Dieses Experiment war eine Zumutung. Sobald sich die Versuchspersonen im Bett ausstreckten, trug ihnen eine Stimme per Kopfhörer auf, jetzt so schnell wie möglich einzuschlafen. Sie sollten sich bitteschön auf diese Aufgabe konzentrieren und um die Ernsthaftigkeit der ganzen Angelegenheit zu unterstreichen, wurde ihnen Marschmusik vorgespielt.
Natürlich schliefen die Probanden viel später ein als eine Vergleichsgruppe, die man nicht behelligt hatte. Erstaunlicherweise aber zog sich ihre Unruhe durch die gesamte Nacht. Lange nachdem die schmissigen Klänge verstummt waren, wachten die Probanden immer wieder auf und konnten nur mühsam in den Schlaf zurückfinden.
Ähnlich wie den bedauernswerten Versuchspersonen geht es Nacht für Nacht vielen Menschen. Bei ihnen drängt die Stimme von innen, jetzt aber wirklich schnell einzuschlafen, weil am nächsten Tag viel Arbeit wartet: "Du musst morgen fit sein." Immer wieder schauen diese Menschen zur Uhr und rechnen nach, ob sie noch auf die nötige Menge Schlaf kommen. Das ist so hilfreich wie Marschmusik, urteilen Experten. Denn der Versuch, das Einschlafen zu kontrollieren und die Grübelei, ob der Schlaf wohl reicht, halten erst recht wach. Im schlimmsten Fall beginnt ein tage- oder wochenlanger Kreislauf aus Wachsein und Sorgen um das Wachsein.
Subjektiver Schlafeindruck
Dabei ist die versuchte Kontrolle über den Schlaf in noch einer anderen Hinsicht fruchtlos: Sie verleitet zu Fehleinschätzungen über den eigenen Schlaf. Überwachen Mediziner Patienten im Schlaflabor, stellen sie häufig fest, dass der subjektive Eindruck und die Realität weit auseinanderklaffen. Dabei ist die nächtliche Wirklichkeit meist nicht annähernd so schlimm wie angenommen.
Zum einen überschätzen Menschen die Zeit, die sie zum Einschlafen brauchen. Weckt die entnervte Ehefrau ihren schnarchenden Mann, antwortet dieser nicht selten, er könne gar nicht geschnarcht haben, weil er noch nicht eingeschlafen sei. Das ist keine plumpe Ausrede, sondern eine weitverbreitete Fehlwahrnehmung. In seiner ersten Stunde ist der Schlaf so leicht, dass ihn viele Menschen, die in dieser Zeit aufwachen, als Wachsein empfinden.
Kommen Grübeleien hinzu, verstärkt sich die falsche Wahrnehmung, wie unter anderem Psychologen aus Oxford bewiesen. Die Wissenschaftler verkündeten ihren Versuchspersonen unmittelbar vor dem Einschlafen, sie sollten gleich nach dem Aufwachen einen Vortrag vor Publikum halten. Die Probanden klagten danach, lange zum Einschlafen gebraucht zu haben, obwohl dies gar nicht zutraf. Die Aufzeichnungen aus dem Schlaflabor zeigten, dass sie diese Zeit um 16 Minuten überschätzten. Eine Vergleichsgruppe, die man in Ruhe hatte schlafen lassen, lag mit ihrer Schätzung nur drei Minuten über der tatsächlichen Einschlafzeit.
Paradoxerweise hilft bei der Einschätzung der Einschlafzeit auch die Uhr nicht. Im Gegenteil: Wer beim Einschlafen ständig die Zeiger checkt, liegt mit seiner subjektiven Wahrnehmung besonders daneben. Wissenschaftler aus London berichteten unter dem Titel "Sleeping with the Enemy", dass Uhr-Gucker tatsächlich länger zum Einschlafen brauchen als Menschen ohne Uhr am Bett.
Doch war diese Zeit bei weitem nicht so lang, wie von den Probanden angenommen. Die Schlaf-Aufzeichnungen zeigten, dass sie in der ersten Stunde häufiger kurz aufwachten. Möglicherweise führte dies zur Fehlannahme, in dieser Zeit überhaupt nicht geschlafen zu haben. Das Gleiche könnte auch bei denjenigen passieren, die abends lange grübeln.
Falsch ist sehr häufig auch die Annahme, insgesamt viel zu wenig geschlafen zu haben. Die meisten Menschen schlafen sieben bis acht Stunden pro Nacht. Bei Menschen, die klagen, nachts kaum ein Auge zu schließen, zeigen Messungen im Schlaflabor, dass sie durchschnittlich nur 30 bis 60 Minuten weniger schlafen als Menschen ohne Probleme mit der Nachtruhe. Allerdings ist ihr Schlaf häufig unruhiger. Doch alles in allem, so Dieter Riemann, Leiter des Bereiches Schlafmedizin an der Universität Freiburg, "glauben wir heute, dass das Gehirn schon dafür sorgt, dass es ein Minimum an nötigem Schlaf bekommt."
Und noch etwas ist nicht so katastrophal, wie es sich Menschen in der nächtlichen Schlaflosigkeit ausmalen: die Leistung am nächsten Tag. Studien zeigen, dass Menschen nach einer Nacht mit wenig Schlaf tatsächlich nicht in Topform sind. Allerdings sind ihre Einschränkungen nur leicht bis mittelschwer und betreffen auch nur einige Bereiche.
Das Kurzzeitgedächtnis und die Fähigkeit zum Problemlösen leiden etwas. Die motorischen, sprachlichen und allgemein kognitiven Fähigkeiten scheinen dagegen uneingeschränkt zu funktionieren. Was nicht gut klappt, ist auch in diesem Bereich die Selbstwahrnehmung. Menschen schätzen ihre Leistungen nach einer schlechten Nacht viel miserabler ein, als sie es tatsächlich sind.
Wer sich all diese Erkenntnisse bewusst macht, bleibt gelassener und kann dadurch den Kreislauf aus Sorgen und Wachsein durchbrechen. Auch dies haben Wissenschaftler gezeigt. Und selbst wenn der Schlaf tatsächlich einmal nicht kommt, ist dies kein Drama. "Gelegentliche Schlafstörungen sind normal - vor allem nach aufwühlenden Erlebnissen. Wir wären emotionale Eisblöcke, wenn wir belastende Erfahrungen komplett ausblenden könnten", sagt Riemann.
Erst wenn das Einschlafen über Wochen oder Monate schwerfällt, liegt möglicherweise eine ernsthafte Schlafstörung vor, die am besten von einem Schlafmediziner untersucht und behandelt werden sollte. Adressen von Schlaflaboren finden Sie hier.