Diabetes:Süßstoffe unter Verdacht

Können auch Süßstoffe Diabetes auslösen? Das legt eine neue Studie aus Israel nahe. "Beunruhigend", sagen nun manche Wissenschaftler.

Von Kai Kupferschmidt

Wenn es in der Forschung um Süßes geht, gibt es meistens Saures. Zucker verursacht, glaubt man manchen Wissenschaftlern, nicht nur Karies, sondern auch Diabetes, Fettleibigkeit und gewaltbereite Teenager. Andere Forscher halten vieles davon für übertrieben und kritisieren Studien, die solche Zusammenhänge zu belegen scheinen. Dennoch peilt die Weltgesundheitsorganisation einen neuen, verringerten Richtwert für Zuckerkonsum an. Weniger als fünf Prozent der Energiezufuhr sollte demnach über Zucker gedeckt werden. Bei einem durchschnittlichen Menschen wären das 25 Gramm Zucker am Tag - weniger, als in einer einzigen Dose Cola enthalten ist. Britische Wissenschaftler fordern gar ein Drei-Prozent-Ziel.

Um das überhaupt erreichen zu können, weichen viele Menschen auf künstliche Süßstoffe aus. Doch nun legt eine aktuelle Studie israelischer Forscher nahe, dass auch die Zucker-Alternativen der Gesundheit schaden könnten. Ersatzstoffe wie Aspartam oder Saccharin haben womöglich bittere Nebenwirkungen, folgern die Wissenschaftler: Sie veränderten die Darmflora und führten auf diesem Weg zu einem höheren Risiko für Diabetes. So besagt es die aktuelle Studie im Fachblatt Nature (online). Während einige Forscher die Ergebnisse zumindest "bemerkenswert" finden, halten andere sie für "Unsinn".

Darmbakterien scheinen eine Rolle zu spielen

Die Wissenschaftler vom Weizmann Institut für Wissenschaft in Rehovot fütterten zunächst Mäuse entweder mit Zucker oder einem von drei künstlichen Süßstoffen: Aspartam, Saccharin oder Sucralose. Nach zehn Wochen Süßstoffdiät stieg bei ihnen die Glukose im Blut deutlich stärker an als bei Mäusen, die mit Traubenzucker ernährt worden waren.

Wissenschaftler nennen das Glukoseintoleranz und sehen darin eine Vorstufe von Diabetes. Wurden die Mäuse vier Wochen lang mit Antibiotika behandelt, verschwand der Effekt, ein Hinweis darauf, dass Darmbakterien beteiligt sein könnten. Die Forscher identifizierten zudem einzelne Bakterienarten, die sich im Zuge der Süßstoffdiät vermehrten. Diese könnten den Stoffwechsel beeinflussen und so die Regelung des Blutzuckers aus dem Gleichgewicht bringen, argumentieren sie. Tatsächlich gelang es den Forschern, die Darmbakterien dieser Mäuse in keimfreie Mäuse zu übertragen und so bei den Empfängermäusen Glukoseintoleranz auszulösen.

"Süßstoffe könnten bei manchen Menschen Nebenwirkungen haben. Das ist beunruhigend."

In einem zweiten Teil der Studie gaben die Wissenschaftler sieben Menschen sechs Tage lang die höchste empfohlene Tageszufuhr an Saccharin zu essen. Schon nach dieser kurzen Zeit hätten sie bei vier der Teilnehmer Veränderungen des Blutzuckerspiegels festgestellt, berichten die Experten. "Wir sagen nicht, dass zuckergesüßte Getränke gesünder sind", sagt Eran Elinav, einer der Autoren. "Aber Süßstoffe könnten in manchen Menschen Nebenwirkungen haben. Das ist beunruhigend und muss weiter untersucht werden."

Die Studie sei "faszinierend", sagt der Harvard-Mikrobiologe Peter Turnbaugh. "Es hat schon früher Hinweise darauf gegeben, dass Süßstoffe die Darmflora verändern könnten. Aber das hier ist bei Weitem die gründlichste Analyse, die ich bisher gesehen habe."

Das Urteil anderer Wissenschaftler fällt weniger positiv aus: "Auf der Basis dieser Daten würde ich zustimmen, dass Mäuse nicht viel Süßstoff in ihrem Trinkwasser haben sollten", ätzt Catherine Collins, eine Ernährungswissenschaftlerin im St. Georgs Krankenhaus in London. Labormäuse erhielten normalerweise 60 Prozent ihrer Kalorien über Fett zugeführt, darum reagiere ihre Darmflora viel empfindlicher auf Kohlenhydrate als die des Menschen.

