Süddeutsche Zeitung

Ernährung bei Kindern:Gemüse muss nach Superhelden klingen

Möhren, Brokkoli und Bohnen lösen bei Kindern selten Begeisterungsstürme aus. Ganz anders ist die Reaktion, wenn das schnöde Gemüse unter Namen wie "Röntgenblick-Karotten" und "Power Punch Broccoli" serviert wird.

Sebastian Herrmann

Vor dem Willen eines störrischen Kindes kapitulieren alle. Eltern, Lehrer und andere Erwachsene müssen irgendwann einsehen, dass sie den Kürzeren ziehen, wenn die Kleinen sich verweigern. Zumindest für eine Situation, in der Kinder Erwachsene regelmäßig auflaufen lassen, bietet der Ernährungswissenschaftler Brian Wansik von der Cornell University in Ithaca, USA, nun eine Lösung an. Wenn Kinder bockig vor einem Teller Gemüse sitzen und sich weigern, Möhren, Brokkoli oder Bohnen zu essen, dann sollten Eltern dem Grünzeug beim nächsten Mal einen neuen Namen geben.

Ein Blick in einen Spielwarenkatalog könnte dabei helfen, am besten auf eine Seite mit Superhelden: Tischten Wansik und seine Kollegen Kindern nämlich "X-Ray Vision Carrots" (Röntgenblick-Karotten) oder "Power Punch Broccoli" auf, griffen diese kräftig zu. Boten die Forscher das Gemüse ohne Superhelden-Namen an, weigerten sich die meisten Kinder, das Zeug zu essen, berichten Wansik und seine Kollegen in einer kommenden Ausgabe des Fachblatts Preventive Medicine.

Die Ernährungswissenschaftler setzten die Röntgenblick-Karotten an einem Wochentag auf den Speiseplan einer Schulkantine, in der Kinder im Alter zwischen acht und elf Jahren verpflegt werden. An den anderen Tagen wurden die Möhren ohne besonderen Namen oder nur als Gericht des Tages angeboten. Die Ergebnisse sprachen für die ausgefallenen Namen. Die Nachfrage nach Röntgenblick-Karotten lag im Vergleich zu den beiden anderen Namensvarianten etwa doppelt so hoch.

In einem zweiten Versuch an einer Schule in einem Vorort von New York City servierten Wansik und seine Kollegen über mehrere Wochen etwa 750 Schülern weiteres Gemüse mit bekloppten Namen. Neben den Röntgen-Möhren und dem "Power Punch Broccoli" gab es hier außerdem "Tiny Tasty Treetops" (Kleine leckere Baumkrönchen, ebenfalls Brokkoli) und die schwer zu übersetzenden "Silly Dilly Green Beans".

In einer anderen Schule wurden unterdessen die gleichen Gerichte ohne besondere Namen angeboten, um einen Vergleich zu bekommen. Abermals schlugen die Namen ein, die Schulkantine verkaufte im Studienzeitraum fast doppelt so viel Gemüse wie zuvor. In der Vergleichsschule wurde hingegen zeitgleich 16 Prozent weniger Gemüse verkauft.

Erwachsene lassen sich übrigens genauso leicht reinlegen, wie Wansik vor einiger Zeit in einer anderen Studie demonstrierte. Darin untersuchte er, wie der Name von Gerichten in Restaurants das Geschmackserlebnis der Gäste beeinflusste. Genau wie die Schüler ließen sich Erwachsene von blumigen Namen blenden. So schmeckten den Gästen Großmutters Zucchini-Taler besser als die ansonsten gleiche Variante ohne den Verweis auf die Oma. Die Methode funktioniere eben quer durch alle Altersgruppen, sagt Wansik. Nur das Vokabular sollte dringend an den Gast angepasst werden.

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SZ vom 18.09.2012/hmet
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