Süddeutsche Zeitung

Epidemie:Ebola global

Es ist passiert, was seit Monaten befürchtet wurde: Das Ebola-Virus hat Afrika verlassen. Während in den USA ein Infizierter um sein Leben ringt, berechnen Statistiker das Risiko für Ausbrüche in weiteren Ländern. Der US-Patient kam über Brüssel und hatte Kontakt zu Schulkindern.

Von Kai Kupferschmidt

Es war nur eine Frage der Zeit. Neun Monate nachdem in einer abgelegenen Waldregion Guineas die derzeit grassierende Ebola-Epidemie ausgebrochen ist, bestieg am 19. September ein Mann in der Hauptstadt Liberias ein Flugzeug. Sein Ziel: die USA, wo er Verwandte besuchen will. Noch zeigt er keine Symptome, aber sein Körper trägt bereits das Virus in sich, das in den vergangenen Monaten in Afrika mehr als 3000 Menschen getötet hat. Am 20. September landet er über einen Zwischenstopp in Brüssel im US-Bundesstaat Texas. Vier Tage spürt er die ersten Anzeichen der Krankheit. Nun kämpfen Ärzte in einer Klinik in Dallas um sein Leben. Das Virus hat Afrika verlassen.

Auf der Pressekonferenz, welche die US-Seuchenschutzbehörde CDC am Dienstagabend eilig einberufen hatte, bemühte sich Direktor Thomas Frieden, die Bevölkerung zu beruhigen. "Ich hege keinen Zweifel, dass wir diesen Fall so kontrollieren werden, dass das Virus sich nicht groß ausbreitet", sagte er. Natürlich könnte es passieren, dass in den nächsten Wochen Verwandte oder Freunde des Mannes ebenfalls an Ebola erkranken, aber eine unkontrollierte Ausbreitung sei ausgeschlossen.

Allerdings: Die US-Behörden prüfen derzeit bereits einen weiteren Verdachtsfall "im direkten Umfeld des Patienten". Bevor die Krankheit bei ihm diagnostiziert wurde, hatte er nach Angaben des texanischen Gouverneurs Rick Perry außerdem Kontakt zu fünf Schulkindern. Inzwischen ist auch bekannt, dass der Patient in Brüssel zwischengelandet war, da aber noch keine Symptome gezeigt hatte und womöglich noch nicht ansteckend war. Die Vereinten Nationen teilten am Abend mit, dass der erste UN-Mitarbeiter an Ebola gestorben sei. Bei dem Opfer handelte es sich um einen Liberianer.

Wird nun wahr, was fiktive Seuchenthriller wie "Outbreak" seit Jahren als Szenario veranschaulichen? Kommt es nun zu einer flächendeckenden Ausbreitung der afrikanischen Seuche in einem modernen Industrieland?

Menschen werden erst dann ansteckend, wenn die Krankheit ausgebrochen ist

Experten mahnen zu Besonnenheit. In einem Land wie den USA sei Ebola gut in den Griff zu bekommen. Das Virus ist weit weniger ansteckend als etwa die Masern. Zwei Punkte sind entscheidend: Der Erreger überträgt sich, anders als etwa die Grippe, nur durch direkten Kontakt mit den Körperflüssigkeiten. Und sobald das Virus sich im Körper ausbreitet, im Blut auftaucht, löst es zugleich Fieber und andere Symptome aus. Menschen werden also erst dann ansteckend, wenn die Krankheit ausgebrochen ist, was kaum unbemerkt bleibt.

Die Strategie, die das CDC nun verfolgt, um das Virus einzudämmen, ist entsprechend einfach: Ein Team von Epidemiologen versucht, sämtliche Menschen ausfindig zu machen, die seit dem Beginn der Symptome Kontakt mit dem Kranken gehabt haben. Diese werden dann 21 Tage lang unter Beobachtung gestellt. Bricht die Krankheit in dieser Zeit nicht aus, haben sie sich nicht angesteckt. Bekommt einer von ihnen Fieber oder andere Symptome, wird er behandelt, und seine Kontaktpersonen werden ebenfalls gesucht und unter Beobachtung gestellt.

Hierfür wird ein lückenloses Diagramm erstellt, eine Art Landkarte, die zeigt, wann der Patient wo mit wem Kontakt hatte. Die Daten werden benutzt, um die Kontaktpersonen nach der Enge des Kontaktes in drei konzentrische Kreise einzuteilen: Im innersten Kreis und im Zentrum der Untersuchung stehen die Menschen, die den engsten Kontakt mit dem Patienten hatten. Das sind im Normalfall nur "eine Handvoll Menschen", schätzte Frieden.

Die Strategie an sich ist bereits erprobt: In den vergangenen zehn Jahren wurden mit Ebola eng verwandte Krankheiten fünf Mal in die USA eingeschleppt - viermal das Lassafieber, einmal das Marburgvirus. In keinem der Fälle kam es zu weiteren Ansteckungen.

Das Krankenhaus, in dem der Patient nun behandelt wird, das Texas Health Presbyterian Hospital in Dallas, sei hervorragend vorbereitet gewesen, sagte der dortige Epidemiologe Edward Goodman auf der Pressekonferenz am Dienstagabend. Eine Woche zuvor sei bei einem Treffen mit allen Beteiligten diskutiert worden, was im Falle eines Ebolapatienten zu tun sei.

Dennoch muss sich die Klinik nun kritische Fragen gefallen lassen. Der Patient hatte dort bereits am 26. September Hilfe gesucht, wurde zunächst aber wieder nach Hause geschickt. Erst zwei Tage später wurde er mit Verdacht auf Ebola aufgenommen. Wussten die Ärzte nicht, dass er in Westafrika gewesen war? Haben sie nicht gefragt? "Ich kann nicht verstehen, dass das übersehen wurde", sagt Michael Osterholm, Epidemiologe am Zentrum für Infektionskrankheiten der Universität von Minnesota.

