Suchtpolitik:Wie das Drogenverbot Dealer zu Millionären macht

Soldiers are silhouetted as marijuana and other drugs are being incinerated at a camp of the Mexican Army's 28th infantry battalion in Tijuana

Mexikanische Soldaten verbrennen in einer Kaserne in Tijuana beschlagnahmte Drogen. Doch der Kampf gegen Rauschmittel ist gescheitert.

(Foto: Jorge Duenes/Reuters)

Mehr als ein halbes Jahrhundert haben die Vereinten Nationen im Kampf gegen Heroin, Kokain und Crystal Meth auf scharfe Verbote gesetzt. Nun wächst die Einsicht: Sie bringen nichts - im Gegenteil.

Von Kathrin Zinkant

Man nehme eine illegale Droge und rechne es mal nüchtern durch, wie ein Ökonom: Angenommen also, die Polizei verfolgt verstärkt die Hersteller der Substanz, die nun weniger produzieren. Der Stoff wird knapper, der Dealer erhöht den Preis. Die Nachfrage nimmt ab. Nur leider nicht so stark, wie der Preis steigt. Der Versuch, den Konsum der Droge an der Wurzel zu bekämpfen, verkehrt sich daher ins Gegenteil. Die Abhängigen bleiben abhängig. Der Dealer verdient mehr Geld als vorher - der Polizei sei Dank.

Es ist eine simple Formel, die Tom Wainwright seinen Lesern vermittelt. Aber wie vieles, was der ehemalige Mexiko-Korrespondent des Economist in seinem Buch "Narconomics" über den internationalen Drogenhandel vorrechnet, macht auch diese Formel auf haarsträubende Weise klar, welchen Irrweg die internationale Drogenbekämpfung seit Jahrzehnten gegangen ist. Und um diesen Irrweg wird es von diesem Dienstag an gehen, wenn sich die Vereinten Nationen zu einer Sondersitzung in New York treffen.

Die UN wollen einen neuen Kurs in der internationalen Drogenpolitik einschlagen. Der seit den 1970er-Jahren geführte Krieg gegen Drogen ist verloren. Weder ist es gelungen, die Zahl der Abhängigen auf der Welt zu verringern, noch ließ sich eine Zunahme des Drogenkonsums insgesamt verhindern. Den Kartellen hat der verbissen geführte Kampf gegen illegale Substanzen nicht geschadet, im Gegenteil. Dank der Verbote hat sich das Drogengeschäft zu einer Multimilliardenindustrie ausgewachsen.

"In der Drogenpolitik steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht das Verbot."

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Wissenschaftler, Mediziner, Strafrechtler und Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft hegen deshalb keine Zweifel mehr: Ein Kurswechsel ist notwendig. Unter anderen macht sich der Friedensnobelpreisträger und ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan dafür stark, den privaten Drogenkonsum zu entkriminalisieren und die Abhängigen besser zu behandeln.

Auch in Berlin will man sich dem nicht verschließen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, sagt: "In der Drogen- und Suchtpolitik steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht das gesetzliche Verbot." Abhängigkeit sei eine Gesundheitsstörung, die behandelt werden könne. Das soll in New York die Devise sein. Für den gesamten Markt illegaler Substanzen.

Leicht wird das nicht. Viele Bürger könnten sich wohl mit der Legalisierung einer vermeintlich weichen Droge wie Cannabis anfreunden. Aber ein gelockerter Umgang mit Ecstasy, Kokain, Heroin, womöglich sogar mit Crystal Meth, würde das breite Zustimmung finden? Die Angst um die Jugend und deren Schicksal in einer Welt voller Rauschmittel, sie schnürt vor allem Eltern die Luft ab. Es ist die Sorge vor dem abgerutschten Kind, verloren an die Abhängigkeit, an die Beschaffungskriminalität, an einen frühen Tod. Seit mehr als 50 Jahren wird den Menschen erzählt, dass nur eine Prohibitionskultur solche Schicksale verhindere.

