Süddeutsche Zeitung

Genetik:Gefährliches Wissen über Fitness und Fettleibigkeit

Im Zeitalter der Genetik glauben viele, sie sollten mit der Hilfe von DNA-Tests in ihre Zukunft schauen. Sie sollten es besser lassen.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Es gab Zeiten, da war Bleigießen an Silvester ein Heidenspaß. Man wollte ein wenig daran glauben, dass die Klumpen in der Wasserschale etwas über das eigene Schicksal verraten. Wie gefährlich das Spiel mit dem Schwermetall ist, war einem da weniger klar. Seit vergangenem Jahr ist es verboten.

Was aber wäre, wenn man es wirklich könnte, einen Blick in die Zukunft werfen? Die Frage stellt sich nicht nur zum Jahresende. Der Mensch lebt schließlich im Zeitalter der Genetik. Er verfügt über einen neuen, einen biologischen Kaffeesatz, der auf Bestellung im Internet gelesen werden kann.

Das eigene Erbgut, extrahiert aus ein paar Zellen, birgt nämlich Informationen über die Zukunft, vor allem über die gesundheitliche. Habe ich ein Risiko für Herzprobleme oder gar für Alzheimer? Wie wahrscheinlich ist es, dass ich Krebs bekomme? Werde ich fett? Und es erscheint plausibel, all das wissen zu wollen, schließlich könnte man gegensteuern. Gesünder leben, Sport machen, weniger essen, vorbereitet sein. Wissen ist Macht - denkt man.

Probanden mit vorgeblich guten Genen für Fitness liefen wie die Wiesel auf dem Laufband

Tatsächlich aber ist das ein Irrtum. Bisweilen ist Wissen sogar gefährlich. Das zeigt auch ein Experiment, das Forscher der Stanford University jüngst vorgenommen haben. Sie machten mit Probanden einen Fake-DNA-Test, der angeblich etwas über Ausdauerfitness und das Sättigungsgefühl aussagt.

Mit den erfundenen Resultaten konfrontiert, geschah bei den Teilnehmern Absurdes. Probanden, die vorgeblich gute Gene für Ausdauer und Fitness hatten, liefen wie die Wiesel auf dem Laufband und fühlten sich nach einem großen Smoothie wunderbar satt. Probanden mit angeblich schlechten Genen gaben beim Laufen früh auf und blieben trotz Smoothie hungrig. Aber nicht nur das: Auch die Lungenfunktion und der Spiegel eines Hungerhormons passte sich den erfundenen Testresultaten an. Das Fake-Wissen war zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden.

Die Lehre daraus ist nun nicht, dass alle DNA-Analysen schädliche Orakelmaschinen sind. Es gibt Tests, die wirklich etwas über die Effekte einer Therapie verraten oder feststellen, ob man an einem schlimmen Erbdefekt leidet. Aber mit dem eher weichen Wissen über Risiken, Konstitutionen, über Möglichkeiten verhält es sich anders. Es belastet, demotiviert und schadet offenkundig sogar körperlich. Im Grunde handelt es sich ohnehin nicht um Wissen. In der Genetik ist manches unverstanden, insbesondere, wenn es um komplexe Eigenschaften geht, die von mehreren Genen und der Umwelt geprägt werden. Mit Mutmaßungen über erbliche Perspektiven sollte man hier deshalb vorsichtig sein. Gerade wenn DNA-Tests auch im kommenden Jahr immer billiger werden. Was mal keine Prophezeiung ist, sondern gewiss.

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Quelle:
SZ vom 29.12.2018
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