Ebola in Westafrika:Seuche mit Angstfaktor

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Die Ebola-Epidemie wütet seit einem Dreivierteljahr, hat fünf Länder erreicht und dabei mehr Menschen getötet als alle vorangegangenen Ausbrüche dieser Krankheit (Foto: AFP)

In Liberia scheint Ebola außer Kontrolle zu sein, in anderen Staaten Westafrikas ist es ähnlich verheerend. Die Epidemie ist weit schlimmer als alle vorausgegangen Ausbrüche. Zehn Gründe, warum dieser Ausbruch so dramatisch verläuft.

Von Berit Uhlmann

Ebola eine Gefahr für einen ganzen Kontinent? Noch vor einem Jahr hätten die meisten Wissenschaftler die Furcht vor einem Flächenbrand zurückgewiesen. Das Virus hat seit seiner Entdeckung 1976 vor allem Strohfeuer verursacht, heftig, zerstörerisch, aber immer kurz. Die jetzige Epidemie dagegen wütet seit einem Dreivierteljahr, hat fünf Länder erreicht und dabei bereits mehr Menschen getötet als alle vorangegangenen Ausbrüche dieser Krankheit. Was ist diesmal anders?

Der Erreger: Das derzeit in Westafrika grassierende Virus stellt Forscher noch vor Rätsel. Genomanalysen zeigten, dass es sich im Laufe des Ausbruchs rasch veränderte. Ob die Mutationen zur Dramatik des Ausbruchs beitrugen, ist noch ungewiss. Auffällig ist, dass das Virus - trotz der schlechten Versorgungslage in den betroffenen Gebieten - fast die Hälfte seiner Opfer überleben lässt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Erreger weitergeben.

Das Epizentrum des Ausbruchs: Die Epidemie nahm ihren Ausgang in der Präfektur Guéckédou in Guinea - in einer Gegend, die sich wie ein Faustkeil zwischen die Grenze von Sierra Leone und Liberia schiebt. Viele der Menschen verdingen sich dort als Tagelöhner, arbeiten heute diesseits, morgen jenseits der Grenzen. Noch ehe die Welt des Ausbruchs richtig gewahr wurde, hatte er bereits alle drei Länder erreicht.

Fehlende Infektionskontrolle in den Gebieten: Guinea belegt den achtletzten Platz im Human Development Index der Vereinten Nationen, ebenso wie im Ranking der Weltbank. Liberia und Sierra Leone stehen kaum besser da. Solche Staaten leisten sich keine Seuchenkontrolle. Es dauerte volle drei Monate, ehe der Ausbruch erkannt wurde. Zu der Zeit waren bereits 50 Fälle registriert. Jeder der Infizierten steckte im Schnitt 1,5 weitere Menschen an, denn für die schnelle Eindämmung der Seuche fehlten Erfahrungen und Mittel.

Mangelnde medizinische Ausrüstung: Auch wenn erprobte Arzneien nicht existieren, lässt sich Ebola eindämmen: durch strikte Quarantäne. Doch funktionierende Isolierstationen fehlen in den betroffenen Ländern. Selbst als die Seuche auf die nigerianische Millionenstadt Lagos übergriff, mussten Mediziner fast zwei Wochen warten, ehe ein Quarantänezentrum errichtet wurde, klagte die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC. Schutzausrüstung, Labore, sichere Transportmöglichkeiten - "in den Ebola-Ländern mangelt es einfach an allem", sagt Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen.

Fehlendes medizinisches Personal: Wenn es denn ausreichende Schutzausrüstungen gibt, stellen sie die Helfer vor neue Schwierigkeiten. In der oft lähmenden afrikanischen Hitze wird ein Ganzkörperanzug über den schwitzenden Leib gezogen, beschreibt eine Krankenschwester im New England Journal of Medicine: Hinzu kommen eine schwere Schürze, Kopfbedeckung, eine Schutzbrille, zwei Gesichtsmasken, zwei Paar dicke Handschuhe und Stiefel. Das Ankleiden dauert geschlagene fünf Minuten und wird durch einen eigens dafür abgestellten Mitarbeiter kontrolliert. Es wird so heiß unter dieser Montur, dass die Mitarbeiter nach 40 Minuten abgelöst und ihre Kleidung unter ebenso großen Sicherheitsvorkehrungen sterilisiert oder verbrannt werden sollen.

Deshalb werde mindestens zweimal mehr Personal benötigt als Patienten betreut werden, empfiehlt die WHO. Ein solcher Personalschlüssel ist in den betroffenen Staaten illusorisch; hier kommen maximal zwei bis drei Ärzte auf 100.000 Einwohner. Und so eilten Helfer eben auch ohne die hinderliche Schutzkleidung herbei, wenn ihnen ein fieberglühendes Kind gebracht wurde. Die Folge ist eine ungewöhnlich hohe Zahl von medizinischen Angestellten unter den Opfern. 120 Helfer starben bis Ende August. Die Verluste verschärften den Personalmangel. Einrichtungen mussten geschlossen werden, Angestellte streikten, ausländische Helfer kamen und kommen nur zögerlich.

