Eisenversorgung:Vegetarier müssen keinen Eisenmangel fürchten

Vegetarier in Industrieländern leiden seltener unter Eisenmangel als gemeinhin angenommen. Experten warnen sogar vor überflüssigen Nahrungszusätzen. In der Schwangerschaft kann sich die Situation allerdings ändern. Wer Eisentabletten tatsächlich braucht und wer besser verzichten sollte.

Kathrin Burger

Eisenmangel ist ein globales Problem. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon betroffen, das wären rund zwei Milliarden Menschen. Eisenmangel ist somit der häufigste Nährstoffmangel überhaupt. Erste Symptome sind Abgeschlagenheit, denn Körperzellen brauchen Eisen für die Energiegewinnung, zudem ist der Nährstoff unabkömmlich für den Sauerstofftransport und Entgiftungsreaktionen. Im Kindesalter unterstützt Eisen die Gehirnreifung. Neuerdings wird sogar darüber diskutiert, ob zu wenig Eisen im ersten Lebensjahr zu Hyperaktivität im weiteren Leben führen kann.

Weil das Eisen so lebenswichtig ist, geht der Körper ökonomisch mit dem Stoff um: Wenn über die Nahrung zu wenig Eisen angeliefert wird, steigt die Eisen-Absorption im Darm, zudem greift der Organismus in Mangelzeiten auf die Eisenspeicher, das sogenannte Ferritin, zurück. Ein ernährungsbedingter Eisenmangel macht sich daher nur langsam bemerkbar, kann aber zu Blutarmut (Anämie) führen.

Bekannt ist, dass vor allem Fleischgerichte dem Körper Eisen zuführen. Müssen Vegetarier also fürchten, dass ihre Lebensweise zu Mangelerscheinungen führt? Immerhin verzeichnete der Deutsche Vegetarierbund (Vebu) allein im Jahr 2011 einen Mitgliederzuwachs von 40 Prozent. 1983 waren in Deutschland knapp ein Prozent Vegetarier, heute gibt jeder zwölfte Bundesbürger an, fleischlos zu leben. Für diese Ernährungsweise gibt es gute Gründe. Sie trägt beispielsweise dazu bei, klimaschädliche Treibhausgase einzusparen. Auch hilft sie, Übergewicht, Diabetes, Herzinfarkt und Darmkrebs zu vermeiden.

Für Vegetarier ist jedoch die Vielfalt ihrer Kost wichtig, da mit dem Verzicht auf Steaks und Schinken ein wichtiger Eisenlieferant wegfällt. Pflanzen enthalten zwar ähnlich viel Eisen wie Fleisch. Allerdings ist das tierische Eisen leichter verwertbar. Es wird vermutet, dass der menschliche Organismus durchschnittlich nur rund fünf Prozent des pflanzlichen Eisens aufnimmt, aus Fleisch hingegen etwa 20 Prozent des Eisens verwertet. Pflanzliches Eisen, das als dreiwertiges Ion vorliegt, muss chemisch umgewandelt werden, bevor es über einen anderen Mechanismus ins Blut gelangt.

Neuerdings meinen Wissenschaftler einen weiteren Transportweg für pflanzliches Eisen gefunden zu haben. Ein Forscherteam unter Leitung der Biochemikerin Elisabeth Theil von der Universität Oakland ist in Tier- und Menschenversuchen auf einen körpereigenen, allerdings langsamen und umständlichen Mechanismus gestoßen, mit dem pflanzliches Eisen aus einem Eiweiß namens Phyto-Ferritin ins Blut gelangen kann. Der Vorteil dieses Weges wäre, dass die Aufnahme des Ferritins anders als bei direkten Verarbeitungswegen durch die anderen Stoffe im Nahrungsbrei nicht gestört wird.

"Phyto-Ferritin wurde bislang viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt", sagt Elisabeth Theil. Allerdings haben die Forscher berechnet, dass man beispielsweise 500 bis 1000 Gramm Sprossen täglich essen müsste, um seinen Eisenbedarf auf diesem Weg vollständig zu decken. Dennoch meint Theil: "Ferritin-reiche, pflanzliche Nahrungsmittel wie Linsen, Sojabohnen oder Kichererbsen können durchaus als gute Eisenquelle angesehen werden und könnten ein neuer Weg sein, um Eisenmangel zu bekämpfen."

