Ebola:Von der Seuche gezeichnet

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Auch mit Plakaten werden die Menschen in Liberia ermahnt, sich vor dem Ebola-Virus zu schützen. Jetzt ist die Krankheit in dem Land unter Kontrolle.

(Foto: AFP)

Die Ebola-Epidemie ist abgeflaut, doch nach und nach werden die Spätfolgen der Krankheit sichtbar. Zu Besuch in Monrovia - das vor einem Jahr der Hölle glich.

Von Isabel Pfaff

Die Gummistiefel der Krankenschwester knirschen im Kies, als sie über den Hof kommt. Der Kontrollgang ist beendet, sie setzt sich zu ihrem Kollegen aus der Putzkolonne, der mit seinem Handy spielt. Ein paar Meter weiter dösen zwei Wachmänner. Es ist Nachmittag, und die vier schlagen die Zeit tot. Außer ihnen ist niemand zu sehen auf dem umzäunten Gelände, aus den weißen Zelten dringt kein Geräusch: Im letzten Ebola-Behandlungszentrum Liberias ist nichts zu tun.

Vor einem Jahr glich dieses Gelände im Osten der Hauptstadt Monrovia einer Art Vorhölle. "Körper, überall", erinnert sich die Schwester. Was sich damals täglich vor ihren Augen abspielte, sahen im Herbst 2014 endlich auch Fernsehzuschauer in Deutschland, Frankreich und Amerika. Kranke, die an den Pforten der Ebola-Stationen abgewiesen wurden, weil kein Platz mehr für sie war. Sterbende auf den Straßen, Tote in den Abwasserkanälen. Langsam wurde der Welt klar, dass der Ebola-Ausbruch in Westafrika der schlimmste aller Zeiten ist. Endlich liefen die Hilfen an, für Tausende kamen sie zu spät. Und der Ausbruch ist noch nicht vorbei: Guinea meldet noch Fälle, in Sierra Leone liegt der neueste nur ein paar Wochen zurück.

Hier gebe es nur noch eine Patientin, sagt die Schwester und zeigt auf eines der Zelte, es sei aber lediglich ein Verdachtsfall. Im Juli ist das Virus zum letzten Mal in Liberia aufgetaucht, seit Anfang September darf sich das Land offiziell Ebola-frei nennen. Das Behandlungszentrum erinnert trotzdem noch an ein Armee-Feldlager. Riesige Zelte mit mehr als 60 Betten, vier Ankleide-Zelte für Pfleger und Putzkräfte, eine Chlor-Station, die Wäscherei mit Dutzenden Waschmaschinen, eine Verbrennungsanlage für die benutzte Krankenwäsche. Und über all dem: Stille. Wenn es gut geht mit Liberia, wird auch diese Station im Dezember geschlossen.

Spuren der Epidemie sind in Monrovia, der Hauptstadt am Meer, kaum noch zu sehen. An den Straßen ein paar Schilder der Präventionskampagne "Ebola must go". Vor vielen Hauseingängen Wassereimer mit Zapfhähnen, zum Händewaschen. Ansonsten: Schulkinder in grün-weißen Uniformen, die sich nach Hause trollen, vorbei an Straßenhändlern, die den Autofahrern Kekse, Nüsse, manchmal auch einen zappelnden Krebs anbieten. Und die gelben Taxis sind wieder da. Noch vor einem Jahr wagte sich kaum jemand in die klapprigen Autos, sie galten als todbringend, weil die Kranken damit zu den Spitälern fuhren, sich darin erbrachen oder ihr infiziertes Blut zurückließen. Heute teilen sich vier oder fünf Leute wieder eines, quetschen sich auf die Rückbank, Haut an Haut.

Und doch: Das Virus hat das Land noch nicht losgelassen. Es fegt keine Stadtviertel mehr leer, aber es ist tief in den Alltag der Menschen gekrochen.

"Ich sah, wie sich die anderen aufgaben, hörte, wie sie um den Tod bettelten"

Eine, die Ebola überlebt hat, ist Jessica Sampson. Die 29-Jährige in Poloshirt und Jeansrock steht auf einem Parkplatz im Zentrum und plaudert mit zwei Arbeitskollegen. Vor zwei Wochen hat sie ihren Verlobten geheiratet, sie zeigt stolz ihre Hand, an der ein ziemlich großer Ring funkelt, zückt das Handy, wischt über die Fotos von sich in weißem Kleid. Wenn sie sich mit Namen vorstellt, kichert sie kurz: "Jessica Sampson, neuerdings!" Vor einem Jahr noch rang sie mit dem Tod.

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Jessica Sampson bekommt gegen die Spätfolgen Medikamente.

"Ich dachte anfangs, das sei eine schwere Malaria", erzählt die junge Frau. Sie legte sich ins Bett, nahm die üblichen Medikamente, doch das Fieber ging nicht runter. Irgendwann dämmerte es ihr. Wenige Tage zuvor hatte sie sich um den kranken Bruder ihres Verlobten gekümmert, der hatte über Kopf- und Gliederschmerzen geklagt. Ihr Verlobter besorgte sofort ein Taxi, brachte sie zu einer Ebola-Station. Einen Tag später kam ihr Testergebnis. Positiv.

"Ebola ist keine gute Krankheit", sagt Sampson nur. Fast zwei Wochen verbrachte sie im Behandlungszentrum. Um sie herum starben die Menschen einfach weg. "Ich sah, wie sich die anderen aufgaben, hörte, wie sie um den Tod bettelten", erzählt Sampson. Nach zehn Tagen ging es ihr langsam besser. Sie hatte Glück. Als sie sich infizierte, gab es zwar immer noch kein Mittel gegen Ebola, dafür aber mehr Ärzte, mehr Pfleger, mehr Betten als zu Beginn des Ausbruchs. Im Herbst 2014 überlebte fast die Hälfte der Kranken die Infektion mit dem gefährlichen Virus.

Am 9. November wurde Sampson aus dem Behandlungszentrum entlassen. Die Christin ist fest davon überzeugt, dass Gott sie nicht ohne Grund gerettet hat. "Er wollte mir die Kraft geben, mich für andere einzusetzen", glaubt sie.

Deshalb steht sie heute hier, auf diesem Parkplatz. Gleich wird sie mit ihren Kollegen in einen Jeep steigen, der sie ins Landesinnere, nach Bomi, bringt. Seit Januar arbeitet Jessica Sampson als Sozialarbeiterin. Ihr Arbeitgeber, die Organisation Resh, kümmert sich um Kinder, die Ebola überlebt oder ihre Eltern durch die Krankheit verloren haben. In der Provinz Bomi sind es besonders viele. Resh hat in der Provinzhauptstadt eine Kindertagesstätte für diese Kinder gegründet, zwei Mal im Monat fährt Sampson hin.

Seit ihrer Entlassung hat sie heftige Schmerzen in den Beinen, vor allem in den Knien und Knöcheln. Auch der Kopf tut ihr weh. Die Kliniken, die sich in Monrovia um Ebola-Überlebende kümmern, verzeichnen diese Symptome häufig bei ihren Patienten: Gelenkschmerzen, Taubheit in den Gliedern, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche. Viele klagen auch über Augen- und Ohrenprobleme, manche Männer über Impotenz.

Die Spätfolgen der Infektion sind kaum erforscht

Das Problem: Die Medizin weiß kaum etwas über die Spätfolgen einer Ebola-Infektion. Erst vor wenigen Tagen hat die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Warnung herausgegeben: Das Virus existiert länger als bisher angenommen im männlichen Samen - nämlich bis zu neun Monate. Gleichzeitig meldete ein britisches Krankenhaus, dass eine Krankenschwester, die Anfang des Jahres eine Ebola-Infektion überlebt hatte, nun wieder in der Klinik sei. Das Virus hatte offenbar eine Hirnhautentzündung ausgelöst, es existierte noch immer in ihrem Körper.

