Süddeutsche Zeitung

Deutschlands Kliniken:Gesundheitsminister will weniger Krankenhausbetten

Deutschlands Kliniken sind nur zu 77 Prozent ausgelastet. Sie können sich nicht aus eigener Kraft modernisieren. Ein Drittel schreibt rote Zahlen. Gesundheitsminister Gröhe will deshalb überflüssige Klinikbetten abschaffen.

Von Guido Bohsem, Berlin

Das Neue Klinikum des Universitätskrankenhauses in Hamburg-Eppendorf ist die Ausnahme. Der 2009 eröffnete Komplex ist ein gigantischer Turm der modernen Medizin. Die Operationssäle liegen zentral, um optimale Ausnutzung zu garantieren. Der Übergang zu den Stationen ist fließend, um Nähe zu schaffen und eine bessere Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegekräften zu gewährleisten. Vor den Zimmern stehen fahrbare Computerterminals, Papier ist gestern, die Patientenakte digital. Alles ist auf Effizienz und Hochleistungsmedizin ausgerichtet.

Von solchen Bedingungen können die Manager vieler Krankenhäuser im Land nur träumen. Das gilt sowohl für Unikliniken, vor allem auch für die mittelgroßen und erst recht die kleinen Häuser. Die etwa 2000 Kliniken im Land leiden an veralteten Strukturen, unter hohen Personal- und Energiekosten. Weil ihnen das nötige Geld fehlt, drohen sie selbst zum Notfall zu werden, zulasten der Qualität und damit auf Kosten der Patienten. Im Gespräch mit der SZ bietet Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nun Hilfe an, stellt mehr Geld in Aussicht.

Doch im Gegenzug verlangt er den Kliniken einiges ab. Überflüssige Betten will er streichen. Die Kliniken sollen mehr Offenheit wagen, in klarer, verständlicher Sprache über ihre Leistungen und Probleme aufklären und vor allen Dingen Qualität liefern. Wer in Zukunft keine guten Resultate zeigt, soll nach Gröhes Worten weniger Geld bekommen. "Ein ausschließliches Aufstocken der Mittel bringt den Krankenhäusern langfristig nichts und kann mit Blick auf die Belastungsgrenzen der Beitragszahler nicht die Lösung sein."

Tatsächlich waren die Kostensteigerungen der vergangenen Jahre enorm. Die Krankenkassen werden in diesem Jahr etwa 70 Milliarden Euro an die Kliniken zahlen. 2012 waren es noch knapp 62 Milliarden Euro. Und doch schreibt ein Drittel der Häuser rote Zahlen. Viele von ihnen sind gezwungen, Kredite aufzunehmen, um ihre Gebäude instand zu halten oder notwendige Modernisierungen zu bezahlen, und das bringt die schlechten Ergebnisse.

Die Ursache für die Misere ist politisch. Denn eigentlich sind die Länder verpflichtet, die Investitionskosten zu zahlen. Doch die kommen ihrer Aufgabe immer weniger nach. 2,7 Milliarden Euro überwiesen sie zuletzt, im Jahr 1993 waren es noch 3,9 Milliarden Euro. Angemessen wären nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft gut sechs Milliarden Euro.

Besserung ist nicht in Sicht, wenn man unabhängigen Experten glaubt wie Volker Penter, Partner bei der Beratungsgesellschaft KPMG und dort für den Bereich Gesundheit zuständig. "An den Finanzierungsbedingungen wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern." Schließlich herrsche in den Bundesländern ein strikter Sparkurs, weil sie wegen der Schuldenbremse von 2019 an ohne Kredite auskommen müssen.

"Die Länder sind in der Pflicht"

Nach Gröhes Worten muss sich das ändern. "Die Länder sind in der Pflicht, dieser Aufgabe nachzukommen." Die Krankenhäuser sähen sich ansonsten gezwungen, Investitionen aus den Mitteln für die Betriebskosten zu finanzieren, sprich aus den Geldern, die von den Krankenkassen eigentlich zur Behandlung der Patienten zur Verfügung gestellt werden.

Um trotzdem wirtschaftlich arbeiten zu können, steigern die Kliniken nach Meinung der Krankenkassen ihre Umsätze gezielt mit unnötigen Operationen. Minister Gröhe ist da vorsichtiger. Auffällig sei, so der Minister, dass die Anzahl der behandelten Fälle und auch die Schwere der behandelten Krankheiten seit 1991 stark zugenommen habe. "Die hohe Leistungsdynamik ist allerdings weder durch demografisch bedingte Krankheitslasten noch durch den medizinischen Fortschritt erklärbar", sagte Gröhe.

Trotz der enormen Produktivitätssteigerungen der vergangenen Jahre mit immer höheren Fallzahlen sind die Kliniken nach den Worten des Bundesgesundheitsministers nicht ausgelastet. So würden nur 77 Prozent der Betten genutzt. "Das bedeutet, dass im Jahresdurchschnitt von den rund 501 000 Krankenbetten etwa 113 000 leer stehen." Man müsse deshalb fragen, ob diese hohe Anzahl der Betten notwendig sei. "Vielleicht ist ein Abbau oder eine Umwandlung überzähliger Krankenhausbetten sinnvoller."

Nach Worten des KPMG-Experten Penter verstärkt diese Situation einen Trend, der schon länger im Kliniksektor zu beobachten ist. "Private Anbieter kaufen auch kleine und unrentable Häuser, um weiterhin wachsen zu können." Er rät den Kliniken deshalb, künftig noch offensiver in den Wettbewerb um Patienten einzutreten. Dabei werde Qualität ein wichtiger Faktor sein. "Die Kliniken sollten schonungslos und deutlich offenlegen, wo sie gut sind und wo nicht." Die Häuser müssten dies als Eigenwerbung verstehen.

Qualität soll zentrale Rolle spielen

Diesen Weg will auch die große Koalition unterstützen. Gröhe forderte die Krankenhäuser auf, darum ihre Patienten umfassend über die Qualität der Leistungen zu informieren und zwar in Klartext . "Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen die Informationen verstehen, ohne vorher ein Medizin- und Jurastudium absolvieren zu müssen." Verständlicher und präziser müssten die Berichte der Kliniken werden.

Aber auch beim Geld soll die Qualität künftig eine zentrale Rolle spielen. Laut Gröhe könnten durch Zu- und Abschläge gute Leistungen besser und schlechte Leistungen schlechter bezahlt werden. Zudem sollten die Kliniken mehr Geld erhalten, die durch zusätzliche Anstrengungen bestrebt sind, ihre Qualität zu verbessern.

Doch könnte sich speziell dieses Vorhaben sehr schwierig gestalten. Zwar ist die Koalition wild entschlossen, die Qualitätsbewertung einzuführen. Doch wird dieses Prinzip schon seit mehr als zehn Jahren unter dem Stichwort pay for performance - bezahlen nach Leistung - diskutiert.

Und so stellte der Vorsitzende des zuständigen Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, CDU, kürzlich ein wenig resignativ fest: "Viele Unternehmensberatungen haben hier im Gesundheitswesen schon viel Geld verdient, noch niemandem ist es aber gelungen, belastbare Kriterien zu definieren und zu implementieren." Das werde Jahre in Anspruch nehmen. In dieser Legislaturperiode, da ist sich Hecken sicher, dürfte das nicht gelingen.

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SZ vom 09.04.2014/lala
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