Süddeutsche Zeitung

Drogenpolitik:Mahnerin in der Welt der Süchte

Muss der Staat die Menschen vor sich selbst schützen? Deutschland meint Ja - und beschäftigt eine Drogenbeauftragte.

Von Guido Bohsem, Berlin

Könnten Raucher, Trinker, Kokser und Fresser in die Zukunft sehen, es würde ihnen grausen: Raucherbeine, Herzinfarkte, Krebs, Diabetes, zerbrochene Familien, gescheiterte Karrieren. Doch weil den Menschen hellseherische Fähigkeiten nun mal nicht gegeben sind, weil sie sich gerne ihrer Lust hingegen, fünf gerade sein lassen, gibt es die Drogenbeauftragte.

Klar ist, dass der Staat handeln muss, wenn Süchte nicht nur den Kranken, sondern auch anderen Menschen gefährden. Um zu demonstrieren, dass der Staat den Bürger auch vor sich selbst schützen muss, hat der amerikanische Ökonom Jonathan Gruber das Konzept des Zukunfts-Ichs erfunden, also des Menschen, der am Ende seiner Drogenkarriere steht, aber nichts mehr daran ändern kann. Der Staat, so Grubers These müsse deshalb als Anwalt des Zukunfts-Ichs fungieren und habe deswegen das Recht und die Pflicht, das Verhalten des Gegenwart-Ichs zu reglementieren, ihm das Rauchen zu verleiden, den Alkoholkonsum und so weiter. Was der seiner Sucht verfallene, zukunftsvergessene Bürger nicht kann, das muss Vater Staat für ihn entscheiden. Mit anderen Worten: der Staat braucht eine Drogenbeauftragte.

Man sollte Marlene Mortler, Drogenbeauftragte seit 2014, nicht für das Fräulein Rottenmeier der großen Koalition halten - erhobener Zeigefinger, mit Spaß nichts im Sinn und ständig an der Verbotsmaschine kurbelnd. Nein, Mortler ist eine zierliche Person, die sympathische Lachfältchen um die Augen und einen hellwachen Blick hat. "Jeder oder jede Drogenbeauftragte hat es selbst in der Hand, ob er oder sie als strenger Onkel oder strenge Tante auftritt." Ihr Ansatz sei das nicht, betont sie. "Ich will, dass sich die Leute mit den Wirkungen ihres Konsums auseinandersetzen." Gelinge dies, sei schon viel geschehen.

Und so erledigt sie ein umfangreiches Programm in der Welt der Süchte und der Kranken: Hat vergangene Woche ihre Jahrestagung dem Rauschgift Crystal Meth gewidmet, das den meisten Deutschen bislang nur als das Zeug bekannt ist, was die Typen aus der wahnsinnig morbiden US-Fernseh-Serie "Breaking Bad" zusammenkochen und das verheerende Wirkungen auf die Abhängigen hat. In Deutschland ist es noch kein so großes Problem, sagte Mortler auf der Tagung. Noch schwappe die Welle nicht aus dem deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Doch breite sich das Zeug so langsam in den Großstädten aus. "Ich habe mir daher bereits früh vorgenommen, auf die Risiken einer Ausweitung des Konsums aufmerksam zu machen."

Am Dienstag dieser Woche sprach sie auf der Premiere des Kino-Films "Alki Alki" (in der Berliner Kulturbrauerei). In der Tragikkomödie des Regisseurs Axel Ranisch erlebt der Zuschauer den Niedergang des Trinkers Tobias. Weil das Ganze aber als Buddy-Movie angelegt ist, sieht man ihn beständig im Dialog und in Begleitung seiner Sucht. Die trägt den Namen Flasche und wird gespielt von Peter Trabner. Diese Konstruktion macht den Film lustig und absurd, jedoch zeigt er gleichzeitig auch sehr brutal, was Alkohol mit einem Menschen machen kann, was die Sucht für katastrophale Folgen für die Familie hat. Mortler erklärte dazu: "Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir eine gesellschaftliche Diskussion über die Gefahren des Alkoholkonsums führen."

Doch es sind nicht nur die Raucher und Trinker, die die Drogenbeauftrage umtreiben. Am Freitag drauf beschäftigt sich die 5. Berliner Mediensucht-Konferenz mit den Internet-Kranken. Mortler sprach das Grußwort und listete ein paar Fakten auf. Ein Prozent der 14 bis 64jährigen in Deutschland sind Internet-abhängig, 560 000, mehr jüngere als ältere. Sie spielen stundenlang im Netz (Jungs und Männer) oder treiben sich endlos in sozialen Netzwerken rum (Mädchen und Frauen).

Noch gebe es keine Diagnose-Ziffer für das Phänomen, es sei noch nicht als Krankheit anerkannt. Auch bei den Therapien herrsche noch große Unsicherheit. Klar sei aber, dass das Thema an Relevanz gewinne. Hans-Jürgen Rumpf, von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Lübeck forderte sogar ein Frühwarnsystem, das rechtzeitig darüber informiert, welches neue Internet-Spiel, welche neue App eine potenzielle Gefahr für die Süchtigen darstellen könnte.

Die Arbeit einer Drogenbeauftragten ist die ständige Beschäftigung mit den katastrophalen Auswirkungen, die Süchte für Menschen haben können, beileibe aber nicht haben müssen. Das Amt schafft seine eigene Sicht und produziert ständig neue Daten über die Gefahren von Alkohol, Tabak, Cannabis, Heroin und eben auch Spielsucht. Als Anwalt des Zukunft-Bürgers pathologisiert das Amt der Drogenbeauftragten das Land.

"Frau Mortler, hat das Amt Sie verändert?"

"Das müssen andere sagen. Ich habe Dinge ins Amt mitgebracht, die mir dabei helfen: Erfahrung in der Gesundheitspolitik und Lebenskompetenz als Landfrau"

"Hat sich Ihr Blick auf die Welt gewandelt?"

"Ich sehe jetzt noch klarer als vorher."

"Können Sie noch ins Wirtshaus gehen ohne an die dramatischen Folgen des Alkoholgenusses zu denken?"

"Wenn ich die Leute aufkläre und sie an den richtigen Stellen packe, setzen sie sich mit ihrem Konsum anders auseinander. Wenn ich zum Beispiel sage, dass Raucher im Schnitt zehn Jahre weniger zu leben habe, habe ich die Aufmerksamkeit."

Ihre allererste Pressemitteilung im Amt handelte von den 2,6 Millionen Kindern, die in Familien aufwachsen, in denen es Suchtprobleme gibt. Der Hauptgrund für die Probleme sei der Alkohol, sagt Mortler. Nun könne man leicht sagen, dass man den Eltern die Kinder wegnehmen sollte. Doch der Punkt sei, die Kinder wollten die Familien gar nicht verlassen. "Solche Fälle lägen ihr am Herzen." Hier komme es darauf an, die dicksten Bretter zu bohren.

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