Süddeutsche Zeitung

Ebola:Krankheit der Armen

Der Westen ist aufgewacht: Die seit Monaten in Afrika grassierende Ebola-Epidemie gilt nun als internationaler Notstand. Dabei hätte es schon früh die Chance gegeben, das Virus einzudämmen.

Von Tobias Zick

Männer in orangefarbenen Schutzanzügen wuchten einen Todkranken aus einem Militärflugzeug. Der Patient liegt in einem luftdichten Plastikzylinder, die Helfer fahren ihn im Konvoi mit Blaulicht in eine Spezialklinik, wo er als einziger Patient auf der gesamten Station liegen wird. Die anderen Kranken sind rechtzeitig in Sicherheit geschafft worden. Miguel Pajares, 75, bis dato Missionar im westafrikanischen Liberia, ist zurück in seiner Heimat, in Spaniens Hauptstadt Madrid, und die Öffentlichkeit diskutiert, inwieweit sein mit dem Ebola-Erreger ringender Körper eine Bedrohung für die Nation darstelle: "Man darf die Mediziner hier in Madrid nicht unnötigen Risiken aussetzen", sagt etwa der Vorsitzende der spanischen Ärztegewerkschaft.

Es sind Fernsehbilder dieser Woche, Szenen aus Europa, die keinen Zweifel lassen: Ebola ist nicht länger ein afrikanisches Problem - es ist ein Problem der ganzen Welt.

Genau dies hat nun auch die Weltgesundheitsorganisation WHO festgestellt. Die Ebola-Epidemie ist jetzt offiziell ein "internationaler Notfall". Damit hat die WHO, eine UN-Organisation, zusätzliche Befugnisse, den Staaten Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung des Virus zu diktieren, völkerrechtlich bindend.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, müht sich unterdessen, einer Panik vorzubeugen: "Wir brauchen uns in Deutschland vor Ebola nicht zu fürchten", erklärte er am Freitag; das Land und sein Gesundheitssystem seien "hervorragend gerüstet". Und schließlich handele es sich, wie der für Gesundheitsschutz zuständige WHO-Direktor Keiji Fukuda ausführt, bei Ebola "nicht um eine mysteriöse Krankheit. Es ist eine Infektionskrankheit, die eingedämmt werden kann." Und zwar indem Kranke identifiziert und isoliert werden - so wie es sich in der Vergangenheit bei Ebola-Ausbrüchen in Afrika bewährt hat. Im ostafrikanischen Uganda etwa starb 2011 ein zwölfjähriges Mädchen an dem Virus, und dank der schnellen Reaktion von Ärzten und Behörden blieb es bei diesem Einzelfall. Der Erreger konnte auf keinen einzigen weiteren Menschen überspringen.

In der Tat zielt die Ausrufung des internationalen Notstandes durch die WHO weniger darauf ab, eine Bedrohung der gesamten Menschheit heraufzubeschwören - als vielmehr darauf, die betroffenen Länder entschlossener zu unterstützen, als das bislang geschieht. Diese hätten "bis jetzt schlicht nicht die Kapazitäten, einen Ausbruch dieser Größe und Komplexität allein zu bewältigen", sagt WHO-Chefin Margaret Chan: Wenn die Weltgemeinschaft nicht die dringend nötige Solidarität aufbringe, den westafrikanischen Staaten zu helfen, könnten diese "um viele Jahre zurückgeworfen werden". Schließlich handele es sich um drei Länder, die gerade erst dabei sind, sich von "jahrelangen Konflikten und Schwierigkeiten zu erholen".

So spektakulär das Virus auch tötet: Die Tatsache, dass es sich in den drei Ländern bislang so ungehemmt ausbreiten konnte, wirft vor allem ein Schlaglicht auf die tief wurzelnden politischen und gesellschaftlichen Missstände dort. Guinea, Sierra Leone und Liberia gehören zu den ärmsten Staaten der Welt, das Vertrauen in die Eliten und die staatlichen Institutionen ist gering - aus nachvollziehbaren Gründen, wie sich aktuell nun wieder zeigt.

