Downsyndrom-Pränataldiagnostik:Bis aufs Blut
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Wieder gibt es Streit um einen vorgeburtlichen Test auf das Downsyndrom. Lohnt diese ethische Debatte noch? Sehr sogar - wenn sie nicht schwarz-weiß geführt wird.
Von Kathrin Zinkant
Die Natur kann sehr grausam sein. Gerade, wenn es um ungeborenes Leben geht. Und gerade, wenn es um Menschen geht. Drei von vier winzigen Embryos verwirft sie rücksichtslos. Beim Rest bestraft sie gern das Alter der Mutter. Mit Fehlern, die zu Behinderungen führen. Und über Jahrtausende hinweg konnten die Frauen nichts dagegen tun.
Dass sie es heute können, schafft allerdings neue Probleme. Seit zu Beginn des Jahres bekannt wurde, dass der sogenannte Praenatest zur frühen und risikofreien Diagnose des Downsyndroms bei Schwangeren womöglich eine Kassenleistung werden könnte, ist die Debatte um die ethischen Folgen wieder explodiert.
Der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA, der eigentlich schon im vergangenen Jahr beschlossen hatte, eine sogenannte Erprobungsstudie für den Test durchzuführen, stellte in einer Mitteilung klar, dass die Erstattung keine ausgemachte Sache sei. Im Bundestag wurde eine kleine Anfrage formuliert und mittlerweile auch von der Regierung beantwortet - ohne jedoch klar Stellung zu beziehen. Und auf Twitter rollte die Debatte zeitweise unter dem bezeichnenden Hashtag #werdarfleben. Kurzum: die Aufregung ist groß. Aber warum?
Test kann Ersttrimesterscreening ersetzen
Der Test als solcher ist nicht einmal mehr neu. Die simple genetische Analyse des Mutterbluts, die im Wesentlichen DNA-Stückchen im Blut zählt, kann ab der neunten bis zur zwölften Woche die Fruchtwasseruntersuchung ersetzen - welche erst in der 16. Woche einer Schwangerschaft erfolgt und das Risiko einer Fehlgeburt birgt.
Gerade hat eine große Studie an 15 841 Frauen gezeigt, dass der Test sehr sicher ist und theoretisch auch das Ersttrimesterscreening ersetzen könnte, das allen Frauen heute kostenpflichtig angeboten wird. Die Kombination aus Ultraschall und Blutuntersuchungen wird vor allem dazu genutzt, das Risiko für eine Trisomie 21 genauer einzuschätzen.
Der Praenatest hingegen liefert eine wirkliche Diagnose. Ob sich durch den Test ethische Abgründe öffnen, weil nun jeder Fall des Downsyndroms per Pieks einfach aussortiert wird, hat nicht zuletzt der Ethikrat vor Jahren durchdiskutiert. Der Test selbst ist seit 2012 erhältlich und wird im Einzelfall bereits von den Kassen bezahlt. Die Zahl dieser Fälle ist unbekannt.
Die grundsätzliche Erstattung würde dies ändern. Allein das ist ein wichtiger Grund, die Debatte tatsächlich wieder aufzugreifen. Sie ist aber vor allem deshalb schwierig, weil sich zwar viele schnell empören, die Faktenlage aber unklar ist.
So ist zum Beispiel gar nicht bekannt, wie viele Eltern sich nach dem Befund einer Trisomie 21 dafür entscheiden, die Schwangerschaft abzubrechen. Trotzdem taucht in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema immer wieder die Behauptung auf, 90 Prozent aller Down-Syndrom-Schwangerschaften würden nach der Diagnose beendet.
Die Zahl taucht in den verfügbaren Studien zwar auf, doch liegt sie an der oberen Grenze der Schätzungen und ihr fehlt eine angemessene Grundlage. So stammen die meisten Daten aus Stichproben in kleinen Regionen. Das gilt selbst für das zentrale Eurocat-Register, das angeborene Behinderungen in 18 europäischen Ländern erfasst. Eine Analyse dieses Registers kommt für Deutschland zu einer Abbruchquote von sogar 96 Prozent nach der Down-Syndrom-Diagnose.