Und Stephen O'Rahilly, der an der Universität Cambridge forscht, kritisiert, die Daten zum Menschen seien schwach. "Eine Untersuchung an nur sieben Menschen lässt sich kaum verallgemeinern", sagt er. Außerdem habe eine riesige europäische Studie an Zehntausenden Menschen zwar einen Zusammenhang zwischen zuckerhaltigen Getränken und Diabetes festgestellt. Künstlich gesüßte Getränke hätten aber nicht zu einem höheren Diabetesrisiko geführt. O'Rahilly kritisiert, dass die Forscher diese und andere Studien in ihrer Arbeit nicht erwähnen. Sein Urteil: Die Arbeit sei schlampig.

"Es wäre bedauerlich, wenn diese Arbeit Richtlinien beeinflussen würde", sagt er. Das größte Problem der Studie sei, dass sie die verschiedenen Süßstoffe über einen Kamm schert, sagt Brian Ratcliffe, ein Ernährungsforscher an der Universität Aberdeen. In den ersten Experimenten hätten die Forscher zwar ähnliche Effekte beobachtet durch Aspartam, Sucralose und Saccharin, doch der Effekt sei bei Saccharin am größten gewesen, darum führten die Forscher spätere Experimente nur noch mit diesem Stoff durch.

Die Kontroverse zeigt, wie wenig über die Darmflora bekannt ist

Der Titel der Arbeit - "Künstliche Süßstoffe führen durch eine Veränderung der Darmflora zu Glukoseintoleranz" - sei deshalb irreführend. "Ich finde es unglaublich, dass das Journal diesen Titel zugelassen hat", sagt er. Die Daten deuteten in jedem Fall darauf hin, dass Saccharin weiter untersucht werden müsse, sagt Ratcliffe. Sollte der Effekt nur für Saccharin zutreffen, könnte das auch erklären, warum Untersuchungen zum Ernährungsverhalten bisher keine Hinweise darauf gefunden hatten. In den Diätversionen von Coca-Cola und Co sind vor allem Aspartam und Acesulfam als Süßstoff enthalten.

Die Kontroverse zeigt, wie wenig nach wie vor über das Zusammenspiel von Mensch und Mikroben bekannt ist. Jeder Mensch trägt zehnmal so viele Bakterien in und auf sich, als er selbst Körperzellen hat. Die Mikroben auf der Haut, im Mund, im Darm sind nicht nur stumme Untermieter. Sie beeinflussen zahlreiche Prozesse. So gibt es Kohlenhydrate wie Hemizellulose und Pectin, die der Mensch mit der Nahrung zu sich nimmt, aber nicht verdauen kann. Darmbakterien wandeln diese Stoffe in verdauliche Fettsäuren um. So erschließen sie Nahrungsquellen, die sonst verschlossen blieben. "Beim Menschen ist der Beitrag viel kleiner als bei Wiederkäuern, aber auch wir können Nahrung dank unserer Bakterien besser verwerten", sagt Michael Blaut vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke.

Auch Medikamente und körpereigene Stoffe werden auf diesem Weg aktiviert, umgewandelt, abgebaut. Selbst auf den Genuss von Obst und Gemüse haben die Mikroorganismen einen Einfluss. Einige Aromastoffe entstehen im Mund erst durch die Arbeit von Mikroben. Weißwein würde zum Beispiel ohne die Untermieter in der Mundhöhle anders schmecken. Und die Darmbakterien von Japanern haben eine Art "Sushi-Gen" von Meeresbakterien aufgenommen, das ihnen hilft, die Zellwände von Algen zu verdauen.

Trotz dieser Beispiele sei nach wie vor unklar, wie wichtig die Gesamtheit der mikrobiellen Mitbewohner, das Mikrobiom, für den Menschen sei und wie groß die Unterschiede von Mensch zu Mensch seien, sagt Blaut. Um die Funktion einzelner Darmbakterien zu verstehen, seien Mausstudien wichtig, "das lässt sich am Menschen nur schlecht untersuchen."

Solange der biochemische Mechanismus unklar sei, gebe es jedenfalls keinen Grund, sich gegen Getränke mit künstlichen Süßstoffen zu entscheiden, sagt Jim Mann, ein Ernährungsforscher an der Universität Otago in Neuseeland. "Wir haben immer gewusst, dass Süßstoffe nicht jedem helfen, abzunehmen. Aber für manche Menschen sind sie hilfreich." Und für alle anderen hat er auch einen Tipp parat: "Wasser ist sehr gut, um Durst zu löschen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: