Ebola:Auf der Suche nach der Seuche

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Wer hier fällt, muss sich allein helfen: Anfassen ist im Ebola-Gebiet verboten. (Foto: Kai Kuperschmidt)

Eine Frau ist verschwunden, sie hat sich womöglich mit Ebola infiziert. Im Dschungel von Liberia verfolgen Spezialisten ihre Spur. Unterwegs mit dem Suchtrupp.

Von Kai Kupferschmidt

Die Karte, die helfen soll, das Ebola-Virus zu jagen, sieht aus wie die Zeichnung eines Grundschülers. Sie hängt an der Wand einer kleinen Krankenstation in Fenutoli in der Region Bong, im Herzen Liberias. In der Mitte der Skizze ist die Station zu sehen: eine schiefe Tür, zwei schiefe Fenster, ein Kreuz auf dem Dach. Drumherum schlängeln sich Linien in alle Richtungen. In krakeliger Schrift sind Ortsnamen angegeben. An der Spitze von einem der Arme steht Fenemeeta. Das ist das Ziel. Das Dorf, das wir suchen. Eine Frau, die Kontakt mit einem Ebola-Patienten hatte, soll dorthin geflüchtet sein.

Die Details sind unklar. Möglicherweise hat die Frau Symptome. Vielleicht ist sie schwanger. Vielleicht heißt sie mit Nachnamen Moses, vielleicht auch Washington. Wir müssen sie finden, sagt Arthur Mutawee, ein Epidemiologe aus Uganda. Weil sie andere im Dorf anstecken könnte.

"Was erwarten Sie dort zu finden?"

"Das Schlimmste."

"Das heißt?"

"Kranke und Tote. Viele."

Ebola ist im März nach Liberia gekommen, im Norden über die Grenze zu Guinea. Das Virus breitete sich langsam nach Süden aus und erreichte die Hauptstadt Monrovia. Dann explodierten die Fallzahlen. Der schwedische Statistiker Hans Rosling, Berater des Gesundheitsministeriums, sitzt auf dem Dach des Royal Hotels, holt seinen Laptop aus der Tasche und deutet auf eine Grafik. Eine blaue Linie zeigt die normale Sterblichkeit: etwa 30 Tote pro Tag pro eine Million Menschen. Rosling nennt das die Wasserlinie. In der Mitte des Bildschirms ragt ein roter Balken weit über die Wasserlinie hinaus. Das war im September. Achtzig Menschen starben an manchen Tagen an Ebola allein in Montserrado, der Region, zu der Monrovia gehört. "Ebola war damals die Haupttodesursache", sagt Rosling. "Das Monster war an Land und für jeden zu sehen."

West Point, der größte Slum in Monrovia, knapp 70 000 Einwohner, wurde abgeriegelt, Schulen und Krankenhäuser geschlossen. Die Ebola-Behandlungszentren waren überfüllt, todkranke Patienten wurden an den Toren abgewiesen, Leichen verwesten auf den Straßen. Rosling deutet auf einen zweiten roten Balken, er reicht nicht bis an die Wasserlinie. Das ist November. Etwa 20 Fälle werden nun pro Tag im ganzen Land gemeldet. Die Menschen hätten ihr Verhalten geändert, sagt der Forscher. Kaum jemand gibt sich in Liberia noch die Hand, viele Tote werden nicht mehr traditionell beerdigt, sondern verbrannt. Die internationale Hilfe habe funktioniert. Während in Sierra Leone, die Zahlen weiter rasant steigen, verbreitet sich in Liberia das Virus langsamer. "Das Monster ist wieder im Wasser", sagt Rosling. "Jetzt jagt das Virus nicht mehr uns, sondern wir jagen das Virus."

Das heißt nicht, dass Ebola besiegt ist. Die neue Phase im Kampf gegen das Virus ist sogar schwieriger als die erste. Um die Epidemie vollständig zu ersticken, muss jeder einzelne Kranke gefunden werden, Angehörige müssen befragt und jede Kontaktperson ausfindig gemacht werden. Ein einziger übersehener Kontakt könnte den nächsten Ausbruch verursachen.

Die Frau, die Washington oder Moses heißt, ist so ein Kontakt, und darum ist ein Team von Spezialisten nun auf der Suche nach ihr. "Contact tracing" heißt das: "Kontakte aufspüren." Mutawee gehört zu einem Team, das die Afrikanische Union nach Liberia geschickt hat. Er hat Erfahrung mit Ebola, er hat in Uganda schon einen Ausbruch bekämpft. Auch zwei Helfer von Ärzte ohne Grenzen sind als Beobachter dabei. Leiter der Gruppe ist Emmanuel, "surveillance officer" der Region Bong.