In Liberia etwa wurden die beiden ersten Ebola-Fälle Mitte März registriert; die Kranken waren offenbar über die weitgehend offene Grenze aus dem Nachbarland Guinea gekommen, wo der Ausbruch begonnen hatte. Anfang April fiel bei einem weiteren Mann der Test auf das Virus positiv aus - und in seinem Fall gab es keine Hinweise darauf, dass er Kontakt mit Menschen aus Guinea gehabt oder selbst dorthin gereist wäre. Ein Alarmzeichen: Offenbar war das Virus bereits dabei, sich in Liberia eigenständig auszubreiten.

Doch die Regierenden in der Hauptstadt Monrovia, die sich für das Geschehen in den entlegenen ländlichen Gebieten generell nur mäßig interessieren, ließen sich davon kaum aufrütteln. Erst Mitte April ließ die Regierung das erste Testlabor eröffnen - mehrere Autostunden von den Ausbruchsgebieten im Norden des Landes entfernt.

Auch im benachbarten Sierra Leone, wo sich das Virus am rasantesten ausgebreitet hat, war es vor allem das Fehlen einer entschlossenen Informations- und Aufklärungspolitik - so konnten Falschinformationen und Gerüchte ungehemmt grassieren, in einer Gesellschaft, in dessen kollektivem Bewusstsein die Kolonialzeit und ein äußerst brutaler Bürgerkrieg in den 1990er Jahren noch immer präsent sind. Zwar hat das Land seit Ende des Krieges vor zwölf Jahren beachtliche Fortschritte im Wiederaufbau gemacht - doch noch immer haben die Menschen in den ländlichen Gegenden oft den Eindruck, von den Eliten in der Hauptstadt vernachlässigt zu werden. Vom Wirtschaftswachstum, das numerisch zu den höchsten des Kontinents gehört, spüren sie außerhalb der großen Städte wenig.

Wenn dann plötzlich Vertreter dieses fernen, abstrakten Staates in Dörfern auftauchen, schlägt ihnen oft Misstrauen entgegen - und wenn die Bürokraten auch noch in Begleitung hellhäutiger Ausländer kommen, umso schlimmer. Mehrfach machten Gerüchte die Runde, die Europäer hätten die Krankheit erst ins Land gebracht, und in ihren Behandlungszentren stellten sie grausame Menschenversuche mit den dorthin Verschleppten an. Dass viele nicht lebend zurück kamen, schien diese Befürchtungen zu belegen.

So besteht für die Helfer von "Ärzte ohne Grenzen" und dem Roten Kreuz eine der größten Herausforderungen darin, Kranke in entlegenen Dörfern aufzuspüren - und deren Angehörige und Dorfoberhäupter davon zu überzeugen, ihnen den Abtransport der Kranken zu gestatten. Die weißen Schutzanzüge, in denen die Ausländer dabei oft auftreten, wirken obendrein nicht gerade als vertrauensbildende Maßnahme. Mitunter verstecken Familien ihre kranken, hochansteckenden Angehörigen gezielt vor dem Zugriff der vermeintlichen Invasoren; in einem besonders spektakulären Fall verschwand eine infizierte junge Frau im Juli aus einer Klinik in der Hauptstadt Freetown, entführt von ihrer Familie. Radiosender verbreiteten regelrechte Fahndungsaufrufe nach der Frau, die ein "Risiko für alle" darstelle. Schließlich stellte sich die Frau den Behörden und erlag wenige Tage später ihrer Infektion.

Mehr als 60 Ärzte und Helfer sind in den drei Ländern inzwischen selbst an Ebola gestorben, darunter fünf Krankenschwestern, die sich im Juli in einer Klinik in der Stadt Kenema, Sierra Leone, infizierten. Wie sich später herausstellte, hatte ihnen die nötige Schutzausrüstung gefehlt; Anzüge, Brillen, Atemmasken, Stiefel. Die bis dato noch gesunden Kolleginnen traten darauf hin in den Streik für bessere Arbeitsbedingungen, die Regierung versprach ihnen eine zusätzliche Gefahrenzulage von umgerechnet rund 22 Euro pro Woche, doch es blieb bei der Ankündigung.

Fälle wie diese zeigen, worum es sich bei dem Erreger, der imstande ist, auf der ganzen Welt Angst und Schrecken zu verbreiten, in Wirklichkeit vor allem handelt: um eine Krankheit der Armen.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2014
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