Keine guten Nachrichten für die etwa 5000 Menschen, die Ebola in Liberia überlebt haben. Sie wissen nicht, wie lange sie ansteckend sind, ob die Schmerzen irgendwann aufhören - nicht einmal, wie hoch ihre Lebenserwartung ist. Nun sind erste Studien über die Langzeitschäden von Ebola angelaufen. Auch Jessica Sampson nimmt an einer teil. Alle sechs Monate geht sie ins John-F.-Kennedy-Krankenhaus, lässt sich untersuchen und bekommt Medikamente.

Inzwischen gehe es ihr besser, erklärt sie. Doch gegen manche Leiden helfen auch die Medikamente nicht. "Wenn ich alleine bin, holen mich die Dinge ein, die ich auf der Ebola-Station gesehen habe", sagt Sampson. So viele habe sie sterben sehen, so viele Leichen. Manchmal hört sie die Menschen noch weinen, wie sie Gott um den Tod bitten.

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Viele Überlebende kommen traumatisiert aus der Ebola-Station zurück, nur wenige können über ihre Erlebnisse dort sprechen. Sampson kann es - auch weil es ihr heute relativ gut geht. "Keiner aus meiner Familie hat sich angesteckt", sagt sie, weder ihre Eltern, Geschwister noch ihr heutiger Mann. Ihr Umfeld ist intakt, sie konnte nach ihrer Entlassung einfach zu ihren Eltern zurückkehren.

Vor Kurzem ist sie zu ihrem Mann gezogen. "Ich trage dieselben Klamotten wie vorher, ich schlafe auf derselben Matratze." Das ist keine Selbstverständlichkeit. Meist wurden die Habseligkeiten von Ebola-Patienten verbrannt, aus Angst vor einer Ansteckung. Doch in ihrem Fall hat keiner von ihrer Infektion erfahren. Im Haus der Eltern lebt niemand sonst, keiner bemerkte ihre schwere Krankheit. Sampson wurde auch nicht vom Krankenwagen abgeholt, sie stieg selbst in ein Taxi. "In meinem Viertel und auch in meiner Kirche weiß fast niemand, dass ich eine Überlebende bin." Sie will, dass das so bleibt.

Den Überlebenden haftet ein Stigma an

Ihre Entscheidung sagt viel über das Stigma, das Ebola-Überlebenden anhaftet. Den meisten versperrt es die Rückkehr in ihr altes Leben. In Finda Howards Welt zum Beispiel ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Um mit ihr zu sprechen, muss man weit in den Norden Monrovias fahren, am Meer entlang, über den St. Paul River, bis nach Brewerville. Mit einem schüchternen Lächeln macht die kräftige Frau das Tor auf. Sie schickt ein paar neugierige Kinder ins Haus und bittet auf die Terrasse. Für zwei Tage die Woche ist dieses Haus samt Wiese und Spielplatz Finda Howards Arbeitsplatz: ein Heim für Waisenkinder, um fünf Kleinkinder und zwei Babys kümmert sie sich.

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Finda Howard ist geheilt - und hat trotzdem viel verloren.

"Früher habe ich mit Stoffen gehandelt", erzählt die 29-Jährige, "aber nach Ebola ging das nicht mehr." Ihr Ehemann, ihr Sohn und sie selbst hatten sich im September 2014 mit dem Virus infiziert. Der Mann erkrankte zuerst, Finda Howard pflegte ihn zu Hause. Drei ihrer vier Kinder konnte sie bei ihrer Schwester unterbringen, eines blieb bei ihr. Als ihr Mann starb, hatten sie und ihr Sohn sich schon angesteckt. Howard ließ die Leiche im Haus zurück, schleppte sich mit dem Kind zur nächsten Polizeistation, dort rief man für sie einen Krankenwagen. Drei Wochen lag Howard auf der Ebola-Station, ihr siebenjähriger Sohn neben ihr. "Es war nicht leicht", sagt sie immer wieder. An ein paar Tage kann sich die junge Frau nicht mehr erinnern, sie sind wie gelöscht.

