Ernährung:Her mit dem Salat

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Lange warnten Fachleute vor zu viel Nitrat im Wintergemüse - doch das war offenbar falsch. Es ist sogar gut für die Gesundheit, heißt es nun.

Christina Berndt

Womit haben Ernährungsberater die Menschheit nicht schon sinnloserweise tyrannisiert: Literweise Wasser sollten wir täglich trinken, weil wir angeblich nur so genügend Flüssigkeit aufnähmen, während Kaffee und Tee nichts zählten. Das erwies sich als ebensolcher Unsinn wie die Empfehlung, am Tag möglichst viele kleine Portionen zu essen; längst hat sich inzwischen die Überzeugung durchgesetzt, dass es dem Körper besser ergeht, wenn er wenige große Mahlzeiten einnimmt und den Blutzuckerspiegel zwischendrin wieder absinken lässt.

Wir haben im Winter jahrzehntelang unnötigerweise auf Salat, Spinat und zahlreiche andere Gemüse verzichtet. (Foto: ddp)

Jahrzehntelang haben wir auch unseren Säuglingen die bunte Welt des Geschmacks vorenthalten, weil sie der Verzicht auf Fisch, Milch und Nüsse im ersten Lebensjahr angeblich vor Allergien schütze. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Und nun zeigt sich auch noch: Wir haben im Winter jahrzehntelang unnötigerweise auf Salat, Spinat und zahlreiche andere Gemüse verzichtet.

Vor allem in der dunklen Jahreszeit enthielten viele Gemüse zu viel Nitrat, hieß es lange Zeit. Noch vor kurzem schrieb das Bundesinstitut für Risikobewertung: "Wegen der gesundheitlichen Bedenken sollte die Nitratzufuhr so weit wie möglich reduziert werden."

Doch nun nehmen Wissenschaftler Nitrat aus der Schusslinie. Es sei längst nicht so gefährlich wie befürchtet, sagen sie, und habe sogar zahlreiche gesundheitsfördernde Wirkungen. Schon länger wird diskutiert, dass Nitrat den Blutdruck senken und die Verdauung ankurbeln kann. Nun zeigen Wissenschaftler vom Karolinska-Institut in Stockholm zudem: Popeye hatte recht, denn Nitrat kann offenbar sogar die Muskelkraft stärken.

Nitrat gelangt zum Teil über Kunstdünger auf die Felder. Pflanzen nehmen aber auch natürlicherweise Stickstoff aus dem Boden auf und speichern es als Nitrat. Nach und nach nutzen sie das Salz dann als Stickstoffquelle für den Aufbau von Proteinen - vor allem dann, wenn die Sonne scheint. Im Dunklen laufen diese Prozesse dagegen nur langsam ab. Die Folge ist, dass Wintergemüse meist besonders reich an Nitrat bleiben.

Nitrat selbst ist vollkommen unbedenklich. Schon im Mund aber kann es sich in Nitrit umwandeln, aus dem im Magen Nitrosamine werden. Vor denen haben die Ernährungsexperten am meisten Angst. Denn in Tierversuchen haben sich Nitrosamine als krebserregend erwiesen. Dass der Verzehr nitratreichen Gemüses wie Rucola, Radicchio oder Rote Bete das Krebsrisiko tatsächlich erhöht, konnten Studien jedoch nie nachweisen. Zugleich aber führt Nitrit im Körper zur Bildung von Stickstoffmonoxid. Dieses Gas gilt als einer der potentesten Blutverdünner; seinen Vorläufer Nitroglycerin geben Ärzte bei Angina pectoris.

Es wäre also logisch, wenn Nitrat auch die Durchblutung des Gehirns verbessern könnte, dachten sich Gary Miller und Daniel Kim-Shapiro von der Wake Forest University in North-Carolina. Rote Bete, Fenchel und Sellerie wären dann wegen der blutdrucksenkenden Wirkung nicht nur eine Naturarznei gegen Herz-Kreislauf-Leiden, sondern womöglich auch gegen Demenzerkrankungen.

