Vorsichtig legt Eleanor Munkondia ein Glas Mayonnaise in ihren Einkaufswagen. Darin türmen sich bereits Pasta, Reis und Chips. "Supermärkte sind einfach modern. Hier gibt es alles, auch die Marken. Und das meiste kostet weniger als anderswo", sagt die Lehrerin aus Chipata, einer Provinzhauptstadt im Osten Sambias. Eleanors Einkaufsverhalten ist typisch für das vieler Menschen in Entwicklungsländern, in denen derzeit überall Supermärkte gebaut werden. Die neuen Einkaufsmöglichkeiten gelten als Revolution und stellen die Ernährungssysteme dieser Länder auf den Kopf.
"Supermärkte breiten sich wahnsinnig schnell aus. Das begann in Asien und Lateinamerika. Afrika zieht nun langsam nach", sagt Matin Qaim. Der Agrarökonom von der Universität Göttingen erforscht die Folgen des Phänomens in Kenia. Hier machen Supermärkte zehn Prozent des Lebensmittelmarktes aus. Gemeinsam mit der Ernährungsexpertin Kathrin Demmler hat Qaim analysiert, ob Supermärkte zu Übergewicht und chronischen Krankheiten beitragen. Die Ergebnisse sind eindeutig.
Kenianische Konsumenten, die regelmäßig in Supermärkten einkaufen, sind demnach öfter übergewichtig und haben ein erhöhtes Risiko, an Diabetes zu erkranken. "Das liegt daran, dass Supermärkte in kleinen Städten hauptsächlich und oftmals günstiger hoch verarbeitetes Essen sowie zuckerhaltige Getränke und fettige Snacks anbieten", sagt Demmler. Frisches Obst und Gemüse gibt es dagegen kaum oder es ist sehr teuer.
Zuckerhaltige Getränke werden billig verkauft. Gemüse ist dagegen teuer
Das Angebot der Supermärkte trifft auf eine Bevölkerung, die bislang kaum Sorgen hatte, zu viele Kalorien aufzunehmen. Experten warnen vor einer drohenden Doppelbelastung, einer Gleichzeitigkeit von Unterernährung und Überernährung. In Kenia sind nach einer Studie in der Fachzeitschrift The Lancet 30 Prozent der männlichen Bevölkerung übergewichtig. Gleichzeitig sind Untergewicht und Fehlernährung weit verbreitet. Der Grund dafür sind aber nicht nur die Supermärkte. "Wir beobachten das Problem auch in unserer Kontrollgruppe, die gar nicht in Supermärkten einkauft", sagt Demmler. Es wäre deshalb falsch, Supermärkte einfach abzulehnen, findet die Wissenschaftlerin. Sie sieht nämlich auch positive Effekte.
Für Kinder zum Beispiel. Demmlers Zahlen und auch andere Studien zeigen, dass Supermärkte dazu beitragen, Unterernährung von Kindern zu reduzieren. "Sie profitieren am meisten von den günstigen Energiequellen, die die Haushalte aus den Supermärkten bekommen", sagt Demmler. Für Kinder seien sichere Lebensmittel zudem besonders wichtig, da sie anfälliger für Krankheiten sind als Erwachsene. Und die könnten Supermärkte mit Kühlketten eher garantieren als traditionelle Märkte.
Demmler verweist auf einen Vortrag des US-Agrarökonoms Thomas Reardon auf der Göttinger Global-Food-Konferenz. Als er von seiner Kindheit und den Fertiggerichten seiner Mutter erzählte, ging zunächst ein Lachen durch den Saal. Reardon, heute gut beleibt, unterstrich dann aber, dass die Fertiggerichte für seine Mutter Freiheit vom Kochen bedeuteten und damit die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben. "Man sollte zwar nicht unbedingt nur Fertiggerichte essen, aber natürlich ist die Zeitersparnis ein Punkt", sagt Demmler.
Hinter der Diskussion darüber, was Supermärkte in Entwicklungsländern anbieten sollten, steckt aber noch eine ganz andere Frage: Wo kommen die Angebote, die Snacks, das Gemüse, eigentlich her? Von globalen Märkten? Von Großbauern? Oder von Kleinbauern, die 70 Prozent des afrikanischen Arbeiterpools bilden? "Am besten wäre es, Kleinbauern einzubeziehen. Unsere Studien zeigen, dass verbesserte Marktanbindung Armut und Unterernährung von Kleinbauern am effektivsten bekämpft", sagt Qaim. Doch die Supermärkte arbeiten ungern mit Kleinbauern zusammen. Wenn möglich, kaufen sie verarbeitete Lebensmittel von globalen Märkten und frische Produkte von größeren Landwirtschaftsbetrieben. Das senkt die Kosten, macht die Einhaltung von Qualitätsstandards einfacher und sichert eine kontinuierliche Lieferung.