Das Team ist von Gbarnga, der Hauptstadt der Region, etwa eineinhalb Stunden über eine feste Straße gefahren, dann eine Stunde über einen Feldweg. Einige der Dörfer, die wir passieren, sind abgeriegelt. Sie stehen unter Quarantäne, das World Food Programme versorgt sie mit Essen. Die Schwester in der Krankenstation in Fenutoli, eine kleine stämmige Frau in einem gelben Plastikkittel, hat ebenfalls ein Gerücht gehört über eine kranke Frau in Fenemeeta. Emmanuel fragt, wie man dorthin kommt. Sie deutet auf die gekritzelte Karte. Zweieinhalb Stunden Fußmarsch durch den Dschungel, sagt einer der Pfleger. Er wird die Gruppe führen.

In Liberia mangelt es nicht nur an guten Landkarten. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen kann nicht lesen und schreiben. Die Lebenserwartung liegt bei etwa 60 Jahren, 20 Jahre weniger als in Deutschland. In dem Land mit vier Millionen Einwohnern gab es vor dem Ebola-Ausbruch 51 Ärzte. Viele von ihnen sind inzwischen tot.

Statistiker Rosling hat auf seinem Laptop auch eine aufwendige Animation. Auf der x-Achse ist das Einkommen pro Kopf aufgetragen, auf der y-Achse die Lebenserwartung. In dem Koordinatensystem tummeln sich bunte Kreise, jeder Kreis ist ein Land. Rosling setzt das Jahr auf 1920, dann lässt er das Video laufen. Die Punkte in Rot, Grün, Gelb und Blau beginnen sich zu bewegen, sie steigen auf und fallen plötzlich herunter, überholen sich gegenseitig. Sie alle streben weg vom Ursprung des Koordinatensystems nach rechts oben, hin zu mehr Wohlstand und Lebensjahren. Guinea, Sierra Leone und Liberia hinken dem Rest der Welt hinterher. "Das hier sind einige der absolut ärmsten Länder", sagt Rosling. Die Ebola-Epidemie in Westafrika ist nicht die Geschichte von einem Blitz, der überall hätte einschlagen können, es ist die Geschichte eines Funkens, der auf einem Haufen trockenem Stroh gelandet ist.

Im Dschungel ist es unerträglich heiß. Es riecht nach feuchter Erde und frisch gekochtem Reis. Die Gruppe läuft einen Trampelpfad entlang. Bambusstauden überragen den Weg, hier und da sind Reisfelder angelegt. Es gibt zahlreiche Brücken, wacklige Holzkonstruktionen, oft nicht mehr als ein Baumstamm, über den man balancieren muss. Einmal verliert jemand das Gleichgewicht und fällt ins Wasser. Niemand hilft. Anfassen ist verboten.

In den Dörfern sieht man nur Schatten, die Einwohner haben Angst

Die Dörfer auf dem Weg wirken verlassen. Die Lehmhütten mit ihren Dächern aus Palmwedeln oder Wellblech liegen ruhig in der Sonne. Draußen hängen Kleider zum Trocknen, in einem Dorf steht ein Kochtopf auf dem Feuer. Aber es sind kaum Menschen zu sehen. Ab und zu sieht man einen Schatten, der schnell verschwindet. "Es war fast, als hätten sich die Menschen in den Busch aufgelöst", sagt Fran Miller von Ärzte ohne Grenzen später. "Die große Gefahr ist, dass wir die Menschen nur immer weiter in den Busch treiben." Denn die Bewohner haben Angst.

Wer diese Angst verstehen will, der muss in das Ebola-Behandlungszentrum gehen, das einige Stunden entfernt vom International Medical Corps betrieben wird. Die Lebenden und die Sterbenden sind hier durch einen doppelten roten Zaun voneinander getrennt. Jeden Tag überqueren Ärzte und Krankenschwestern diese Grenze und kämpfen um das Leben der Patienten. Sie arbeiten, bis der Schweiß in ihren Gummistiefeln bis zu den Knöcheln steht. Aber sie können wenig ausrichten. Die meisten Menschen, die hierherkommen, sterben wenig später.

Zwei Minuten zu Fuß, dann steht man zwischen frischen Gräbern. Jean Dolo lehnt auf seiner Schaufel. Der muskulöse junge Mann war Taxifahrer, bevor das Virus kam. Jetzt hebt er tiefe Löcher aus, in die er Ebola-Tote versenkt: Junge, Alte, Männer, Frauen. Die Totengräber arbeiten in zwei Schichten. Morgens hebt ein Team zwei Gräber aus, abends hebt ein Team zwei Gräber aus.

"Das war das erste Grab", sagt Dolo und deutet auf eine Ecke des Friedhofs. "Dann kam das zweite, das dritte, das vierte." Sein Finger bewegt sich langsam nach links, als stünde dort in der Luft eine Nachricht der Toten, die es zu lesen gilt.

Aber die Toten haben nichts hinterlassen außer Schmerz, Angst und sterbenden Angehörigen. "Das Schlimme an Ebola ist, dass es unsere Familien zerreißt", sagt die Pflegerin Garmai Cyrus. Familien ersetzen in Ländern wie Liberia das soziale Sicherheitsnetz. "Selbst im Bürgerkrieg hatten wir immer noch unsere Familie", sagt Cyrus. Jetzt droht ausgerechnet von der Familie die größte Gefahr. "Wir können einander nicht mehr anfassen, wir können uns nicht nahekommen, einander spüren."

Nach viereinhalb Stunden schließlich ist Fenemetaa erreicht. Hier gibt es keine Kranken und keine Toten. Nur vier junge Männer. Unser Teamleiter Emanuelle spricht mit ihnen. Sie stehen da, in kurzen Hosen, T-Shirts und Sandalen, wie Schulkinder, die etwas ausgefressen haben. Er sagt, die Frau trage ein Gift in sich. Das sei gefährlich und man wolle ihr helfen. Die Männer hören zu, aber sie sagen, die Frau sei nicht im Dorf gewesen. Dann, dass sie da gewesen, aber wieder gegangen sei. "Sie lügen", sagt Emmanuelle und schüttelt traurig mit dem Kopf. "Ich kann das in ihren Gesichtern sehen."

Er glaubt, jemand habe seinen Geist in einen Leoparden verwandelt

Vielleicht steht ihnen Ähnliches bevor wie Stanley, einem Patienten aus dem Behandlungszentrum. Seine Schwester lebte in Monrovia mit ihren Kindern und einem seiner Söhne, 14 Jahre alt. Die Frau, hochschwanger, infizierte sich mit Ebola und starb. Stanley holte die Kinder aus Monrovia zu sich aufs Land. Dann sterben die Kinder, eines nach dem anderen. Stanley will nicht wahrhaben, dass es Ebola war. Jemand habe seinen Geist in einen Leoparden verwandelt. Der habe die Kinder angegriffen, sagt er. Freunde und Nachbarn kommen vorbei, um die Kinder zu pflegen. Nun sitzt Stanley im Behandlungszentrum, und die Betten um ihn herum füllen sich mit Familienangehörigen und Bekannten, die ihn für ihr Leid verantwortlich machen. Seine Schwester ist tot, seine Cousinen, seine Kinder. Einen Tag später stirbt seine Frau. Stanley wird überleben, sagen die Ärzte.

Auf dem Rückweg nehmen Emmanuel und seine Leute in einem anderen Dorf einen älteren Mann mit. Er ist Heiler und soll die gesuchte Frau behandelt haben, bestreitet das aber. Er soll in ein Holding Center kommen, eine Stadion in Gbarnga, in der Menschen, die Kontakt mit Kranken hatten, 21 Tage lang in Zelten leben. Bis klar ist, dass sie nicht infiziert sind. Wenn sie in ihren Dörfern bleiben und erkranken, haben sie keine Chance, die Straße zu erreichen, wo der Krankenwagen sie abholen kann.

Im Dschungel wird es Nacht. Die Brücken zu überqueren und den Weg zu finden, wird immer schwerer. Schließlich treffen wir auf ein paar Menschen mit Taschenlampen. Sie kommen aus dem Dorf, wo die Fahrer seit fast zehn Stunden warten. Sie sind geschickt worden, um zu helfen. Im Licht der Taschenlampen finden alle den Weg zurück. Eine halbe Stunde später geht es über einen Hügel, und das Dorf erstreckt sich darunter, die Autos stehen dort, die Scheinwerfer leuchten. Das ganze Dorf ist auf den Beinen und klatscht, als das Team erschöpft und verdreckt aus dem Dschungel stolpert. In der Ferne leuchtet eine riesige Wolke am Himmel auf, in der es blitzt. Glühwürmchen irrlichtern.

Liberia
:Auf den Spuren von Ebola

Die Suche nach Infizierten ist mühsam. Unterwegs mit Medizinern im liberianischen Ebola-Gebiet.

Aber die Ambulanz kann an diesem Abend nicht mehr kommen. Der Heiler soll im Dorf warten. Ein paar Tage später heißt es, er sei zurückgegangen. Vielleicht ist er gesund. Vielleicht aber hat er das Virus zurückgetragen in sein Dorf.

© SZ vom 29.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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