Die beiden machten einen Versuch mit 14 über 70-jährigen Testpersonen. Die Hälfte von ihnen trank morgens einen halben Liter Rote-Bete-Saft und aß viel Spinat und Salat. Die übrigen Probanden ernährten sich nitratarm. Schon am folgenden Tag zeigte sich im Magnetresonanztomographen, dass das Gehirn der nitratreichen Esser besser durchblutet war ( Nitric Oxide, Bd.24, S.34, 2011). Dass diese Testpersonen nicht von Natur aus über eine bessere Sauerstoffversorgung verfügten, zeigten die Forscher im nächsten Experiment: Da nämlich tauschten sie die Diäten der beiden Gruppen und fanden wieder nach der Nitratkur eine bessere Hirndurchblutung.

Daniel Kim-Shapiro hält es für plausibel, dass nitratreiches Gemüse - lebenslang genossen - dem geistigen Abbau vorbeugt. "Es gibt Bereiche im Gehirn, die werden im Alter nur schlecht durchblutet", sagt er. "Hier wird ein Zusammenhang mit Demenz und Gedächtnisverlust angenommen."

Offenbar hat Nitrat darüber hinaus Vorzüge, die bislang nur der Comicliteratur zu entnehmen waren: Es kann nach Art von Popeye die Muskelkraft stärken, wenn man dem Team um Eddie Weitzberg vom Karolinska-Institut glaubt. Die Forscher haben 14 Testpersonen aufs Fahrrad gesetzt. Sieben von ihnen hatten zuvor drei Tage lang einen Saft getrunken, der etwa so viel Nitrat enthielt wie eine große Portion Spinat.

Tatsächlich traten diese sieben stärker in die Pedale ( Cell Metabolism, Bd.13, S.149, 2011). Offenbar waren ihre Muskeln leistungsfähiger, wie Gewebeproben zeigten, die die Forscher ihnen aus dem Oberschenkel schnitten. Demnach arbeiteten die Mitochondrien, die Energielieferanten der Zellen, mit Nitrat effizienter. Die Entdeckung zeige einmal mehr, dass Nitrate ihren schlechten Ruf nicht verdient haben, so Weitzberg.

Die Angst vor Nitrat müsse endlich perdu sein, meint auch die Präventionsforscherin Eva Frei vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Selbst die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kommt in ihrer neuesten Stellungnahme zu dem Schluss, es sei "unwahrscheinlich, dass Nitrat aus Gemüse zu merklichen Gesundheitsrisiken führt. Dagegen überwiegen die nützlichen Effekte."

Ursprung der Nitrat-Angst seien die "blauen Babys" gewesen, sagt Frei. Bei Säuglingen besteht tatsächlich die Gefahr, dass sie innerlich ersticken, wenn sie zu viel Nitrat aufnehmen. Dieses wandelt dann den Blutfarbstoff Hämoglobin in eine Variante um, die keinen Sauerstoff mehr transportieren kann. Deshalb eignet sich nur nitratarmes Wasser zur Säuglingsernährung, und deshalb gibt es Nitratgrenzwerte für Trinkwasser.

"Im Sinne der Kinder sollte an diesen auch festgehalten werden", sagt Eva Frei. Aber Salat und Kohlgemüse zu meiden, scheint unnötig zu sein, wenn man nicht gerade an einer chronischen Entzündung der Speiseröhre oder einer Lebererkrankung leidet. "Die Gefahr wurde jahrelang zu hoch gehängt."

So zeigt sich wieder einmal: Ernährungswissenschaftler sind eine arme Spezies. Sie können kaum verlässliche Empfehlungen aussprechen, weil sich die Auswirkungen der Nahrung nur schwer überprüfen lassen. Zu viele andere, individuelle Faktoren haben Einfluss auf die Gesundheit. Wer zum Beispiel glaubt, bewiesen zu haben, dass Kaffeetrinken ungesund ist, muss sicher sein, dass unter den untersuchten Kaffeetrinkern nicht auch besonders starke Raucher waren.

Und wenn es heißt, viel Obst fördere die Gesundheit, dann bleibt doch immer unklar, ob der Verzehr von Obst nicht einfach ein Indiz für eine insgesamt gesündere und bewusstere Lebensweise ist.

Wissenschaftliche Studien höchsten Anspruchs lassen sich in der Ernährungsforschung kaum durchführen. Denn dazu müsste das Los entscheiden, wie sich zwei Gruppen von Menschen in den nächsten Jahren ernähren sollen - ein Unterfangen, das sich kaum umsetzen lässt. So aber sind Ernährungswissenschaftler bis heute reichlich ratlos. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn sie uns nicht immer wieder mit ihren Ratschlägen drangsalieren würden.

© SZ vom 26.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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