Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation:WHO berechnete Corona-Übersterblichkeit für Deutschland falsch

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Im vergangenen Winter starben in Dresden so viele Menschen, dass die Särge bis zur Einäscherung zwischengelagert werden mussten. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass mehr Menschen gestorben sind als sonst. Eine fehlerhafte Berechnung der WHO überschätzt das Problem für Deutschland allerdings. Bald soll es eine Korrektur geben.

Von Sören Müller-Hansen

In den vergangenen zwei Jahren sind weltweit viele Millionen Menschen an Covid-19 gestorben. Die meisten von ihnen hätten ohne die Erkrankung noch viele weitere Jahre leben können. Doch wie viele Todesopfer die Pandemie insgesamt gefordert hat, lässt sich aus den offiziellen Statistiken nicht so genau ablesen. Denn viele Länder erfassen ihre Covid-19-Verstorbenen nur äußerst unvollständig, andere wiederum unterscheiden nicht, ob Covid-19 wirklich die Todesursache war. So lässt sich auch nicht vergleichen, welcher Staat die beste Strategie zur Pandemie-Bekämpfung gewählt hat.

Die Schwäche der Corona-Statistiken lässt sich mit etwas Mathematik aber ausgleichen. Denn unabhängig von der Todesursache gibt es aus aller Welt Zahlen, wie viele Menschen in den vergangenen Jahren verstorben sind. In Deutschland sind 2021 beispielsweise gut eine Million Menschen gestorben, weltweit waren es der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge knapp 57 Millionen. Diese Werte verändern sich über die Jahre, zum Beispiel weil das Durchschnittsalter der Deutschen immer weiter steigt.

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Um zu prüfen, ob in der Pandemie ungewöhnlich viele Menschen gestorben sind, ob es also eine Übersterblichkeit gegeben hat, muss man abschätzen, wie viele Verstorbene es in einem ganz gewöhnlichen Jahr gegeben hätte. In einem Jahr also ohne tödliche Pandemie und ohne Lockdowns. Vergleicht man die zurückliegenden zwei Jahre mit dem langjährigen Mittelwert, so kann man eine deutliche Übersterblichkeit erkennen. Die WHO hat in einer kürzlich veröffentlichten Analyse berechnet, dass 2020 und 2021 knapp 15 Millionen Menschen mehr starben, als sie es der Entwicklung der Vorjahre zufolge erwartet hätte.

Diese Werte liegen in der gleichen Größenordnung wie Berechnungen des Economist (zwischen zwölf und 21 Millionen zusätzliche Tote) und Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie zur Übersterblichkeit im Fachjournal The Lancet (17 bis 20 Millionen).

Für Deutschland haben sich die Statistiker der WHO allerdings massiv verrechnet: 200 000 Todesfälle mehr als erwartet soll es der Weltgesundheitsorganisation zufolge gegeben haben. Angesichts der allgemein vorherrschenden Narrativs, Deutschland habe es einigermaßen gut durch die bisherige Pandemie geschafft, verwundert diese gewaltige Zahl. Zumal das Statistische Bundesamt auf völlig andere Zahlen kommt: Für 2020 und 2021 zusammengerechnet spricht es von einer Übersterblichkeit von etwa 74 000 mehr Toten, als im langjährigen Mittel zu erwarten gewesen wäre. Entsprechend groß war der Aufschrei unter Statistikern, als die WHO-Analyse erschien.

Ein Blick auf die Schätzungen der WHO verrät schnell den Fehler: Die Weltgesundheitsorganisation hat die ohne Pandemie zu erwartenden Todesfälle deutlich unterschätzt. Einer der Autoren, der Statistiker Jon Wakefield von der University of Washington, erklärte das der BBC so: 2019 sei die beobachtete Zahl der Todesfälle in Deutschland erstaunlich niedrig gewesen, es sind weniger Menschen gestorben als in den Vorjahren. Das in der Analyse verwendete Regressionsmodell, ein statistisches Verfahren, um aus einzelnen Datenpunkten Entwicklungen abzuleiten, habe auf diese niedrige Sterblichkeit zu empfindlich reagiert. Dadurch sei die Schätzung der Mortalität ohne Pandemie zu niedrig ausgefallen. "Das hat im Gegenzug zu einer höheren Schätzung der Übersterblichkeit geführt, als wir es für realistisch halten."

Deshalb soll es bald eine neue, korrigierte Analyse der WHO geben. Darin soll dann auch die Übersterblichkeit in Schweden korrigiert werden. Dort hatte die Weltgesundheitsorganisation die pandemisch bedingten Todesfälle deutlich unterschätzt.

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