im Kampf gegen Übergewicht wird zum Plastikschwert

Umso mehr verwundert es, wie unentschlossen die Bundesregierung das Problem in ihrer nationalen Strategie angeht. Schon jetzt ist klar: Es wird sich in Deutschland kaum etwas ändern. Ein wesentlicher Punkt in der Strategie nämlich macht die vermeintliche Waffe im Kampf gegen Übergewicht zum Plastikschwert. Statt die Lebensmittelunternehmen gesetzlich zu einer Reduktion von Salz, Fett und Zucker in ihren Lebensmitteln zu verpflichten, sollen die sich in einer "freiwilligen Selbstverpflichtung" dazu bekennen. Nicht einmal klare Grenzwerte seien in dem Entwurf formuliert, kritisiert die Deutsche Diabetes-Gesellschaft in einer aktuellen Stellungnahme. Eine zupackende Prävention sieht anders aus.

Was eine freiwillige Selbstverpflichtung bringt, hat die industriekritische Organisation Foodwatch vor zwei Jahren am Kindermarketing untersucht. Nur noch ausgewogene Lebensmittel sollten den Kleinen angepriesen werden, so der Vorsatz. Von wegen, konstatierte Foodwatch, Hersteller bewerben in Deutschland weiterhin fast nur ungesunde Produkte an Kinder. Wobei es durchaus lobenswerte Anstrengungen von Firmen gibt, gesündere Lebensmittel zu produzieren. Doch fehlt die Zeit, auf einen Gesinnungswandel zu warten. Schon heute ist in Deutschland fast jedes sechste Kind zu dick.

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