Die Zahl ist 13 Jahre alt
Diese beklemmende Zahl bezieht sich allerdings auf das Jahr 2002 - und nur auf jene zwei deutschen Regionen, die im Eurocat-Register mitmachen, nämlich Mainz und Sachsen-Anhalt. Zum Zeitpunkt der Studie kamen in diesen zwei Gebieten rund 21 000 Kinder zur Welt. Das entsprach 2,8 Prozent aller Geburten in Deutschland in dem betreffenden Jahr.
Sachsen-Anhalt, das gut 17 600 Geburten zu der Berechnung beigetragen hat, befand sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt einer wirtschaftlichen Krise, die Arbeitslosigkeit lag bei mehr als 20 Prozent. Die Einwohner wurden älter, die Zahl der Geburten sank. In 23 Fällen kam es damals zu eine Diagnose des Downsyndroms, nur eines der Kinder kam zur Welt. Insgesamt wurden in den zwei Regionen 14 von 36 möglichen Kindern mit Trisomie 21 geboren.
Das ist nun 13 Jahre her. Neue Zahlen gibt es nur zur allgemeinen Häufigkeit des Downsyndroms in beiden Regionen und darüber, wie viele dieser Schwangerschaften abgebrochen wurden. Über einen Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik liegen dagegen keine aktuellen Analysen vor.
Ist es falsch, kein Kind mit Down-Syndrom bekommen zu wollen?
Weitere Schlüsse lassen sich höchstens aus anderen westlichen Ländern ziehen: Lebensumstände und das gesellschaftliche Umfeld tragen wohl erheblich zu der Entscheidung bei. Eine Studie aus den Vereinigten Staaten zum Beispiel hat vor gut zwei Jahren belegt, dass der Anteil der Abtreibungen nach einem positiven Befund zwischen verschiedenen Regionen des Landes erheblich schwankt. Mancherorts beträgt sie tatsächlich 90 Prozent. Anderswo hingegen 50 Prozent.
Zum einen zeigt sich somit, dass ein Test aufs Downsyndrom nicht grundsätzlich mit der Entscheidung gegen das Kind verbunden ist. Zum anderen bleibt die Tatsache, dass ein großer Teil der Eltern tatsächlich kein Kind mit Down-Syndrom bekommen möchte. Ist das falsch? Die Pränataldiagnostik und ihre gesetzlichen Anker sagen klar: Nein, nicht falsch.
Die öffentliche Darstellung sieht anders aus. In Medienberichten werden oft Familien mit Down-Babys ausgewählt, die ein ganz bestimmtes Bild vom Segen der Pflichterfüllung oder aber von Schuld vermitteln: Da sind die Eltern, die auf eine Diagnostik verzichten und ein Baby mit Down-Syndrom bekommen. Das Kind entwickelt trotz seiner Defizite viele erstaunliche Fähigkeiten. Zu Hause wird gelacht und gespielt. Die Mutter betont ihr Glück.
Diesem sonnigen Szenario gegenüber steht eine Familie, die sich nach einer Fruchtwasseruntersuchung und Beratungen zu einer Spätabtreibung durchringt. Das Kind muss dafür im Mutterleib getötet und dann geboren werden. Es sieht schon aus wie ein Mensch. Der Anblick des entwickelten Fötus ist ein Schock, den die Eltern nicht verwinden können. Sie haben ihr Kind ermordet.
Frauen sollen das Schicksal hinnehmen
Obwohl diese ausgewählten Beispiele etwas über getroffene Entscheidungen vermitteln sollen, erzählen sie vor allem etwas über die Idee von Familie und Moral in einer modernen Gesellschaft. Das Schicksal hat darin noch immer das Vorrecht. Wer es nicht akzeptiert, wird es bereuen. Doch auch das ist eine Verzerrung.
Zwar hat eine britische Studie an mehr als 200 überwiegend gebildeten Frauen bereits vor acht Jahren gezeigt, dass die Spätabtreibung nach der vorgeburtlichen Diagnose tatsächlich eine große Belastung ist. Fast jede zweite Frau zeigt nach dem Abbruch Anzeichen von posttraumatischem Stress, beinahe jede Dritte leidet unter depressiven Symptomen. Der Schmerz war umso größer, je heftiger die Zweifel vor der Entscheidung sind und je weniger die Frauen vom Partner unterstützt werden. Auf der anderen Seite quälen sich die wenigsten Frauen mit der Entscheidung selbst: Vier Monate nach der Abtreibung gaben 98 Prozent der Frauen an, den Abbruch nicht zu bereuen.
Darf man darauf bestehen, dass diese Frauen, die zwar keine Straftat begehen, sich doch wenigstens reuig zeigen müssten - dass ihre Entscheidung für Fruchtwasseruntersuchung und Abtreibung mit der Angst vor einer Fehlgeburt und einer seelisch quälenden Prozedur bestraft wird? Denn darum geht es faktisch, wenn in der Debatte von Hürden die Rede ist: um Abschreckung.
Binnen vier Werktagen kann ein Ergebnis vorliegen
Der neue Praenatest hingegen tut nicht weh. Es birgt kein Risiko für den Embryo und wird immer erschwinglicher: Noch vor drei Jahren kostete der Test rund 1300 Euro, inzwischen ist der Preis auf weniger als die Hälfte gefallen. Binnen vier Werktagen kann ein Ergebnis vorliegen. Ist das Resultat positiv, hat die Frau die Möglichkeit, es in der zwölften Woche durch eine Chorionzottenbiopsie zu bestätigen.
Und selbst dann bleibt der Frau noch die Spätabtreibung erspart: Sofern sie nach der Diagnose abbrechen möchte, kann sie ihre Schwangerschaft - zumindest jetzt noch - im Rahmen der Fristenregelung durch Absaugen beenden. So, wie jede der gut 100 000 Frauen jährlich, die ganz ohne Diagnostik, ohne Nennung von Gründen und mittlerweile auch ohne ethische Vorhaltungen ihr sehr wahrscheinlich kerngesundes Kind abtreiben.
So seelenlos es auch erscheinen mag, eine relativ kleine Zahl von behinderten Ungeborenen überhaupt einem Vergleich zu unterziehen: Es wird überraschend selten danach gefragt, warum ein Schwangerschaftsabbruch nach der Diagnose einer durchaus schweren Beeinträchtigung des Kindes als ethisch fragwürdig gilt. Während die überwältigende Mehrheit des Schwangerschaftsabbrüche ohne Begründung stattfinden kann und in dieser Form gesellschaftlich inzwischen auch akzeptiert wird.
In Sachsen-Anhalt zum Beispiel wurden im besagten Jahr 2002 nur 22 Kinder abgetrieben, weil ihre Mütter kein Kind mit Downsyndrom wollten. Im gleichen Zeitraum verzeichnete das Statistische Bundesamt für das Land insgesamt mehr als 5100 Abtreibungen, 130 000 waren es in der ganzen Bundesrepublik. 2013 war die Ziffer zwar niedriger, aber immer noch sechsstellig. Gleichbleibend 97 Prozent dieser Abtreibungen erfolgen nach der Beratungsregel, also ohne medizinischen oder kriminologischen Anlass, allein auf den Wunsch der Frau hin.
Sind Frauen also einfach egoistisch? Und setzt die Pränataldiagnostik diesen Wesenszug erst so richtig in Szene? Für die Medizinethikerin Claudia Wiesemann von der Universität Göttingen ist die Idee abwegig, ein Unfall auch in der Gesetzgebung: "Das Bild der egoistischen Frau ist das Zerrbild einer individualistischen Ethik in der Schwangerschaft."
