Diagnostik:Körperflüssigkeiten verraten das biologische Alter

Diagnostik: Das Erbgut in den Blutzellen eines Menschen verrät dessen wirkliches biologisches Alter. Dazu müssen Wissenschaftler das Muster und die Geschwindigkeit der genetischen Mutationen analysieren – ein aufwendiges Verfahren.

Das Erbgut in den Blutzellen eines Menschen verrät dessen wirkliches biologisches Alter. Dazu müssen Wissenschaftler das Muster und die Geschwindigkeit der genetischen Mutationen analysieren – ein aufwendiges Verfahren.

(Foto: Science Photo Library/mauritius images)

Das wahre Alter eines Menschen ist weniger eine Frage der Lebensjahre, sondern der Biologie. Bestimmen lässt es sich in allerlei Körpersäften: in Blut, Speichel und sogar Urin.

Von Kathrin Zinkant

Wie heißt es so schön? Man ist so alt, wie man sich fühlt. Da ist sicher auch was dran, doch zugleich regt sich der Zweifel, ob das Gefühl denn ganz die Wahrheit spricht. Durchzechte Nächte, all die Zigaretten damals, das Fast Food im Studium, es gibt viele Möglichkeiten, sich nachhaltig zu schaden und den Körper über das im Pass vermerkte Alter hinaus verfallen zu lassen. Andererseits möchte man gern das Gegenteil glauben. Wie also findet man sein echtes, sein biologisches Alter heraus?

Folgt man chinesischen Wissenschaftlern, könnte das bald und im Wortsinn pipileicht sein: Wie ein Forscherteam der Universität von Sichuan und des National Center of Gerontology in Peking jetzt in Frontiers in Aging Research berichtet, soll ein Stoff im Urin einfach und verlässlich Auskunft über das körperliche Alter eines Menschen geben können. Laut Studie handelt sich bei der orakelhaften Substanz um einen Marker für oxidativen Stress. Darunter verstehen Wissenschaftler Moleküle, die Zellschäden durch hochreaktiven Sauerstoff anzeigen. Zumeist handelt es sich um Abbauprodukte, die sich durch Alterungsprozesse allmählich anhäufen. Einen dieser Stoffe haben die Chinesen nun im Urin entdeckt. Er trägt den wenig eingängigen Namen 8-Oxo-7,8-Dihydroguanosin, kurz 8-Oxo-Gsn. Die Gerontologen zeigten, dass die Menge dieses Markers im Urin mit dem biologischen Alter zunimmt. Künftig könne 8-Oxo-Gsn deshalb helfen, Krankheitsrisiken besser einzuschätzen.

Das klingt großartig, wirft allerdings Fragen auf. Zum Beispiel die, warum dieser Marker nun all jene übertrumpfen soll, die es schon gibt. Die Wissenschaft befasst sich ja schon eine Weile mit der Frage, was echtes Alter physiologisch ausmacht und wie man es bestimmen kann. So waren Mediziner Ende der 1940er-Jahre davon überzeugt, dass sich das biologische Alter einer Person anhand des Umsatzes von Stickstoff bestimmen lässt: Bei jungen Leuten verschwinde die Hälfte des Gases binnen Minuten aus dem Körper, bei alten Menschen dauere es Stunden. "Ich denke, damit beobachten wir den Alterungsprozess", sagte der Arzt John H. Lawrence 1949 auf einem Fachkongress, über den die New York Times berichtete.

Eine Analyse sogenannter Telomere in Blutzellen soll zeigen, ob der Körper "gut altert"

Zu Beginn der 1960er war ein Basler Gerontologe dann dem Kollagen auf der Spur, jenem Eiweiß, das die Haut unterfüttert, Muskeln stützt, Knochen elastisch hält. Der Forscher beobachtete, dass sich die Fasern des Proteins mit den Jahren verändern und schwächer werden. "Die Alterung des Kollagens könnte einen objektiven Index für die Bestimmung des biologischen Alters liefern", schrieb Frederic Verzár 1963 im Scientific American.

