Epidemiologie:Wo die Welt im Kampf gegen Elendskrankheiten steht

Parasitic flatworm artwork Parasitic flatworm Schistosoma sp computer artwork This is a cause

Der Pärchenegel Schistosoma ist Erreger der Bilharziose.

(Foto: imago/Science Photo Library)
  • Bis 2020 sollen zehn Tropenkrankheiten besiegt werden, die vor allem die ärmsten der Armen treffen.
  • Noch immer wird jeder sechste Mensch dieser Welt von einer der Armutskrankheiten bedroht.
  • "Wir liegen nicht zu 100 Prozent im Plan", räumte Bill Gates ein. Seine Stiftung gehört zu den wichtigsten Geldgebern für Gesundheitsprojekte.
  • US-Präsident Trump hat angekündigt, das Budget der Hilfsorganisation USAID um 37 Prozent zu kürzen. Das könnte den Kampf gegen die Tropenkrankheiten erschweren.

Von Berit Uhlmann, Genf

Die Schlacht gegen den Wurm währt seit Jahrzehnten. Nun sieht es endlich so aus, als könnte der Mensch sie gewinnen. Nur noch 25 Menschen mussten im vergangenen Jahr erleben, wie der Guineawurm in ihrem Körper auf eine Länge von einem Meter heranwuchs, durch ihren Körper bis in den Oberschenkel wanderte, die Haut durchstieß, um schließlich Tausende Larven in die Umgebung zu entlassen.

Wenn sich der Parasit durch das Gewebe bohrt, verursacht das Schmerzen und Entzündungen und hält Bauern von ihren Feldern und Kinder aus der Schule fern. Vor 30 Jahren plagte die Infektion noch drei Millionen Menschen in 20 Ländern. Nun könnte sie nach den Pocken als zweite Krankheit der Menschheitsgeschichte vom Erdboden getilgt werden.

Geld und Hilfe kommt vor allem von privaten Spendern und der Pharmaindustrie

Die Infektion mit dem Wurm ist ein Paradebeispiel für die Gruppe der vernachlässigten Tropenkrankheiten. 18 verschiedene Infektionen von Parasitenbefall bis zur Lepra gehören dazu. Sie zehren Menschen bis zur völligen Entkräftung aus, entstellen ihre Haut, lassen Infizierte erblinden oder Krampfanfälle erleiden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie vermeidbar sind. Treten sie auf, sind sie Zeichen dafür, dass es den Menschen am Nötigsten fehlt: an Sanitäranlagen, Aufklärung, Medikamenten und der Aufmerksamkeit der Welt.

Um diese Aufmerksamkeit kämpft derzeit eine breite Koalition aus Weltgesundheitsorganisation (WHO), Regierungen, privaten Geldgebern und Pharmafirmen. Vor fünf Jahren hatten sie sich verpflichtet, zehn dieser Krankheiten bis 2020 auszurotten oder wenigstens auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Last einzudämmen. Das sind gewaltige Ziele; die Zwischenbilanz, die die Akteure derzeit in Genf ziehen, zeigt, dass mit der bisherigen Gangart nicht alle erfüllt werden können.

Aussichtsreich ist neben dem Kampf gegen den Guineawurm auch das Vorgehen gegen die Schlafkrankheit. Die Trypanosomiasis lässt ihre Opfer unbehandelt ins Koma fallen. 2015 wurden weltweit weniger als 3000 Fälle gezählt, um die Jahrtausendwende waren es mehr als zehnmal so viele.

Als Erfolg wertet WHO-Direktorin Margaret Chan zudem den "rekordverdächtigen Fortschritt", mit dem die Elefantiasis in die Knie gezwungen werde. Die Krankheit verursacht enorme Schwellungen der Beine oder Geschlechtsorgane und zwingt die Betroffenen zur Untätigkeit. Selbst wenn sie könnten, würden sie wohl kaum ihren alltäglichen Geschäften nachgehen. Zu groß ist das Stigma der grotesken Körperformen. Acht Länder haben die Krankheit mittlerweile besiegt.