Entscheiden kann und muss immer die Mutter
Schon das Gesetz geht also nicht von einer werdenden Mutter aus, die in einer Beziehung zum Ungeborenen steht. Sondern von einer selbstsüchtigen Schwangeren, die ihr Interesse gegen das des Kindes in die Waagschale wirft. Eine Abtreibung bleibt deshalb zwar verboten, wird aber akzeptiert, wenn die Interessen der Frau schwerer wiegen, als die des sich entwickelnden Kindes.
Dass das Kind selbst, sein Wohl und seine Zukunft ein Interesse der Frau ist, kommt in diesem Konstrukt gar nicht vor. Ob und wann genau der Embryo oder Fötus ein eigenes Interesse entwickelt und was dieses Interesse denn wäre, weiß niemand. Entscheiden kann und muss immer die Mutter - für sich, aber auch für das Kind.
Auch die Empirische Sozialforschung hat keine Belege dafür gefunden, dass hinter der Entscheidung gegen die eigene Schwangerschaft blanker Egoismus steckt. Im Gegenteil. Bereits in den Neunziger Jahren hat etwa die Gesundheitswissenschaftlerin Irmgard Nippert von der Universität in Münster 1200 Schwangere befragt, die an eine pränatalen Diagnostik teilnahmen.
Verantwortung soll ein Akt der freien Entscheidung sein
Nippert fand, dass die große Mehrheit der Frauen sich weniger Sorgen um sich selbst machte. Vielen ging es eher um die Frage, ob das behinderte Kind hinreichend versorgt wäre, wenn sie selbst zu alt sein würden. Darum, wie es den vorhandenen Geschwistern oder dem Lebenspartner mit der schwierigen Situation ergehen könnte.
Unter den Befragten waren Frauen aus vielen Berufen und Bildungsstufen, auch Hebammen und Sozialarbeiterinnen, die Erfahrungen mit behinderten Kindern hatten, und sich von der Verantwortung und den Problemen durchaus ein Bild machen konnten, die mit der Fürsorge für so ein besonderes Kind verbunden sein können.
Für Claudia Wiesemann steht fest, dass es ein Akt der freien Entscheidung sein muss, ob Eltern diese Verantwortung übernehmen möchten oder nicht. "Verantwortung aus Liebe für ein Kind kann weder durch die Natur noch durch den Gesetzgeber erzwungen werden", sagt die Ethikerin.
Bioethische Kompromisse
Und was sagt die Politik? "Der medizinische Fortschritt stellt die Gesellschaft immer wieder vor ethische Grundsatzfragen", so heißt es in der gerade veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage zum Bluttest aufs Downsyndrom. Und das ist nicht bloß eine Floskel. Sondern ein Statement. Der medizinische Fortschritt, das sind nicht wir, die Gesellschaft und ihre Politik. Sondern etwas, das unabhängig von uns Tatsachen schafft. Und Probleme, mit denen wir irgendwie zurechtkommen müssen.
Diese abwehrende Haltung bestimmt den Umgang mit bioethischen Fragen spätestens seit der Debatte ums Schafeklonen. Das Ergebnis sind Kompromisse, die die Grundsatzfragen nicht beantworten, sondern lediglich aufschieben. So wie jetzt im Fall des Praenatests: Der Fall verschwindet im bürokratischen Mahlwerk des G-BA, bis ihn in einigen Jahren neue Verfahren überholen und die ethischen Grundsatzfrage weiter verschärfen.
Bereits heute ist es möglich, fehlerhafte Mitochondrien aus den Eizellen einer Frau zu entfernen, um einen gesunden Embryo zu erzeugen. Seit kurzem versuchen Forscher sogar, einzelne Gene in Embryonen zu reparieren. Mit Instrumenten, die leicht zu benutzen sind, beständig optimiert und mit denen gewiss bald weitere Grenzen überschritten werden.
Es wäre gerade deshalb an der Zeit, sich nicht allein mit den Techniken auseinanderzusetzen. Sondern auch die eigentliche Grundsatzfrage zu stellen, die ganz sicher nicht allein die Mütter betrifft, sondern alle Menschen: Wer wollen wir sein?