Süddeutsche Zeitung

Eierstockkrebs-Früherkennung:Krank getestet

Viele Gynäkologen raten Frauen zu einer Ultraschalluntersuchung, um Eierstockkrebs möglichst früh zu erkennen. Doch die Kontrolle richtet mehr Schaden als Nutzen an.

Von Birgit Herden

Die Patientin sitzt ihrem Gynäkologen gegenüber und traut ihren Ohren kaum: "Ich kann Sie eigentlich nicht beraten, Sie kommen ja nur sporadisch, und Ultraschall lassen Sie auch nicht machen." Nochmals schildert sie ihre Beschwerden, der Arzt reagiert weiterhin mit Achselzucken und weist auf versäumte Ultraschalluntersuchungen hin, obwohl die mit ihrem aktuellen Problem nichts zu tun haben. Endlich ahnt sie, was den Doktor so verstimmt: Sie hat nicht nur zwei Jahre die Krebsvorsorge versäumt, länger schon hat sie eine erweiterte Diagnostik abgelehnt, die sie selbst hätte bezahlen müssen.

Die regelmäßige Ultraschalluntersuchung durch die Vagina wird von vielen Gynäkologen als sogenannte Individuelle Gesundheitsleistung - kurz IGeL - empfohlen. Und mancher Arzt reagiert gereizt, wenn sein Rat abgelehnt wird. Was den meisten Patientinnen nicht klar sein dürfte: Die gerne als "Krebsvorsorge Plus" angepriesene Zusatzleistung hat sich in systematischen Auswertungen nicht nur als nutzlos, sondern gar als gesundheitsgefährdend erwiesen.

Im Gegensatz zu manch anderen Maßnahmen der Krebsfrüherkennung herrscht in diesem Fall unter Fachleuten eigentlich Einigkeit. Die Ultraschalluntersuchung bei Frauen ohne Beschwerden wurde und wird vor allem als Früherkennung von Eierstockkrebs angepriesen, taugt dafür aber nachweislich nicht. Als "skandalös" bezeichnet daher Ingrid Mühlhauser, die an der Universität Hamburg Gesundheitswissenschaften lehrt, das Verhalten der Gynäkologen: "Es ist einfach unsäglich, was da abläuft."

Dabei ist der Wunsch, Eierstockkrebs frühzeitig zu erkennen, nur zu verständlich. Eine von 68 Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an dem aggressiven Tumor, mehr als die Hälfte der Patientinnen stirbt binnen fünf Jahren. Typische Symptome wie Unterleibsschmerzen oder Blutungen können allerdings viele Ursachen haben, daher wird der Krebs oft erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt.

Große Studie: Ultraschall-Vorsorge führt zu mehr unnötigen Operationen

Doch die Hoffnung, durch Früherkennung Leben zu retten, hat sich bislang als vergeblich erwiesen. Die Frühformen der Tumore lassen sich auch im Ultraschall nur schwer erkennen, häufig wird falscher Alarm ausgelöst. Die amerikanische "PLCO"-Studie (Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial) macht dies besonders deutlich. 68 000 Frauen zwischen 55 und 74 Jahren wurden in zwei gleich große Gruppen aufgeteilt. Eine Hälfte der Frauen wurde jedes Jahr mittels Ultraschall auf Anzeichen für Eierstockkrebs untersucht, zusätzlich wurde im Blut nach einem Tumormarker gefahndet; die andere Hälfte erhielt die sonst übliche medizinische Versorgung. Nach 13 Jahren waren in der Vorsorgegruppe 118 Frauen an Eierstockkrebs gestorben - bei den Frauen ohne Ultraschall und Bluttest hingegen nur 100.

Das Maß des Notwendigen

Welche Medikamente, Behandlungen und Untersuchungen die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen müssen, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dem Vertreter von Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenkassen und Krankenhäusern angehören. Laut Gesetz müssen die bewilligten Leistungen "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" sein und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten".

Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) werden von den Kassen nicht übernommen, gesetzlich Versicherte müssen sie selbst bezahlen. Der Markt wächst, etwa 1,5 Milliarden Euro geben Patienten jährlich dafür aus. Meist geht es dabei um angebliche Vorsorgetests. Am häufigsten sind Ultraschall-Untersuchungen, gefolgt von einer Messung des Augeninnendrucks und Bluttests.

Die Mehrzahl der IGeL sind unnötig oder fragwürdig. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat 30 häufige Angebote überprüft. Nur drei wurden als "tendenziell positiv" bewertet, etwa Akupunktur bei Migräne. 23 schätzt der Dienst als "unklar" oder "tendenziell negativ" ein, vier als "negativ", darunter der Ultraschall zur Früherkennung von Eierstock-Krebs (www.igel-monitor.de). SZ

Der Unterschied war statistisch nicht signifikant, sodass auch nicht behauptet werden kann, dass die Vorsorge mehr Krebstote mit sich bringt. Durch den frühen Ultraschall war zwar etwas häufiger Eierstockkrebs diagnostiziert worden, aber geholfen hatte das den Frauen nicht. Das Phänomen ist in der Medizin als "Überdiagnose" bekannt - bei dem Versuch, Krebs frühzeitig zu entdecken, werden auch Menschen therapiert, die gar keinen Krebs haben oder bei denen der Krebs sich nie bemerkbar gemacht hätte. In der PLCO-Studie hatten die Ärzte bei 1292 Frauen in der Vorsorgegruppe aufgrund einer verdächtigen Diagnose einen Eierstock entfernt, obwohl 1080 davon keinen Krebs gehabt hatten, wie sich hinterher herausstellte. Sie waren also unnötig operiert worden - obendrein war es bei 222 Operationen zu Komplikationen gekommen.