Finda Howard besiegte das Virus, auch ihr Sohn erholte sich. Aber die Freude über ihre Heilung währte nicht lange. Als sie in ihre winzige Wohnung zurückkehrten, fanden sie leere Zimmer vor. Weil ihr Mann im Haus gestorben war, hatte der Vermieter fast alles verbrennen lassen, auch die Stoffe, mit denen Finda Howard gehandelt hatte. Ihr gesamter Besitz, ihre Existenzgrundlage, alles weg.

"Dann sagte er, ich dürfe nicht mehr im Hof waschen", erzählt Howard. "Auch mein Wasser dürfe ich nicht mehr dort holen, wo es die anderen Hausbewohner holen." Die Leute im Viertel mieden sie, Eltern ließen ihre Kinder nicht mit den ihren spielen. "Ich heulte tagelang. Wir waren vollkommen allein." Hinzu kamen die körperlichen Beschwerden. Wie Jessica Sampson leidet auch Finda Howard unter Gelenkschmerzen, ihr Sohn war nach der Entlassung fast blind. Sie fanden Hilfe bei der Überlebenden-Klinik von Ärzte ohne Grenzen. Inzwischen kann der Junge wieder sehen, auch der Mutter geht es etwas besser.

Die Witwe lebt heute mit ihren vier Kindern in einem anderen Viertel, nach drei Monaten der Ausgrenzung konnte die Familie nicht mehr. Durch Howards Job im Waisenheim haben die fünf ein kleines Einkommen. "Manchmal laden Hilfsorganisationen ein paar Lebensmittel bei uns zu Hause ab", sagt Howard. Nach der Entlassung habe sie sogar ein bisschen Geld vom Welternährungsprogramm bekommen, auch Unicef vergebe kleine Summen an Familien, die Angehörige durch Ebola verloren haben. Doch systematisch unterstützt werden Ebola-Überlebende in Liberia bis heute nicht. Finda Howard ist nach dem Tod ihres Mannes die alleinige Ernährerin. "Bald will ich wieder als Händlerin anfangen", sagt sie, der Vertrag mit dem Waisenhaus läuft im Dezember aus. Wird das reichen? Sie hebt die Schultern und lächelt.

Jessica Sampson hat mit ihrem Job bei Resh Glück gehabt. Sie verdient ein bisschen Geld, und mit ihren Kollegen kann sie offen über ihre Erkrankung sprechen. Nach zwei holprigen Autostunden sind die drei Sozialarbeiter in Tubmanburg, der Hauptstadt der Bomi-Provinz, angekommen. Sampson begrüßt die Kinder und lässt sich zeigen, was sie in der vergangenen Stunde gemalt haben. Ihren Lieblingsort sollten sie zu Papier bringen, auf den Bögen sind Bäume mit Bänken darunter zu sehen, aufgeschlagene Bücher, Fußbälle. Ein paar Kinder haben auch Mangos und Äpfel gemalt. "Weil ich die gerne esse", flüstert ein Mädchen zur Begründung. Essen sei oft ein Thema, sagt Sampson. Viele Familien haben Kinder von Ebola-Opfern aufgenommen, meist ihre Neffen oder Nichten. Wenn Eltern sieben statt vier Kinder versorgen müssen, wird das Essen knapp.

Die meisten hier seien traumatisiert, erklärt Sampson, sie hätten verlernt, Dinge zum Spaß zu tun oder auch einfach nur einander zu berühren. "Hier sollen sie wieder spielen lernen." Die Kinder wuseln aufgeregt um ihre Betreuerin herum, zwei Jungs klemmen sich kleine Trommeln zwischen die Schenkel, ein paar der älteren Mädchen fangen an zu tanzen. Jessica Sampson filmt die Vorführung mit dem Handy, am Ende klatscht sie. Auch wenn Ebola sonst schwer aus ihrem Leben wegzudenken ist: In diesem Moment haben Jessica und die Kinder das Virus vergessen.

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