In den vergangenen Monaten seien in den USA zwei weitere Patienten mit einem anderen gefährlichen Erreger aufgetaucht, dem Mers-Virus, das in Saudi-Arabien zirkuliert. In diesen Fällen sei ebenfalls nicht sofort reagiert worden, sagt Osterholm. "Nach Aufenthalten in anderen Ländern zu fragen, ist heute genauso wichtig, wie die Körpertemperatur zu überprüfen oder den Blutdruck zu messen."

Die Situation in Westafrika spitzt sich unterdessen immer weiter zu. Laut WHO sind dort mindestens 6553 Menschen an Ebola erkrankt. Die Krankenhäuser sind überfüllt. In Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, öffnen die Behandlungszentren einmal am Tag ihre Pforten und lassen gerade so viele Menschen hinein, wie am Tag zuvor verstorben sind. Viele Kranke werden vermutlich nie gemeldet, die Kontaktpersonen lassen sich kaum verfolgen. Und noch immer verdoppelt sich alle drei Wochen die Zahl der Kranken und Toten. Geht der Anstieg ungebremst weiter, so seien bis Ende Januar allein in Liberia und Sierra Leone bis zu 1,4 Millionen Infektionen zu erwarten, rechneten Experten des CDC kürzlich vor.

Mit der Zahl der Kranken steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus in andere Länder getragen wird. "Das lässt sich kaum verhindern, da Menschen ja, wie in diesem Fall in den USA, das Virus tragen können, ohne Symptome zu haben", sagt der Virologe Stephan Becker von der Universität Marburg.

Schon jetzt ist das Ebolavirus von Guinea, Sierra Leone und Liberia aus in drei Länder exportiert worden: Neben den USA sind das Nigeria und Senegal. In beiden afrikanischen Ländern scheint die Situation aber unter Kontrolle zu sein. Der Patient in Senegal hat offenbar keine weiteren Menschen angesteckt. In Nigeria haben sich 20 Menschen mit dem Virus infiziert, acht von ihnen sind gestorben. Aber auch dort ist der Ausbruch offenbar unter Kontrolle. "Aber was passiert, wenn das Virus in die Slums von Lagos, Nairobi oder Kinshasa gelangt?", fragt Osterholm. "In den drei betroffenen Ländern in Westafrika leben etwa 21 Millionen Menschen. Afrika hat eine Milliarde Menschen."

Alessandro Vespignani von der Northeastern University in Boston hat ein Computermodell erstellt, das helfen soll, die Ausbreitung von Krankheitserregern vorherzusagen. Aus Daten über Flugverbindungen, Pendlerverhalten und Mobilfunknutzung hat er eine Art vereinfachte Version der modernen, globalisierten Welt und ihren Reiserouten in digitalisierter Form erstellt. "Wir fügen das Virus einfach in das Modell ein und spielen das dann immer und immer wieder durch", sagt Vespignani.

Aus Hunderttausenden solcher Durchläufe lassen sich die statistisch wahrscheinlichsten Szenarien errechnen. In einer ersten Veröffentlichung im Fachblatt Plos Current Outbreaks zählte Vespignani vor einem Monat die 15 Länder auf, die am ehesten mit einem importierten Fall rechnen mussten: Senegal, Nigeria und USA gehörten alle dazu. Aber auch Deutschland.

"Dieses Virus wartet nicht auf unsere Hilfsprogramme oder unsere Bürokratie."

Mitte September ließ Vespignani seine Computer noch einmal die Wahrscheinlichkeiten durchrechnen, und kalkulierte die Chancen eines Ebola-Ausbruchs bis Anfang November für verschiedene Länder. Demnach haben Ghana und Frankreich am ehesten mit einem importierten Fall zu rechnen. Aber auch Deutschland muss mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens fünf Prozent mit einem Ebolakranken in den kommenden Wochen rechnen. Dabei ist bereits berücksichtigt, dass der Verkehr zwischen den betroffenen Ländern Afrikas und dem Rest der Welt wohl um rund 80 Prozent abnimmt. Sollte das nicht der Fall sein, läge die Wahrscheinlichkeit für einen Ebolafall in Deutschland bei rund zehn Prozent. "Das ist kein Grund für Panik, das ist genau, was wir erwartet haben und seit Monaten sagen", beruhigt Vespignani. "Natürlich spielt der Zufall hier eine Rolle, aber wenn sie eine Münze häufig genug werfen, dann landet sie irgendwann auch auf der Zahl-Seite."

Entscheidend für das konkrete Risiko ist, wie sich der Ausbruch in Liberia, Guinea und Sierra Leone entwickelt. Seit Wochen wird auf internationaler Ebene über Hilfe für die betroffenen Länder in Westafrika diskutiert, aber Experten sagen, diese Hilfe komme viel zu langsam an. Nach wie vor werden Hunderte Betten und ebenso viele Ärzte benötigt. "Dieses Virus wartet nicht auf unsere Hilfsprogramme oder unsere Bürokratie", sagt Osterholm. "Wir müssen jetzt handeln. Sofort."

Möglicherweise sei der Fall in den USA auch ein wichtiger Weckruf, der den Verantwortlichen vor Augen führt, wie ernst die Lage ist, sagt Becker. "Man muss das an der Quelle bekämpfen und das ist in Westafrika." Nach kurzem Zögern schiebt er nach: "Noch".

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SZ vom 02.10.2014
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