Kein Nutzen, dafür aber Schaden - auf Basis dieser und anderer Studien kommt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe im Konsens mit anderen Fachgesellschaften zu dem Schluss: Ein Routine-Screening aller Frauen auf Eierstockkrebs sollte es nicht geben. So steht es auch in der entsprechenden Leitlinie. Trotzdem raten viele Frauenärzte ihren Patientinnen zu dem jährlichen Ultraschall, der zwischen 25 und 53 Euro kostet. Und auch wenn wohl die wenigsten Ärzte so rüde wie in dem eingangs geschilderten Fall vorgehen, wird mitunter erheblicher Druck ausgeübt.

Seit Ende August gibt es auf der Webseite der Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-Westfalen eine Art Pinnwand, auf der Patienten ihren Ärger über IGe-Leistungen aller Art loswerden können. In nur drei Monaten ist dort eine lange Liste von Berichten entstanden, in denen Frauen schildern, wie sie zur Ultraschall-IGeL gedrängt werden. Mit Sprüchen wie "Wenn Sie Krebs haben, ist es zu spät" und "Ihr Auto bringen Sie ja auch in die Inspektion" wird Frauen nahegelegt, doch etwas "für ihre Gesundheit zu tun".

Von einem solchen Geschäftsgebaren distanziert sich zwar der Berufsverband der Frauenärzte, beharrt aber darauf, dass die Untersuchung sinnvoll sei. "Studien sind für mich nicht das Entscheidende, sondern das, was ich in der Praxis mache", sagt Klaus König, zweiter Vorstand des Verbands. Er ist als Autor an der Leitlinie zum Eierstockkrebs beteiligt und bestätigt, dass es kein routinemäßiges Screening auf Eierstockkrebs geben dürfe. Doch an die in der Leitlinie ausführlich zitierte PLCO-Studie kann er sich gar nicht mehr erinnern, und stärker als das Zahlenwerk der evidenzbasierten Medizin wiegt für ihn die erlebte Erfahrung. "Die Frage ist ja auch, wie gut jemand mit dem Ultraschall ist", sagt er, und erzählt von vielen Fällen, in denen er einen auffälligen Befund erst mittels Ultraschall erkannt habe.

Neben der Fahndung in den Eierstöcken kann der Ultraschall auch dazu dienen, Krebs in der Gebärmutter zu diagnostizieren. Doch dass dies als Früherkennung funktioniert, ist weder belegt noch wird es behauptet. Stattdessen argumentieren die Frauenärzte, dass der Ultraschall die übliche Tastuntersuchung ersetze, wenn eine Patientin zu verspannt oder übergewichtig sei. Außerdem wollen sie damit auch gutartige Wucherungen, Zysten oder Myome früher ausfindig machen, bevor diese Beschwerden verursachen. Warum aber solche Wucherungen, die ohne Beschwerden auch nicht behandelt werden, überhaupt frühzeitig erkannt werden sollten, bleibt unklar. "Das ist total unsinnig", sagt Ingrid Mühlhauser. Es sei klar erwiesen, dass die Untersuchung nicht nützt, dafür aber Schaden anrichtet. "Die Ärzte wollen nicht einsehen, dass sie nicht einfach machen können, was sie wollen", sagt die Wissenschaftlerin. "Sie sind eben in klinischer Epidemiologie kaum ausgebildet und verstehen nicht das Prinzip der Überdiagnose - und das paart sich dann unselig mit dem Geschäftsmodell der Zusatzleistungen."

Patienten vertrauen ihrem Arzt, doch wenn der als Verkäufer auftritt, wird es kompliziert

Gynäkologe König führt hingegen an, seine Patientinnen würden von sich aus immer häufiger nach zusätzlichen Untersuchungen verlangen, zum Beispiel weil sie im Bekanntenkreis davon gehört hätten. Dass Gynäkologen ihre Patienten über den Routine-Ultraschall im Sinne der Bundesärztekammer aufklären, darf wohl bezweifelt werden. Nach deren Vorgaben sollten Ärzte ihre Patienten darüber informieren, ob es für den Nutzen einer Zusatzleistung wissenschaftliche Belege gibt und welche Risiken damit verbunden sind. "Letztlich darf ein Arzt aber seinem Patienten jede Leistung anbieten, solange diese nicht unsittlich oder von der Ärztekammer ausdrücklich verboten ist", sagt Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft.

Grundsätzlich beruht das Verhältnis von Patienten zu ihren Ärzten auf dem Vertrauen, dass diese es besser wissen und in erster Linie an ihrer Gesundheit interessiert sind. Und welche Frau, die sich mit gespreizten Beinen von ihrem Gynäkologen untersuchen lässt, mag dem Arzt ihres Vertrauens mit angelesenen Statistiken kommen? Ohnehin geht die Angst vor einer Zweiklassenmedizin um, und so verunsichert häufig schon der Hinweis, dass die Kassen eine Leistung früher bezahlt haben, das nun aber nicht mehr tun. "Ärzte treten heute auch als Verkäufer auf, und so kann es zum Rollenmissbrauch kommen", sagt Bruns. "Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient gerät dann in eine Schieflage."

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Quelle:
SZ vom 05.01.2015/mcs
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