Kulturelle Gepflogenheiten: An die Stelle der fehlenden Ärzte treten in den betroffenen Ländern oft traditionelle Heiler. Sie mögen eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllen, doch zur Infektionskontrolle ist ihr Vorgehen oftmals hinderlich oder gar kontraproduktiv. So hatten Heiler auf vorangegangene Ausbrüche mit Aderlässen reagiert - ausgeführt mit nicht sterilen Messern, über die das Virus weiter verbreitet wurde. Traditionelle Bestattungen, bei denen sich die Angehörigen durch engen Körperkontakt vom Verstorbenen verabschieden, sind ein weiteres Problem. In Guinea gingen nach Schätzungen der WHO anfangs 60 Prozent der Übertragungen auf diese Rituale zurück. Solche tief verwurzelten Traditionen lassen sich nur durch geduldige und feinfühlige Aufklärung ändern. Doch in den betroffenen Ländern fehlen oft schon die Mittel, um einfache Botschaften zu verbreiten.

Fehlende Aufklärung: Wie sollen die Einwohner gewarnt werden, wenn - wie in Guinea - nur 25 Prozent von ihnen leidlich lesen können und elektronische Medien Mangelware sind? Auch in Liberia und Sierra Leone erreicht die Alphabetisierungsrate keine 50 Prozent. Anstelle von Informationen treten Gerüchte, Mythen, Absurditäten. Kondensmilch und Zwiebeln kursierten als Geheimtipp gegen Ebola. Zwei Nigerianer sollen an einer Überdosis Salzwasser gestorben sein, die sie im Glauben an eine vorbeugende Wirkung getrunken hatten. Ausländische Ärzte wurden angegriffen, weil die Menschen glaubten, sie hätten die Krankheit erst ins Land gebracht.

Fehlendes Vertrauen in Institutionen: Die mangelnde Kooperation der Einwohner versuchten die Staaten durch drastisches Durchgreifen zu kompensieren. Doch in Ländern, die Bürgerkriege, Diktaturen, Jahrzehnte der Instabilität erlebt hatten, verstärkten militärische Maßnahmen den Reflex, sich lieber auf sich selbst zu verlassen. Menschen flohen aus Quarantänestationen, versteckten Erkrankte oder brachten sie in entferntere Regionen, wo sie neue Krankheitsherde verursachten.

Die WHO reagierte spät: Es war kein einfaches Frühjahr für die WHO. Im arabischen Raum verbreitete sich das neue, tödliche Coronavirus Mers, von dem noch nicht klar war, ob es das Gefährdungspotenzial seines Verwandten Sars hatte. Im Mai rief die Behörde den internationalen Notstand aus, da die unter enormen Anstrengungen fast schon ausgerottete Kinderlähmung wieder um sich griff. Der etwa 20. Ebola-Ausbruch in Afrika schien da nur eine Randnotiz. Zumal die Behörde unter Mittelkürzungen litt. Das Budget für 2014/15 liegt etwa 25 Prozent niedriger als noch vier Jahre zuvor. Die Mittel für die Bekämpfung von Ausbrüchen schrumpften innerhalb von zwei Jahren um die Hälfte. Schon Ende Juni warnte die Organisation Ärzte ohne Grenzen: "Die Epidemie ist außer Kontrolle." Es dauerte noch fast sechs Wochen, ehe die WHO den Gesundheitsnotfall ausrief.

Übertriebene Panik im Rest der Welt: 40 Prozent der Amerikaner glauben an einen bevorstehenden, massiven Ebola-Ausbruch im eigenen Land, 26 Prozent sind laut einer Umfrage der Harvard School of Public Health überzeugt, dass die Krankheit innerhalb eines Jahres ihre Familie erreicht. Diese Befürchtungen sind unbegründet; Ausbrüche können in den westlichen Ländern im Keim erstickt werden. Doch sie schüren ein Klima der Angst, das den Kampf gegen die Erkrankung erschwert. So wurden Flugverbindungen gekappt. Wenn sich überhaupt Helfer finden, erreichen sie die Epidemie-Gebiete nicht rechtzeitig, Hilfslieferungen bleiben aus und verschärfen die Lage weiter. WHO-Chefin Margaret Chan sagte im Interview mit der New York Times: "Ich habe mich in meinem Leben um so viele Ausbrüche gekümmert. Und um neue Krankheiten. Dieser ist der schwierigste. Wissen Sie warum? Es ist der Angst-Faktor."

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