In Industrienationen leiden Vegetarier jedoch nicht häufiger an einer Eisenmangelanämie als Fleischesser. Lediglich ihre körpereigenen Eisenspeicher sind weniger gut gefüllt. "Allerdings liegen die Eisenspeicherwerte von Vegetariern immer noch im Normbereich und stellen nur ein Risiko etwa bei großem Blutverlust oder erhöhtem Bedarf, wie in der Schwangerschaft, dar", sagt Cem Ekmekcioglu, Ernährungsmediziner an der Universität Wien.

Wie der Körper Eisen besser aufnimmt

Um Eisen aus Pflanzen besser zu verwerten, gibt es zudem Tricks: Ein saures Milieu begünstigt, dass sich das Eisen aus den Pflanzen löst. Ein Glas Vitamin-C-haltiger Orangensaft zur Gemüse-Lasagne erhöht die Resorption im Darm um ein Vielfaches. Manche sekundären Pflanzenstoffe wie Phytate (Vollkorn, Hülsenfrüchte) und Polyphenole (Tee, Kaffee) binden das Eisen hingegen so fest an sich, dass es vom Darm nicht resorbiert, sondern ausgeschieden wird. So gesehen ist ein Espresso nach einem vegetarischen Mittagessen eher kontraproduktiv. Auch Milchprodukte hemmen die Eisenaufnahme.

Relativ viel Eisen kann der Körper aus Haferflocken, Hirse, Roter Bete, Erbsen, Kohlgemüse und Sauerkraut sowie Sesam gewinnen. Auch Vollkornprodukte werden trotz ihres hohen Gehaltes an störenden Phytaten für Vegetarier empfohlen: "Der Eisengehalt im Vollkorngetreide ist etwa dreimal so hoch wie in Weißmehlprodukten. Das heißt, auch wenn die Hälfte des Eisens gebunden wird, steht immer noch mehr zur Verfügung als mit Weißmehlprodukten", erklärt Claus Leitzmann, der früher an der Universität Gießen forschte. Ob das Einweichen von Hülsenfrüchten Phytate reduziert und damit die Verfügbarkeit von Eisen erhöht, ist derweil umstritten.

Vor allem schwangere und stillende Frauen sowie Frauen mit starker Regelblutung und Kinder in den Wachstumsphasen können in einen Mangel geraten. Laut DGE sollten Kinder täglich je nach Alter acht bis zwölf Milligramm und Frauen vor dem Klimakterium 15 Milligramm Eisen zu sich nehmen. Männer kommen dagegen mit zehn Milligramm aus. Der tatsächliche Bedarf des Körpers beläuft sich auf ein bis drei Milligramm. Laut dem Ernährungsbericht 2008 erreichen zwar viele Kinder in Deutschland nicht diesen Idealwert - was aber nicht heißt, dass sie unter einem echten Mangel leiden.

Bei Frauen sieht es anders aus: Epidemiologische Studien in Industrienationen zeigen, dass zwischen einem und 14 Prozent der Frauen in gebärfähigem Alter einen klinischen Eisenmangel haben. Unter Schwangeren ist sogar fast jede Dritte betroffen. Peter Nielsen, Mediziner an der Universitätsklinik Hamburg, rät daher vegetarisch lebenden Frauen im gebärfähigem Alter, Schwangeren und Kindern, ihre Eisenwerte beim Arzt abklären zu lassen.

Zwar sind auch vegetarisch ernährte Kinder hierzulande im Schnitt gut versorgt, trotzdem zählen auch sie zu den Risikogruppen. Vor allem im Säuglingsalter sollten Pflanzenkost-liebende Mütter laut dem Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) darauf achten, dass sie eisenangereicherte Beikost geben. Wer den Brei selber zubereitet, sollte diesen gezielt mit Vitamin-C-reichen Lebensmitteln wie Paprika, Brokkoli, Rosenkohl, Blumenkohl oder Orangen- und Zitronensaft kombinieren. Kinder kommen zwar mit einer ansehnlichen Eisenreserve zur Welt, diese ist jedoch etwa nach dem sechsten Monat erschöpft - und Muttermilch ist nicht besonders eisenhaltig.

Prekär ist die Lage jedoch in Entwicklungsländern. "In Guatemala und Kambodscha ernähren sich weite Teile der Bevölkerung überwiegend von Mais und schwarzen Bohnen oder Reis. Die wichtigen Stoffe für die Bioverfügbarkeit von Eisen wie Vitamin C aus Obst fehlen, weil sie unerschwinglich sind", sagt Klaus Schümann, Eisen-Experte der TU München und Co-Autor der Theil-Studie. Vier von fünf Kleinkindern leiden dort unter einer Eisenmangelanämie. Ein Grund dafür: Kinder bekommen neben Muttermilch als erste Beikost die übliche Erwachsenennahrung. "Diese weltweit von der WHO empfohlene Praxis hat in diesen Fällen also negative Folgen", sagt Marieke Vossenaar von der Universität in Guatemala City.

Eisentabletten nach dem Gießkannenprinzip?

Zudem leidet bereits jede zweite Mutter in von Armut betroffenen Ländern unter einem Eisenmangel. Sie kann ihrem Kind also kaum Reserven mitgeben. Die drastischen Folgen: Die Kinder sind kleinwüchsig und körperlich wie geistig weniger leistungsfähig. All das ist durch spätere Eisengaben nicht mehr auszugleichen.

Darum hat die WHO lange auf die möglichst frühe Gabe von Eisentabletten gesetzt - bis zum Jahr 2006. Dann wurden die schockierenden Ergebnisse der Pemba-Studie veröffentlicht, bei der 30 000 Kinder auf der gleichnamigen ostafrikanischen Insel mit Eisen- und Folsäuretabletten versorgt wurden. Die behandelten Kinder erkrankten jedoch signifikant häufiger an schwerer Malaria und starben in größerer Zahl als die Kinder der Kontrollgruppe.

Neuere Studien zeigen, dass Eisentabletten auch bei anderen Infektionskrankheiten wie Typhus kontraproduktiv sind. Offenbar ernähren sich auch Krankheitserreger von dem zusätzlichem Eisen. Die WHO hat mittlerweile alle Programme mit Eisentabletten oder eisenangereicherter Nahrung eingestellt. Das Problem Eisenmangel in Entwicklungsländern ist ungelöst.

Auch in Industrienationen ist die Eisengabe nach dem Gießkannenprinzip umstritten. Schließlich ist Eisen nicht nur lebenswichtig, es kann auch toxisch werden, weil der Körper keine Möglichkeiten hat, es auszuscheiden, wenn es einmal in der Blutbahn ist. Freie Eisen-Ionen können Eiweiße, Fette und Erbsubstanz zerstören. Auch deshalb wird aus Fleisch stammendes Eisen kritisch diskutiert. Eisen findet sich aber auch häufig in Multivitaminpräparaten. Laut einer aktuellen Studie der TU München nehmen zwei Drittel aller schwangeren Frauen oft viel zu hoch dosierte Eisenpräparate zu sich. Zudem findet sich das Spurenelement immer häufiger als Beigabe in sogenannten Kinderlebensmitteln wie Fruchtsäften, Müsliriegel oder Frühstückszerealien. Verbraucherschützer warnen vor einer Eisenüberversorgung.

Das kann fatale Folgen haben: Kürzlich kam die Iowa Women's Health Study zu dem Ergebnis, dass Eisentabletten bei Frauen nach der Menopause die Lebenserwartung reduzieren. Laut einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) fördert eine dauerhaft zu hohe Eisenaufnahme das Risiko für Herzkrankheiten und Krebs. Die Behörde empfiehlt, auf den Zusatz von Eisen in Lebensmitteln zu verzichten. Der Wiener Wissenschaftler Ekmekcioglu warnt: "Erwachsene, vor allem Männer, die Fleisch essen, sollten die Finger von solchen Produkten lassen." Vorsicht ist auch bei erblicher Eisenspeicherkrankheit geboten, von der jeder 200. Deutsche betroffen ist. "Zusätzliches Eisen brauchen nur Menschen, bei denen tatsächlich ein Mangel diagnostiziert worden ist", sagt Nielsen.

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