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"Das 20. Jahrhundert überwinden"

1961 hatten die Vereinten Nationen eine Liste der zum internationalen Verbot ausgesetzten Betäubungsmittel definiert, die pflanzliche Rohstoffe wie Coca, Schlafmohn sowie Hanf umfasste und alle daraus abgeleiteten Drogen. Bis heute diktiert dieser Vertrag fast alle nationalen Betäubungsmittelgesetze. 1971 folgte eine Konvention über psychotrope Substanzen wie LSD. 1988 verpflichteten sich die Vertragsparteien zur internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen die Herstellung, den Schmuggel und den Handel mit Drogen. Bis zum Jahrtausendwechsel gab es wenig Zweifel an diesen Kurs.

Doch das ist nun anders. "Das 20. Jahrhundert überwinden", unter dieser Überschrift hat sich kürzlich die britische Fachzeitschrift Lancet Psychiatry für eine Wende ausgesprochen, als Reaktion auf die Hardliner-Politik im eigenen Land. Im Februar hatte das Parlament in London den Psychoactive Substance Act verabschiedet. Das Gesetz kriminalisiert jeden Stoff mit psychoaktiver Wirkung. In erster Linie richtet es sich gegen "legal highs", also Stoffe, die als Kräutermischung oder Badesalz legal gehandelt und dann als Rauschmittel konsumiert werden.

Verstärkt Jagd gemacht werden soll aber auch auf Substanzen wie das klassische Ecstasy. In Neuseeland gehen viele Todesfälle durch Partypillen auch auf solche verschärften Gesetze zurück. Anstelle des verteufelten, aber mäßig riskanten Originals enthalten die Tabletten inzwischen eine wachsende Zahl neuartiger psychoaktiver Substanzen, die teils noch schädlicher für den Körper sind als das alte Ecstasy. Selbst wenn es also gelingt, eine illegale Substanz aus dem Markt zu drängen, kommen dafür mehrere neue, mitunter schlimmere Drogen nach.

In der Schweiz bekommen Süchtige vom Staat ihren Stoff auf Rezept

Wie aber kann eine Welt aussehen, in der Drogen nicht mehr verbannt, kriminalisiert, militärisch bekämpft werden? Die Beschlussvorlage der UN-Sondersitzung sieht keine Legalisierung vor, man will nicht von den drei grundlegenden Völkerrechtsverträgen abweichen. Die Vereinten Nationen wollen fortan aber genau das berücksichtigen, was die Ökonomie der Abhängigkeit offengelegt hat, was die Kritiker des Krieges gegen Drogen seit Jahren predigen: Den größten Schaden fügt man den Kartellen zu, indem man ihnen die Kundschaft wegnimmt.

Das funktioniert nur, wenn man sich um diese Menschen kümmert. Wenn man sie behandelt, betreut, teilweise auf Kosten des Staates mit sauberem Stoff versorgt - und sei der Gedanke noch so gewöhnungsbedürftig für die steuerzahlende Öffentlichkeit. Mitten in Europa gibt es beispielhafte Projekte, die Wirkung entfalten. So bekommen Heroinabhängige in der Schweiz bei spezialisierten Ärzten ihren Stoff auf Rezept. Die Kriminalität in Folge der Sucht ist bei den Teilnehmern um 90 Prozent zurückgegangen.

Was ließe sich mit Fürsorge nicht noch alles erreichen? Tom Wainwright rechnet es für die USA und Kokain vor: Eine Million Dollar, investiert in den Versuch, die Produktion von Kokain in Südamerika zu bekämpfen, verhindert den Konsum von zehn Kilogramm der Droge in den Vereinigten Staaten. Den Gewinn der Kartelle schmälert dies aber nicht. Für Grenzkontrollen genutzt, verringert dieselbe Million den Konsum um 20 Kilogramm Kokain.

Eine Million Dollar für Aufklärung bringen 25 Kilogramm. In Therapieprogramme für Abhängige gesteckt, bewirkt die besagte Million Dollar jedoch sehr viel mehr, sie verhindert den Konsum von 100 Kilogramm Kokain, das sind 100 Millionen geschnupfte Dosen. Zugleich geht den Kartellen die Kundschaft verloren. Das ist wohl ein Grund, warum Wainwright behauptet: Ökonomen sind die bessere Polizei. Sie können einfach besser rechnen.

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