Doch noch immer wird jeder sechste Mensch dieser Welt von einer der Armutskrankheiten bedroht. "Wir liegen nicht zu 100 Prozent im Plan", räumt Bill Gates ein, dessen Stiftung zu den wichtigsten Geldgebern in diesem Sektor gehört. An einigen der Erkrankungen werden die Menschen noch leiden, wenn das Zieldatum für ihr Ende längst überschritten ist. Das bedeutet auch, es wird mehr und länger Geld benötigt. Bislang fließen die Mittel vor allem aus dem Privatsektor. Chan hebt daher in Genf vor allem die "Kraft der Partnerschaften" mit den Pharmafirmen hervor. Immer wieder werde sie von Hilfsorganisationen und auch Regierungen kritisiert, weil sie so eng mit der Industrie kooperiere. Doch letztlich seien es deren Vertreter gewesen, die sie mit der nötigen Munition im Kampf gegen die Krankheiten der Ärmsten ausgestattet haben.

Die USA und Großbritannien sind nicht mehr so zuverlässige Geldgeber

Tatsächlich sind viele der vernachlässigten Tropenkrankheiten durch die Massengabe vorbeugender Medikamente einzudämmen. Dennoch reicht die Bereitstellung von Milliarden Tabletten allein nicht aus. Sie müssen auch verteilt werden. Was dies bedeutet, schildert Godfrey Chileni aus Malawi. Man könnte ihn Streetworker nennen, doch sind seine Straßen eher Buckelpisten, matschig und bisweilen von Bächen unterbrochen. Auf ihnen ist er mit seinem Fahrrad unterwegs, um Medikamente selbst in entlegene Dörfer zu bringen.

Die Bekämpfung der Armutskrankheiten braucht Infrastruktur, Helfer mit Ortskenntnissen und Überzeugungskraft wie diesen Mann aus Malawi. Wenn die Fälle seltener werden, wird zudem die epidemiologische Überwachung enorm wichtig, um neue Infektionsherde rasch ersticken zu können. Doch ob das Geld auch dafür fließen wird, ist unsicher.

Die größten staatlichen Geldgeber - die USA und Großbritannien - erleben die massivsten politischen Umschwünge der vergangenen Jahrzehnte. Großbritannien überraschte die Weltgemeinschaft mit der Ankündigung, die Mittel gegen die Tropenkrankheiten zu verdoppeln. 360 Millionen Pfund sollen bis 2022 fließen. Doch unklar ist, wie es mit dem US-Engagement weitergeht. Präsident Donald Trump hat angekündigt, das Budget der Behörde für Entwicklungshilfe USAID um 37 Prozent zu kürzen. In den vergangenen zehn Jahren hat USAID mehr als 11 Milliarden Dollar für die vernachlässigten Tropenkrankheiten ausgegeben, damit wurden 750 Millionen Menschen behandelt. Das Gesamtbudget der Behörde betrug 2016 22 Milliarden Dollar. Welche Programme durch die Kürzungen betroffen sein werden, ist nicht klar, aber es scheint nicht sehr wahrscheinlich, dass die Würmer und Bakterien der Ärmsten dieser Welt auf der Agenda ganz oben stehen werden.

Das gilt auch für Deutschland. Die Bundesregierung ducke sich hinter oft schwammigen Absichtserklärungen weg, kritisiert Martin Kollmann von der Hilfsorganisation Christoffel-Blindenmission und fordert: "Die Bundesregierung muss messbare Ziele definieren und konkrete, mehrjährige Förderzusagen treffen."

So ist der Kampf gegen die vernachlässigten Tropenkrankheiten bislang vor allem eines: das größte Pharma-Spendenprogramm in der Geschichte. Spenden im Wert von 19 Milliarden Dollar haben Medikamentenhersteller von 2012 bis 2020 zugesagt. Um das Engagement publikumswirksam zu demonstrieren, durfte auf dem Genfer Treffen auch ein Vertreter des Guinness Buchs der Rekorde auftreten und verkünden, dass die Pharmafirmen nun in dem weltberühmten Werk vertreten sind. Indem sie an einem Tag 200 Millionen Tabletten auf den Weg in die armen Länder brachten, haben sie den Eintrag "größte Medikamentenspende innerhalb von 24 Stunden" verdient. Dieser kurze logistische Kraftakt symbolisiert die jahrelangen Anstrengungen in den entlegensten und ärmsten Regionen dieser Welt kaum. Er zeigt aber, wie viel Aufmerksamkeit dieser Kampf noch immer braucht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: