Frühe Pubertät:Mädchen mit fraulichen Leiden

Frühe Pubertät: Wann setzt die Pubertät ein? Nicht immer sind die Zeichen eindeutig.

Wann setzt die Pubertät ein? Nicht immer sind die Zeichen eindeutig.

(Foto: AFP)

Manche Eltern fürchten, dass ihre Kinder vorschnell geschlechtsreif werden. Angeblich passiert dies ja immer öfter. Doch viele Sorgen sind übertrieben.

Von Christina Berndt

An einem Mittag im Frühling rief die Erzieherin vom Hort an: "Ihre Tochter hat Bauchweh", sagte sie, "sie hat ihre Tage bekommen." Die Mutter dachte, sie trifft der Schlag: Davon, dass die Pubertät immer früher einsetzen soll, hatte sie schon mal gehört. Aber ihre Tochter war noch nicht einmal siebeneinhalb!

Trotzdem sah bei der Kleinen, die in diesem Text Emmi heißen soll, alles nach der ersten Regelblutung aus. Auch der Kinderarzt war irritiert. Lange schon begleitete er Kinder beim Erwachsenenwerden. Eine Menstruation bei einer Siebenjährigen aber hatte er noch nie erlebt. Das sollte eine Fachfrau untersuchen, fand er. Und schickte das Mädchen in die Sprechstunde für Kindergynäkologie am Klinikum Großhadern.

In dem Münchner Uniklinikum ist man eingestellt auf Mädchen mit fraulichen Leiden. Übervoll ist die Ambulanz, Mädchen mit allen möglichen Auffälligkeiten kommen hierher. Bei manchen hat die Pubertät extrem früh eingesetzt, bei anderen lässt sie noch mit 15 auf sich warten. Es kommen auch Kinder mit genetischen Störungen oder solche, die einfach nur etwas über Verhütung wissen wollen. Dieses Thema, denkt die Mutter, möge doch bitte nicht so bald bei Emmi anstehen. Aber wenn die Pubertät einsetzt, wächst dann nicht auch das sexuelle Interesse? Immer wieder ist von extrem jungen Müttern zu lesen. Den traurigen Weltrekord hält Lina Medina aus Peru, die 1939 als Fünfjährige einen Sohn bekam, an dessen Entstehung sie sich nie erinnern konnte.

Nach mehr als zwei Stunden ist Emmi endlich dran. Mit kindgerechten Erklärungen und ohne allzu aufdringlich zu werden, untersucht die Gynäkologin Charlotte Deppe die Kleine. Im Bauch scheint alles kindlich zu sein, die Blutung kommt offenbar nicht aus der Gebärmutter. Eine Infektion? Eine Zyste? Jedenfalls wird wohl nicht so bald wieder Blut fließen, zumal in Emmis Körper die Sexualhormone noch nicht zu toben scheinen. Eines fällt aber doch auf: Wenn man genau hinsieht, ist schon ein bisschen Brust zu erkennen.

Bei Emmi könnte eine Entwicklung im Gange sein, die immer häufiger beobachtet wird. Charlotte Deppe begegnete schon öfter einzelnen Mädchen mit einer Pubertas praecox - einer Pubertät also, die extrem früh beginnt. Dass dieser Umbruch grundsätzlich "immer früher" einsetze, wie es so oft heißt, kann sie trotzdem nicht bestätigen. Zumindest gab es entgegen weitverbreiteter Annahmen zuletzt keine Verkürzung der Kindheit mehr: "Bis in die Siebzigerjahre waren Mädchen und Jungen immer eher dran, aber die letzten 30 Jahre haben wir keine Entwicklung mehr in diese Richtung gesehen", sagt Deppe. Seither haben Mädchen ihre erste Regelblutung im Durchschnitt mit 12,5 Jahren und Jungen ihren ersten Samenerguss mit etwa 13,5 Jahren - rund zwei Jahre früher als noch im 19. Jahrhundert.

Die Rolle der Ernährung

Vor allem die gute Ernährung ließ die Kinder nicht nur größer und schwerer werden, sondern brachte ihnen auch eine immer zeitiger einsetzende Pubertät ein: Eiweißreiches Essen ließ sie körperlich einfach früher reifen, bis in den 1970er-Jahren das Maximum erreicht war. "Danach hat sich jahrzehntelang nichts mehr getan", sagt auch die Kinderärztin Esther Nitsche aus Lübeck, die zweite Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie.

Dafür scheint es nun eine neue Entwicklung zu geben, von der auch Emmi betroffen sein könnte: Im Jahr 2000 hatten US-Ärzte Aufregung verursacht, weil sie bei vielen Mädchen eine besonders frühe Brustwölbung beobachteten. "Das wunderte uns Fachleute nicht sehr", sagt Nitsche. Kinder in den USA sind oft übergewichtig. Und Fett produziert Hormone, die die Pubertät im Gehirn anschalten können. Neuerdings aber deuten Daten an, dass sich Mädchen auch in Europa noch schneller entwickeln als bisher, Jungen dafür etwas langsamer. Davon berichten Dänen und Belgier - und zwar bei Kindern ohne Fettpolster.

Für Eltern klingt das wenig verlockend: Sie wünschen ihrem Nachwuchs eine möglichst lange, unbeschwerte Kindheit. Kommt die Zeit, in der das Leben durcheinandergewirbelt wird, nicht ohnehin früh genug? Außerdem beruhigt es nicht gerade, dass hinter der Entwicklung womöglich die Umweltverschmutzung mit hormonartigen Chemikalien stecken könnte, die sogar Eisbären am Nordpol verweiblichen sollen.

Hormone von außen könnten bei der neuerlichen Vorverlegung des Brustwachstums - sofern sie durch weitere Studien belegt wird - tatsächlich beteiligt sein, sagt Esther Nitsche. "Es mehren sich die Hinweise darauf, dass pflanzliche Hormone, wie sie in Soja enthalten sind, eine Rolle spielen könnten", sagt sie. Eine geringere Schuld trifft dagegen wohl die Umwelthormone wie Weichmacher oder den Plastikgrundstoff Bisphenol A (BPA). Denn diese führen in Tierexperimenten nur zur Verweiblichung, weil sie die männliche Entwicklung hemmen, und nicht, weil sie die weibliche vorantreiben.

Besonders beunruhigend sind die neuen Daten in den Augen von Esther Nitsche aber zunächst nicht. Denn die Mädchen sind am Ende wohl nicht schneller geschlechtsreif als bisher. "Die Entwicklung scheint etwas eher zu beginnen, sich dafür aber länger Zeit zu lassen", sagt Nitsche. So bildet sich die Brustdrüse bei Mädchen zwar im Durchschnitt wenige Monate eher als noch in den 1970er-Jahren; die Regelblutung setze aber nicht früher ein. Der Abstand zwischen beiden, der üblicherweise gut zweieinhalb Jahre beträgt, wird größer.

Sehr frühreife Kinder sollten zum Arzt

Das muss an sich nichts Schlimmes sein, betont die Kinderärztin: "Es bedeutet ja nicht jede Veränderung etwas Schlechtes oder Krankhaftes." Außerdem sei die Varianz unter Menschen nun einmal groß. Manche bekommen schon mit 20 Jahren graue Haare, andere sind eben bei der Sexualentwicklung eher dran.

Trotzdem sollten Eltern mit einem Frühstarter in jedem Fall zum Spezialisten gehen, rät Nitsche. Denn manchmal verbirgt sich eben doch eine behandlungsbedürftige Störung hinter der schnellen Entwicklung. Es sei immer zu prüfen, ob erste Brustansätze und sprießende Schamhärchen eine harmlose Ursache haben oder ob eine echte vorzeitige Pubertätsentwicklung vorliegt, sagt auch Charlotte Deppe. So kann ein Hirntumor die frühe Produktion von Sexualhormonen anstoßen.

"Bei einer echten Pubertas praecox empfehlen wir eine Therapie", betont Deppe. Dies ist der Fall, wenn sich der Körper von Mädchen schon vor dem 8. und der von Jungen vor dem 9. Geburtstag zu entwickeln beginnt. Das Problem dabei ist nämlich, dass auch das Skelett vorzeitig reift. Die Wachstumsfugen in den Knochen schließen sich zu früh, sodass die Kinder am Ende kleinwüchsig bleiben. Um diese Entwicklung zu bremsen, bekommen sie Anti-Hormone. Doch die helfen nur, wenn sie rechtzeitig gegeben werden.

"Es gibt auch Hinweise auf Verhaltensauffälligkeiten und Depression bei diesen Kindern", sagt Deppe. "Aber die Studien dazu sind nicht besonders gut." Jede Form von Pubertät ist für Kinder eine Herausforderung. Vor allem, wenn das soziale Umfeld noch nicht bereit dafür ist. Das erste Mädchen, bei dem sich in der Klasse Brüste unter dem T-Shirt abzeichnen, muss oft Hänseleien ertragen; der Junge mit der kieksenden Stimme auch. "Gerade in so jungem Alter wissen die Kinder oft nicht, was mit ihnen passiert", sagt Charlotte Deppe. "Da sollten Mutter und Vater möglichst entspannt reagieren. Wir sagen nicht umsonst: Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden."

Wenn niemand ein Drama daraus macht, nehmen die Kinder das Ganze jedenfalls gelassener: Die siebenjährige Emmi fand es gar nicht toll, dass sie wohl nicht so bald wieder menstruieren würde. Schließlich hatten ihre Freundinnen im Hort sie bewundert. Zwei hatten so überzeugend erzählt, sie hätten auch bereits ihre Tage, dass die Erzieherin glaubte, das sei heute in dem Alter wohl normal. "Aber sei doch froh, wenn du keine Binden brauchst und es im Bauch nicht zieht", versuchte die Mutter Emmi zu trösten. "Ach", sagte die Kleine. "Ich hatte mich schon daran gewöhnt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: