E-Zigaretten:Im Nebel

Elektrische Zigarette

Zug um Zug: Die Nachfrage nach elektronischen Zigaretten wächst.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

Können elektronische Zigaretten Rauchern helfen, ihre Sucht zu besiegen oder sind sie sogar die schlimmere Variante? Wissenschaftler sind sich uneins und irritieren damit Verbraucher.

Von Christoph Behrens

Zum Jahreswechsel wächst die Motivation: Nie wird häufiger im Internet nach "Mit dem Rauchen aufhören" gesucht als an den Tagen vor und nach Silvester. Zehn Millionen Deutsche träumen davon, mit ihrer Sucht zu brechen, immerhin jeder zweite Raucher. Pro Versuch schaffen es aber gerade einmal drei von 100, dauerhaft aufzuhören - oft ist die Motivation im Februar schon wieder verflogen. Allerdings steigt noch eine zweite Kurve bei Google an. Die Nachfrage nach "elektronischen Zigaretten" wächst. Statt Tabak zu verbrennen, verdampft in diesen batteriebetriebenen Geräten eine nikotinhaltige Flüssigkeit, der Dampf strömt in die Lunge und sorgt für einen ähnlichen Kick wie eine Kippe, nur ohne Rauch. Viele versuchen auf diesem Weg, ihre Sucht abzulegen oder zumindest weniger zu rauchen. Mit sechs Milliarden Dollar macht die E-Zigaretten-Branche weltweit schon doppelt so viel Umsatz wie Anbieter von Nikotinpflastern, Kaugummis und sonstigen Entzugshilfen zusammen. Doch kann man Rauchern wirklich zum Umstieg raten?

Wenig ist unter Gesundheitsexperten derzeit so umstritten wie diese Frage. In Großbritannien etwa wertet das Gesundheitsministerium den Boom der E-Zigaretten als "Chance, Rauchern beim Aufhören zu helfen". "Wir sind uns einig", hält die dem Ministerium unterstellte Behörde Public Health England fest, "dass E-Zigaretten deutlich weniger schädlich sind als das Rauchen." Ganz anders in Deutschland: "E-Zigaretten sind gesundheitlich bedenklich", schreiben 50 Fachgesellschaften in einem Memorandum, darunter die Bundesärztekammer und die Deutsche Krebshilfe. Die Technik berge für die öffentliche Gesundheit "mehr Schadenspotenzial als Nutzen", da sie bisherige Erfolge der Tabakprävention gefährde.

Der Zwist ist auf den ersten Blick verwunderlich, denn Fakt ist: Während beim Rauchen einer herkömmlichen Zigarette rund 4800 Stoffe in den Körper gelangen, darunter Teer, Kohlenmonoxid, Ammoniak und Benzol, atmen "Dampfer" nur Nikotin und Trägersubstanzen wie Propylenglykol ein. Die Cochrane-Stiftung, ein international besetztes Forschernetzwerk, hat zahlreiche Studien zur E-Zigarette ausgewertet und kommt zum Ergebnis, zumindest auf eine Nutzungsdauer von zwei Jahren ließen sich keine erhöhten Gesundheitsrisiken feststellen. "Die Beweise sind sehr klar", sagt Peter Hajek, klinischer Psychologe an der Queen-Mary-Universität London und Experte für Tabakabhängigkeit. "E-Zigaretten sind eine sicherere Alternative zu Zigaretten." Das Gesundheitsrisiko sei für E-Zigaretten-Nutzer im Vergleich zum Rauchen um 95 Prozent niedriger. Gefahren sieht Hajek hingegen darin, "Beweise zu verdrehen und damit Raucher vor E-Zigaretten zu warnen". Damit sei eine Chance vertan, Leben zu retten.

"Verdampfer müssen nicht sicher sein, sie müssen nur sicherer als Zigaretten sein."

