Suchtpolitik:"Das 20. Jahrhundert überwinden"

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1961 hatten die Vereinten Nationen eine Liste der zum internationalen Verbot ausgesetzten Betäubungsmittel definiert, die pflanzliche Rohstoffe wie Coca, Schlafmohn sowie Hanf umfasste und alle daraus abgeleiteten Drogen. Bis heute diktiert dieser Vertrag fast alle nationalen Betäubungsmittelgesetze. 1971 folgte eine Konvention über psychotrope Substanzen wie LSD. 1988 verpflichteten sich die Vertragsparteien zur internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen die Herstellung, den Schmuggel und den Handel mit Drogen. Bis zum Jahrtausendwechsel gab es wenig Zweifel an diesen Kurs.

Doch das ist nun anders. "Das 20. Jahrhundert überwinden", unter dieser Überschrift hat sich kürzlich die britische Fachzeitschrift Lancet Psychiatry für eine Wende ausgesprochen, als Reaktion auf die Hardliner-Politik im eigenen Land. Im Februar hatte das Parlament in London den Psychoactive Substance Act verabschiedet. Das Gesetz kriminalisiert jeden Stoff mit psychoaktiver Wirkung. In erster Linie richtet es sich gegen "legal highs", also Stoffe, die als Kräutermischung oder Badesalz legal gehandelt und dann als Rauschmittel konsumiert werden.

Verstärkt Jagd gemacht werden soll aber auch auf Substanzen wie das klassische Ecstasy. In Neuseeland gehen viele Todesfälle durch Partypillen auch auf solche verschärften Gesetze zurück. Anstelle des verteufelten, aber mäßig riskanten Originals enthalten die Tabletten inzwischen eine wachsende Zahl neuartiger psychoaktiver Substanzen, die teils noch schädlicher für den Körper sind als das alte Ecstasy. Selbst wenn es also gelingt, eine illegale Substanz aus dem Markt zu drängen, kommen dafür mehrere neue, mitunter schlimmere Drogen nach.

In der Schweiz bekommen Süchtige vom Staat ihren Stoff auf Rezept

Wie aber kann eine Welt aussehen, in der Drogen nicht mehr verbannt, kriminalisiert, militärisch bekämpft werden? Die Beschlussvorlage der UN-Sondersitzung sieht keine Legalisierung vor, man will nicht von den drei grundlegenden Völkerrechtsverträgen abweichen. Die Vereinten Nationen wollen fortan aber genau das berücksichtigen, was die Ökonomie der Abhängigkeit offengelegt hat, was die Kritiker des Krieges gegen Drogen seit Jahren predigen: Den größten Schaden fügt man den Kartellen zu, indem man ihnen die Kundschaft wegnimmt.

Das funktioniert nur, wenn man sich um diese Menschen kümmert. Wenn man sie behandelt, betreut, teilweise auf Kosten des Staates mit sauberem Stoff versorgt - und sei der Gedanke noch so gewöhnungsbedürftig für die steuerzahlende Öffentlichkeit. Mitten in Europa gibt es beispielhafte Projekte, die Wirkung entfalten. So bekommen Heroinabhängige in der Schweiz bei spezialisierten Ärzten ihren Stoff auf Rezept. Die Kriminalität in Folge der Sucht ist bei den Teilnehmern um 90 Prozent zurückgegangen.

Was ließe sich mit Fürsorge nicht noch alles erreichen? Tom Wainwright rechnet es für die USA und Kokain vor: Eine Million Dollar, investiert in den Versuch, die Produktion von Kokain in Südamerika zu bekämpfen, verhindert den Konsum von zehn Kilogramm der Droge in den Vereinigten Staaten. Den Gewinn der Kartelle schmälert dies aber nicht. Für Grenzkontrollen genutzt, verringert dieselbe Million den Konsum um 20 Kilogramm Kokain.

Eine Million Dollar für Aufklärung bringen 25 Kilogramm. In Therapieprogramme für Abhängige gesteckt, bewirkt die besagte Million Dollar jedoch sehr viel mehr, sie verhindert den Konsum von 100 Kilogramm Kokain, das sind 100 Millionen geschnupfte Dosen. Zugleich geht den Kartellen die Kundschaft verloren. Das ist wohl ein Grund, warum Wainwright behauptet: Ökonomen sind die bessere Polizei. Sie können einfach besser rechnen.

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