Süddeutsche Zeitung

Nikotinsucht:Zweifel am Dampfen

Dutzende Menschen in den USA erkrankten nach dem Konsum von E-Zigaretten an einem rätselhaften Lungenleiden. Das ist nicht das einzige Problem der rauchfreien Geräte.

Kommentar von Berit Uhlmann

Schwere Atemnot, Schmerzen, Erbrechen - etwa 150 Menschen in den USA machten in den vergangenen Wochen ein rätselhaftes Leiden durch. Einzige bekannte Gemeinsamkeit: Sie alle hatten zuvor an einer E-Zigarette gezogen. Noch werfen die Fälle mehr Fragen als Antworten auf und es wäre falsch, die Verdampfer nun pauschal als Krankmacher zu verteufeln. Doch genauso realitätsfern ist es, E-Zigaretten und Tabakerhitzer pauschal als Lösung im Kampf gegen das Rauchen zu sehen. Und das nicht erst seit den aktuellen Vorfällen.

Denn wer über neue, wahrscheinlich risikoärmere Alternativen für Raucher spricht, muss die Rechnung längst mit den Tabakkonzernen machen. Sie haben in den vergangenen Jahren teilweise massiv in die neuen Geräte investiert. Seither machen Wissenschaftler eine besorgniserregende Beobachtung nach der anderen. So haben sie gezeigt, dass E-Zigaretten längst nicht immer als Ersatz zur klassischen Zigarette vermarktet werden, sondern gezielt als Ausweichoption für Situationen, in denen Rauchen verboten oder unerwünscht ist. Damit steigt das Risiko einer doppelten Abhängigkeit.

Gleichzeitig tun die Hersteller viel dafür, ihre neuen Produkte weniger als Ausstiegshilfe für langjährige Zigarettenabhängige, sondern als Einsteigerprodukt für möglichst viele neue Konsumenten zu designen. Die E-Zigarette Juul in ihrer coolen Anmutung für technikaffine Kids ist das bekannteste Beispiel. In den USA enthält eine Kapsel so viel Nikotin wie eine ganze Schachtel Zigaretten - ein Schnellzug in die Sucht. Etwa drei Millionen Highschool-Schüler dampfen in den Staaten. Kein Wunder, dass der Marlboro-Hersteller Altria längst in die Marke eingestiegen ist.

Schließlich versucht Big Tobacco, sich durch Investitionen in neue Technologien einen Platz an den Tischen von Forschern und Politikern zu sichern. Prominentestes Beispiel ist die Stiftung "für eine rauchfreie Zukunft", die Philipp Morris gegründet und mit nahezu einer Milliarde US-Dollar ausgestattet hat. Sie bezeichnet sich als unabhängig und gibt als Ziel an, die Forschung neuer, weniger schädlichen Tabakprodukte voranzubringen. Tatsächlich wurde das Geld bislang vor allem für PR ausgegeben. 7,6 Millionen Dollar waren es 2018. Das Vorgehen folgt einer lange bekannten Strategie: Zugang zu Entscheidern zu bekommen und diese von jenen Maßnahmen abzulenken, die nachweislich effektiv sind.

All dies spricht dafür, dass die Branche unter dem Deckmantel der Risikominimierung letztlich nur ihr Hauptprodukt stärken will. Und dies ist noch immer die klassische Zigarette. Auf ihr Schadenskonto gehen nicht nur 150 Amerikaner mit Atemnot, sondern jährlich mehr als acht Millionen Tote auf der ganzen Welt.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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