Tatsächlich scheinen in der Debatte unterschiedliche Risikokulturen aufeinanderzuprallen. Wo angelsächsische Forscher wie Hajek Chancen sehen, erkennt etwa Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) einen "unkontrollierten Versuch" am Verbraucher. "Wir können nicht eine Produktpalette, die so neu ist, einfach so empfehlen", sagt die Medizinerin. Besonders ärgert sie, dass Nikotin in der Debatte verharmlost werde. So könne Nikotin den programmierten Zelltod stimulieren und somit das Krebsrisiko erhöhen. Auch fruchtschädigende Wirkungen und eine Verengung der Blutgefäße sind nachgewiesen. Zudem seien die Langzeitwirkungen der E-Zigarette nicht bekannt, sagt Pötschke-Langer. Sie vermutet etwa eine mögliche Dauerreizung der Lungenbläschen. Belege hat das DKFZ dafür nicht.

Für Befürworter gehen diese Argumente ohnehin am Kern vorbei. "Es geht um das geringere von zwei Übeln", argumentiert Jean-François Etter vom Institute of Global Health an der Universität Genf im Fachblatt BMC Medicine. "Verdampfer müssen nicht sicher sein, sie müssen nur sicherer als Zigaretten sein."

Die einzige gesundheitliche Unsicherheit betreffe chemische Zusätze in den Aromen der verdampfenden Flüssigkeiten, sagt der Medizinethiker David Shaw von der Universität Basel. So sind derzeit rund 7000 verschiedene Geschmacksrichtungen auf dem Markt. Forscher der Harvard School of Public Health fanden in vielen der Sorten erhöhte Werte für Diacetyl, einen Stoff, der vermutlich eine gefährliche Entzündung der Bronchiolen in den Lungen auslösen kann.

Im New England Journal of Medicine schrieb eine andere Forschergruppe, beim Verdampfen könnten unter Umständen gar größere Mengen an krebserregendem Formaldehyd entstehen als beim Rauchen einer Zigarette. Allerdings maßen die Wissenschaftler die Rekordwerte nur, wenn sie die Geräte auf volle Leistung gestellt hatten und überhitzen ließen - solche in der Szene als "Dry Puffs" bekannte Züge versuchen Dampfer zu vermeiden, da sie scheußlich schmecken. Bei normaler Einstellung wurde deutlich weniger Formaldehyd frei als beim Rauchen.

Wie effektiv sind E-Zigaretten bei der Raucherentwöhnung?

Komplizierter wird es bei der Frage, wie effektiv E-Zigaretten bei der Raucherentwöhnung helfen. Die Cochrane-Stiftung kommt zum Ergebnis, nikotinhaltiger Dampf könne wahrscheinlich das Aufhören erleichtern oder zumindest die tägliche Anzahl an Zigaretten reduzieren. So qualmte jeder zweite Teilnehmer einer italienischen Studie nach 24 Wochen E-Zigaretten-Konsums nur noch die Hälfte der üblichen Anzahl Zigaretten. Christoph Kröger vom Institut für Therapieforschung befragte über 600 Teilnehmer eines Raucherentwöhnungsprogramms und hält Nikotinpflaster für deutlich wirksamer. Allerdings wertete Kröger in der Studie auch nur vollständige Abstinenz als Erfolg. Zudem bemängelte er, dass Dampfer von Therapieleitern häufig keine gezielte Hilfestellung bekämen. Das weist eher darauf hin, dass viele Fachleute die E-Zigarette aus prinzipiellen Gründen ablehnen, was Tester entmutigen könnte.

"Es ist leider ein tiefer Graben zwischen Befürwortern und Gegnern entstanden", sagt Medizinethiker Shaw. Diese Uneinigkeit verunsichert viele Raucher und nutzt derzeit vor allem der Tabakindustrie, also dem gemeinsamen Gegner der Anti-Tabak-Aktivisten. Lange dominierten kleine Hersteller den jungen Markt für E-Zigaretten, viele sahen sich als Vorkämpfer gegen die mächtige Tabaklobby. Big Tobacco stand dem Boom dagegen wie gelähmt gegenüber, fürchtete eine ernsthafte Gefährdung seines Kerngeschäfts mit Zigaretten. Doch mittlerweile haben sich die Großen gefangen, Konzerne wie Philipp Morris investieren nun selbst Milliarden in neue Dampfgeräte, was Gesundheitsexperten misstrauisch macht. Denn die Zigarettenindustrie dürfte nach Wegen suchen, die Sucht auf andere Weise zu stabilisieren, anstatt Raucher davon zu befreien.

