Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Zoff um Schokomilch an Schulen

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Von Kathrin Zinkant

Wer wüsste das nicht mehr, wie das damals war, als Kind. Es wurde kalt im Herbst, man war den ganzen Tag draußen im Laub unterwegs. Mit das Größte, was dann zu Hause warten konnte, war ein Becher heißer Kakao. Süß, schokoladig, am besten mit Schlagsahne. Es war die schönste Form von Milch, die man sich als Kind vorstellen konnte.

Das ist auch heute noch so, und dennoch gerät der gute alte Kakao in Verruf. Wie die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch in einem ausführlichen Bericht darlegt, lockt der wohltuende Trunk nicht nur wohlmeinende Akteure auf den Plan. Milchindustrie, Politiker und fragwürdige Forscher setzen demnach alles daran, mit Zucker gesüßte Kakaoprodukte in Schulen zu bringen, und zwar dank öffentlicher Gelder und EU-Subventionen im Rahmen des Schulmilchprogramms. Offenbar mit Erfolg: Neun von zehn Schulmilchkindern wählen die Option Kakao.

Dass sie das aus freien Stücken täten, ist laut dem Bericht kaum anzunehmen. Die milchverarbeitende Industrie ist Foodwatch zufolge stark in die Aufklärung von Schülern und Eltern eingebunden und vermittle dabei ein verzerrtes Bild, in dem Kakao teils nicht nur als Milchprodukt deklariert wird, sondern als durstlöschendes Getränk.

Unzugängliche oder methodisch absurde Studien suggerieren zudem, dass gesüßter Kakao die Intelligenz fördere und für die Zähne gar besser sei als Wasser. Vieles davon sind bekannte Behauptungen und zweifellos mehr als fragwürdig.

Der Kern der Foodwatch-Kritik bezieht sich jedoch auf den Umstand, dass die EU über das Schulprogramm für Ernährung ein Lebensmittel subventioniert, das mit jedem Päckchen Kakao eine "Extraportion" von sieben Stück Würfelzucker in eine Altersgruppe pumpt, die zunehmend unter Übergewicht leidet. Ist Kakao also des Teufels für Kinder? Ganz so schlimm, wie es Foodwatch darstellt, ist es nicht. Zumindest dann nicht, wenn man die Funktion von Kakao richtig versteht.

"Milch ist kein Durstlöscher und damit im eigentlichen Sinne auch kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel", sagt Mathilde Kersting, die das Forschungsdepartment für Kinderernährung an der Uniklinik Bochum leitet. Gegen den Durst sollten Kinder ausschließlich Wasser trinken. So stark gesüßt, wie Foodwatch behauptet, seien die fertigen Kakaos in den Schulen auch nicht.

In der Schokoschulmilch des besonders heftig kritisierten Herstellers Campina stecken pro 250-Milliliter-Päckchen 10,5 Gramm zugesetzter Zucker. Das sind dreieinhalb Stück Würfelzucker. Eine Extraportion ist auch das, aber eine weniger erschreckende. Der Rest ist natürlicher Milchzucker - und der wird nicht mitgezählt, wenn es um Grenzwerte für die Zuckeraufnahme geht.

Nur jede vierte Schule, die teilnehmen könnte, wählt die Option Schulmilch

Fraglich ist zudem, wie gut das Interessengeflecht von Politik und Milchwirtschaft tatsächlich wirkt. Durchschlagskraft hat das Schulmilchprogramm, das in diesem Jahr in einem umfassenderen Programm der EU aufgegangen ist, bislang nicht entfaltet. Nur jede vierte Schule, die bundesweit teilnehmen könnte, macht von der Option Schulmilch Gebrauch. Und an diesen Schulen trinkt auch nur ein Bruchteil der Schülerinnen und Schüler tatsächlich die geförderte Milch.

Insgesamt zählt das Bundesministerium für Ernährung an den Schulen in Deutschland zwar gut eine halbe Million Schulmilchtrinker. Sie machen jedoch an den Grundschulen nur ein Sechstel, auf alle Schulen bezogen nur ein Zwanzigstel der Schülerschaft aus.

Experten bezweifeln zudem, dass der Kalziumbedarf aller Kinder unbedingt durch subventionierte Milch gefördert werden müsste. "Etwa die Hälfte der Kinder im Schulalter in Deutschland konsumiert bereits ausreichend Milch und Milchprodukte", teilt die Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kinder- und Jugendalter (AGA) mit.

Ein Kakaoverbot geht aber selbst Zucker-Gegnern zu weit

Zwar spricht sich die AGA grundsätzlich für eine Verpflegung von Schulkindern mit Milchprodukten aus, doch sollte sie vor allem Kindern zuteil werden, die zu Hause kaum Milch- oder Milchprodukte angeboten bekommen. "Die Frage ist, von wie vielen Kindern wir hier reden, insbesondere im Vergleich zu Kindern, die zuckerhaltige Limonaden konsumieren", sagt Kersting.

Kakaogetränke zu verteufeln, geht selbst Verfechtern einer zuckerarmen Ernährung deshalb zu weit. "Das wissenschaftlich fundierte Konzept der optimierten Mischkost für Kinder schließt auch leicht gesüßten Kakao und kleine Mengen anderer zuckerhaltiger Produkte mit ein", sagt Ernährungsforscherin Kersting. Kinder würden ungesüßte Milch eben oft nicht akzeptieren.

Sie schlägt daher vor, den Kakao nicht plötzlich aus dem Schulmilchprogramm zu verbannen, sondern den Zuckergehalt in kleinen Schritten zu reduzieren, so weit, wie dies von den Kindern noch angenommen werde. Dafür, dass die Kinder überhaupt ein Frühstück, und möglichst auch ein gesundes, bekommen, seien letztlich die Eltern verantwortlich. "Die Schule kann nicht alles richten, was in der Ernährung zu Hause schief läuft."

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SZ vom 12.10.2018
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