In Ländern mit wenigen Großbauern kämen Supermärkte allerdings nicht umhin, mit Kleinbauern zusammenzuarbeiten. "Supermärkte schließen zunehmend Verträge mit Kleinbauern ab", sagt Qaim. Der Ökonom hat in Kenia analysiert, wie sich das auf die Zulieferer auswirkt. Seine Zahlen zeigen, dass die Einkommen um bis zu 50 Prozent steigen und dass sich die Ernährungslage deutlich verbessert.
Qaim sieht allerdings auch Risiken. "Viele Kleinbauern verlieren Verträge auch wieder oder steigen selbst aus", sagt er. Es habe etwas gedauert, bis man verstanden habe, warum. Er nennt ein Beispiel aus Kenia. Hier würden Supermärkte oftmals das komplette Gemüse von Landwirten abnehmen, aber nur das zahlen, was sie tatsächlich verkauft haben. "Die Supermärkte wälzen das Verkaufsrisiko auf die Kleinbauern ab. Am Ende profitieren die Bauern durch die hohen Preise zwar trotzdem, allerdings wird durch diese Art von Verträgen Misstrauen geschürt", so Qaim.
Solche Probleme treiben auch Anne-Catrin Hummel um. Sie ist Referentin für Landwirtschaft und Ernährung in der Politikabteilung der Welthungerhilfe. "Man muss genau darauf achten, dass die Bauern die Verträge verstehen", sagt Hummel. Das scheitere manchmal schon an der Sprache. Insgesamt sieht Hummel die Supermarkt-Revolution skeptisch, sie nutze eher Großbauern und Mittelklasse-Konsumenten. Die Welthungerhilfe setze deswegen unter anderem auf Direktvermarktung durch Bauern. Aber auch sie kann die wachsende Zahl von Supermärkten nicht einfach ignorieren.
Kleinbauern könnten von der Zusammenarbeit mit den Supermärkten profitieren
"In einem Dorf in Simbabwe haben wir versucht, mit einem Supermarkt zu verhandeln, dass er Gemüse von Kleinbauern kauft. Das klappte kurzfristig. Aber die Kleinbauern schafften es nicht, die gewünschte Quantität und Qualität das ganze Jahr über zu liefern", sagt Hummel. Jetzt bezieht der Supermarkt sein Gemüse wieder aus den Gewächshäusern Südafrikas.
Das Beispiel zeigt, dass Supermärkte an sich weder gut noch schlecht sind. Könnten sich die Kleinbauern besser organisieren und sicherstellen, dass sie zuverlässig liefern, würden Supermärkte durchaus mit ihnen zusammenarbeiten. Sie würden auch gesundes Essen verkaufen, wenn die Konsumenten das nachfragen würden.
"Supermärkte zu verdammen, wäre der falsche Weg", sagt Qaim deswegen. Stattdessen sollte man durch Regulierungen und Anreize sicherstellen, dass sie auf gesunde und ausgewogene Ernährung ausgerichtet werden. Und Regierungen sollten die Marktmöglichkeiten für Kleinbauern verbessern, dann würden Supermärkte regional einkaufen und eher mit Kleinbauern zusammenarbeiten.
In Sambia beispielsweise verkaufen viele Supermärkte unter dem Label "It's Wild" regional-produzierte Erdnussbutter, Honig und Reis. Alles von Kleinbauern. Eleanor Munkondia hat auch ein Glas "It's Wild"-Erdnussbutter in ihrem Einkaufswagen liegen. "Ich kaufe gerne Produkte aus Sambia", sagt sie auf dem Weg Richtung Ausgang. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt kauft sie dann noch schnell einige Zwiebeln, Avocados, Bananen und Tomaten von einem Straßenhändler. "Die sind hier billiger. Und Gemüse ist doch gesund", sagt sie. Die Supermarkt-Revolution, noch kann man sie gestalten. Doch die Zeit drängt.