Doppeltes Spiel der Tabak-Industrie

Dafür spricht, dass die Industrie vor allem sogenannte "Cigalikes" anpreist. Das sind recht kleine Dampfgeräte, die wenig Nikotin enthalten und fast so aussehen wie herkömmliche Tabakzigaretten. Auf Foren berichten Anwender davon, dass dieser Typ den Umstieg erschwert, weil er das Gefühl des Rauchens nachahmt. "Leistungsschwach, umweltbelastend, teuer, nicht oder weniger oft aufladbar und fertig befüllt, von Firmen, denen wir nie wieder über den Weg trauen wollten, weil sie uns jahrelang in Abhängigkeit gehalten haben", beschwert sich ein ehemaliger Raucher, der komplett aufs Dampfen umgestiegen ist, über die Cigalikes.

Im Fachblatt Nicotine & Tobacco Research pflichten Wissenschaftler vom King's College London dieser Sicht bei. Eine Langzeitbefragung britischer Raucher ergab, dass der Typ des Dampfgeräts einen großen Unterschied macht, ob der Umstieg gelingt. Nutzer von "Tanks" - dies sind Geräte mit größeren, wieder befüllbaren Behältern - schafften es deutlich häufiger, von Zigaretten wegzukommen, als Cigalike-Dampfer. Diese Unterschiede verschwimmen in der Diskussion oftmals, während die Tabakindustrie etwa in den USA schon danach ruft, Tanks stärker zu regulieren als die eigenen Produkte.

Stärkere Einschränkungen für E-Zigaretten

Diese Rufe werden immer häufiger von Politikern gehört. So sollen mit der Umsetzung der neuen EU-Tabakrichtlinie Mitte 2016 E-Zigaretten in Deutschland deutlich strenger reguliert werden als bislang. Als positiv bewerten viele Experten, dass E-Zigaretten künftig nicht mehr in die Hände Jugendlicher gelangen dürfen - die Sorge, das "Dampfen" könne zum Einstieg in die Nikotinsucht werden, dürfte mit der Altersgrenze an Bedeutung verlieren. Daneben soll es höhere Qualitätsvorschriften und Werbeverbote geben.

"Das beschränkt E-Zigaretten deutlich stärker als normale Zigaretten", findet Peter Hajek. Viele kleinere Marken könnten mit diesen Hürden aus dem Markt gedrängt werden, die Tabaklobby dagegen profitieren, fürchtet Hajek. "Wenn man eine Innovation davon abhält, sich zu vermarkten, stärkt man nur das existierende Produkt." Jean-François Etter von der Universität Genf warnt davor, die Tabakindustrie könnte bald in der Position sein, "den Markt zu erdrosseln". Das Zeitfenster, um elektronische Zigaretten als wirksame Waffe zur Schadensbegrenzung gegen Tabak einzusetzen, könnte sich somit wieder schließen.

"Soll man nun aus dem zehnten Stock springen oder aus dem dritten?"

Kann man sich als leidgeplagter Raucher nun also guten Gewissens vornehmen, 2016 zum Dampfer zu werden? "Wir stehen den E-Zigaretten neutral gegenüber", sagt Martina Pötschke-Langer vom DKFZ, um gleich darauf hinterherzuschieben: "Soll man nun aus dem zehnten Stock springen oder aus dem dritten? Ich würde sagen, man springt gar nicht." David Shaw von der Universität Basel findet es trotz der Unsicherheiten verantwortungsvoll, E-Zigaretten zu empfehlen, "denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Langzeit-Wirkungen auch nur annähernd so schlimm sind wie die von Tabak".

Am besten sei es natürlich immer, man hört ganz zu rauchen auf, sagt Peter Hajek von der Queen-Mary-Universität London. "Aber falls das jemand nicht kann oder nicht will, dann können E-Zigaretten eine Verbesserung sein." Hajek empfiehlt, das einfach selbst auszuprobieren, und vor allem verschiedene Geräte und Sorten zu testen, bevor man sich entscheidet.

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