Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Her mit dem Salzstreuer

Forscher haben gerade gezeigt, dass Salz doch nicht so gefährlich ist. Gegen alte Mythen werden sie damit nicht ankommen. Die Ernährungswissenschaft schürt schon viel zu lange die Salzpanik.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Wenn die Menschen der Ernährungsforschung eines zu verdanken haben, dann ist es der quälende, in den meisten Fällen völlig unsinnige und oft sogar kontraproduktive Verzicht auf guten Geschmack. Zucker, Fett, praktisch alles, was Nahrungsmittel besonders appetitlich macht, ist in Studien dieses Wissenschaftszweiges schon einmal als ungesund, wenn nicht gar lebensgefährdend entlarvt worden. Zwar immer nur für begrenzte Zeit, weil sich doch irgendwann zeigte, dass zum Beispiel Eier nicht herzkrank machen und vollfette Joghurts nicht dick. Aber lang genug, damit das Gebot der Askese zu schädlichen Ernährungstipps gerinnen konnte. Und die bekommt man leider nicht so schnell aus der Welt.

Asiatische Frauen essen besonders viel Salz. Sie werden aber auch am ältesten

Sehr eindrücklich zeigt sich das gerade wieder am Fall Natriumchlorid, besser bekannt als Kochsalz. Eine neue, große und gut gemachte Studie im Fachblatt Lancet zeigt, dass Salz schützend für Herz und Gefäße sein kann. Es ist kein sehr großer Effekt. Das muss man betonen, weil die grundsätzlich winzigen Wirkungen von Nahrungsmitteln auf gesundheitliche Merkmale fast genauso grundsätzlich überinterpretiert und zu Mythen aufgepumpt werden. Von allen Lebensstilfaktoren hat die Ernährung die mit Abstand geringsten Folgen für die Gesundheit. Aber dennoch lässt die neue Studie zumindest den Schluss zu, dass man die Salzstreuer daheim wieder auf den Tisch zurückstellen könnte.

Es wird nur nicht passieren. Seit Forscher nämlich gezeigt haben, dass Menschen, die viel Salz essen, einen höheren Blutdruck haben, hat sich selbst bei Medizinern die unverrückbare Ansicht durchgesetzt, dass Salz schlecht fürs Herz sei und Schlaganfälle befördere. Sogar die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die radikale Beschränkung auf weniger als fünf Gramm Salz pro Tag. Zwar gibt es bis heute keinen Mechanismus, der aus der vagen Assoziation zwischen Natriumchlorid und Blutdruck einen eindeutigen ursächlichen Zusammenhang gemacht hätte. Es ist zudem bekannt, dass in manchen Bevölkerungen mit extrem salzhaltiger Nahrung keinesfalls besonders früh gestorben würde, im Gegenteil. In Hongkong essen die Frauen im Mittel fast neun Gramm Salz täglich, dennoch ist die Lebenserwartung der asiatischen Frauen eine der höchsten weltweit.

Doch gegen ihre hausgemachten Mythen kommt die Forschung selbst nicht mehr an. Als vor zwei Jahren schon einmal eine Studie nahelegte, dass die Salzpanik in den Industrieländern unangebracht ist, wurde die zugehörige Forschung als "bad science" abgetan. Den Menschen wird daher wohl weiterhin das Salz aus der Suppe genommen. Solange vermutlich, bis die Ernährungsforschung zur Vernunft kommt.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2018/beu
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