Für den Normalbürger waren solche Untersuchungen an Blut oder Gewebe damals nicht erhältlich. Kommerzielle Biomarkertest folgten erst viel später. Einer der bekanntesten kam mit etwas Spucke aus - und er schien über ein substanzielleres Fundament zu verfügen. Zellen haben nämlich genetische Uhren, die ihre Teilungsfähigkeit begrenzen. Diese Uhren, Telomere genannt, sitzen wie schützende Kappen an den Enden der Chromosomen. Mit jeder Zellteilung verkürzen sich die Kappen. Unterschreiten sie eine Mindestlänge, erneuert sich die Zelle nicht mehr.

Entdeckt hatten die Telomere die Biologinnen Elizabeth Blackburn und Carol Greider von der University of California in Berkeley. Gemeinsam mit dem Harvard-Mediziner Jack Szostak erhielten sie 2009 sogar den Medizin-Nobelpreis dafür. Wenig später war Blackburn an der Gründung einer Firma beteiligt, die Telomeranalysen an Speichelproben anbot. Heute nennt sich das Unternehmen Telomere Diagnostics und bietet mit TeloYears eine Blutanalyse an, mit deren Hilfe der Kunde vermeintlich kontrollieren kann, ob er "gut altert". Angeblich hat er auch die Chance, "die Uhr des Alterungsprozesses zu verlangsamen". Bis heute ist jedoch unklar, inwieweit Telomere abgesehen von einzelnen Zellen auch das Gesamtphänomen des menschlichen Alterns beeinflussen. Blackburn selbst hat in den Medien betont, dass die Analyse eher ein Test auf Krankheitsrisiken sei. Ihre Anteile an der Firma hat sie inzwischen verkauft.

Das Blut hält noch mehr Informationen über das biologische Alter bereit. So sagt das Erbgut von Blutzellen als Ganzes etwas aus. Im Laufe des Lebens sammeln sich zufällige Veränderungen im genetischen Code der Zellen an, sie werden Mutationen genannt. Die Geschwindigkeit, mit der sich solche Mutationen anhäufen, und die Stellen im Erbgut, an denen sie in einem gewissen Alter auftreten, unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Und wie Biologen mithilfe von Computeranalysen zeigen konnten, hängt das Muster dieser Mutationen eindeutig mit dem biologischen Alter einer Person zusammen. Derzeit versuchen Wissenschaftler aber noch zu verstehen, welchen Regeln dieser Zusammenhang folgt.

Zumal das Erbgut nicht nur Mutationen sammelt, sondern auch Veränderungen, die nicht direkt die Gene betreffen, sondern ihre Aktivität. Erforscht werden diese vielfältigen Einflüsse auf das Erbgut durch die Epigenetik. Meist handelt es sich bei den Veränderungen um kleine Molekülgruppen, die an die Gene gehängt werden wie Fähnchen. Über das gesamte Erbgut ergibt sich auch daraus ein Muster, das sich im Lebensverlauf verändert - und sich in Bezug zum Alter setzen lässt. Obwohl diese Erkenntnis des US-Genetikers Steve Horvath erst wenige Jahre alt ist, gibt es mehrere Firmen, die entsprechende Analysen auf der Grundlage von Zellen aus Blut-, aber auch Speichel- und Urinproben anbieten. Mit dem Versprechen, dass gezielte Lebensstiländerungen das Muster der Molekülfähnchen im Genom beeinflussen. Ob man dem körperlichen Verfall damit Einhalt gebietet, bleibt derweil unbekannt.

Wer lebenslang Ausdauersport betreibt, kann sein biologisches Alter erheblich senken

Was aber hat man davon, sein biologisches Alter zu messen, und sei es im Urin, wenn es sich nicht gezielt manipulieren lässt? Es bleibt ja die Frage, was zu tun wäre, um sich unabhängig vom Geburtsdatum fit und agil zu halten. Folgt man Medizinern der University of Science and Technology in Trondheim, ist die Antwort auf diese Frage ohnehin schlicht: Viel Bewegung hält jung. Mit einem mobilen Labor haben die Mediziner vor drei Jahren 5000 Norweger untersucht. Sie fanden heraus, dass Menschen, die lebenslang auf Wettkampfniveau Ausdauersport betreiben, biologisch betrachtet bis zu 20 Jahre jünger sein können als Gleichaltrige, die sich moderat oder gar nicht sportlich betätigen. Was einen zu einer neuen Formel führt: Man ist so jung, wie man schwitzt.

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