Quer durch die internationalen Institutionen, durch die großen wie kleinen Hilfsorganisationen schwindet der Optimismus gerade rapide. Bei allem Chaos scheint relativ sicher, dass die USA ihre Zahlungen für die internationale Entwicklungshilfe in beispiellosem Ausmaß kürzen werden. Das würde nicht nur immenses Leid bringen, sondern auch Deutschland eine unerwartete Rolle stoßen. Die Bundesrepublik würde in der Tabelle der zahlungsfreudigsten Länder ganz nach oben rutschen. Sie wäre der neue Primus in Sachen Entwicklungshilfe, was schon jetzt enorme Erwartungen weckt.
„Die Welt schaut auf Deutschland“, sagt Anja Nitzsche, die beim Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) für Ressourcen zuständig ist. Dazu trage vor allem bei, dass Deutschland sich eine Reputation als verlässlicher Partner aufgebaut habe. Verlässlichkeit ist, wonach sich weite Teile der Welt gerade verzweifelt sehnen. Es ist aber auch, so Nitzsche, „ein Pfund, mit dem Deutschland wuchern kann“. Der gute Ruf könne dabei helfen, gerade im globalen Süden Türen offenzuhalten oder noch weiter zu öffnen. Davon könnte auch Deutschland profitieren, durch zusätzlichen Einfluss etwa, durch Zugang zu Rohstoffen oder durch neue Absatzmärkte.
Auch im Bereich der globalen Gesundheit winkt man längst in Richtung Berlin. „Deutschland hat eine fantastische Ausgangslage, wenn es darum geht, mehr Verantwortung zu übernehmen“, sagt Ole Petter Ottersen. Er ist Medizinprofessor an der Universität Oslo, Gastprofessor an der Berliner Charité und leitet die Kommission „Global Governance for Health“ der Fachzeitschrift Lancet, die sich gerade viele Gedanken darüber macht, wie es mit der Gesundheitsversorgung ärmerer Staaten weitergehen könnte.
Will Deutschland diese Vorreiterrolle überhaupt?
Ottersen verweist auf die Wirtschaftskraft Deutschlands, auf seine starken akademischen Institutionen, den relativ hohen Rückhalt in der Bevölkerung für Hilfsleistungen an andere Länder. Damit könne das Land kurzfristig helfen, die durch die USA entstandenen Finanzierungslücken zu schließen, sagt Ottersen, der auch Stellvertreter der deutschen Virchow-Foundation ist: „Das ist dringend notwendig, denn schon jetzt sterben Menschen wegen der US-Kürzungen“.
Längerfristig gesehen könnte Deutschland eine Führungsrolle übernehmen, wenn es darum geht, zu diskutieren, wie es weitergehen soll, sagt Ottersen: „Auf welche Institutionen können wir uns noch verlassen, welche neuen Partner könnten hinzukommen? Wie können Multilateralismus und Entwicklungshilfe gestärkt und wiederaufgebaut werden?“
Doch momentan ist fraglich, ob Deutschland an einer solchen Vorreiterrolle überhaupt interessiert ist. Die Bundesregierung hat bereits im vergangenen Jahr die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit gekürzt. 32,4 Milliarden Dollar zahlte Deutschland 2024 laut den vorläufigen Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Das sind 5,5 Milliarden weniger als noch 2023. Die Kürzung bedeutet zugleich, dass Deutschland das von den Vereinten Nationen angestrebte Ziel nicht mehr erreicht hat. 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) soll demnach für die Entwicklungshilfe ausgegeben werden, Deutschland investierte zuletzt nur noch 0,67 Prozent.
Mehr wird es wahrscheinlich sobald nicht werden. Der Koalitionsvertrag stellt jedenfalls fest: „Aufgrund der Notwendigkeit, den Haushalt zu konsolidieren“, müsse „eine angemessene Absenkung“ der Quote für die Entwicklungshilfezahlungen erfolgen. Noch sind die Details nicht klar. Doch Hilfsorganisationen wurden Ende Januar schon einmal auf eine neue Realität eingeschworen. Bei einem Runden Tisch im Auswärtigen Amt wurde klargestellt, dass man sich künftig bei der humanitären Hilfe vorrangig auf einige wenige Krisen fokussieren werde: Ukraine, Sudan, Nahost, wie die SZ aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu lediglich, dass sich die Anforderungen vervielfältigt hätten und man gezwungen sei, „Budgets zu kürzen, effektiver zu werden und auch klare Schwerpunkte zu setzen“, wobei man allerdings auch flexibel bleiben werde.

Erderwärmung:Wie sich die Klimazonen verschieben
In Deutschland könnte es bald trockene Steppen geben, und in einem Land in Osteuropa hat sich das Klima bereits komplett umgekrempelt: Eine Reise rund um den Globus an Orte, die sich gerade rasant verändern.
OCHA, das UN-Amt, sieht die Folgen bereits: „Wir haben in diesem Jahr noch keine Zuwendungen aus Deutschland für Äthiopien gesehen, noch keine für Afghanistan, Haiti, Venezuela, Libanon und auch nicht für den Gazastreifen“, so Anja Nitzsche: „Es geht in diesen Ländern um große Krisen, es geht, was die humanitäre Situation anbelangt, um Leben und Tod“.
Befürchtet wird auch, dass Deutschland seine Zuwendungen für die großen Initiativen, die Impfallianz Gavi und den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, reduzieren wird. In dem 2024 erstellten Regierungsentwurf für das laufende Jahr seien Kürzungen für beide Organisationen vorgesehen, bestätigte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Allerdings werde dieser Haushaltsentwurf von der neuen Regierung überarbeitet.
Christoph Strupat, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am German Institute of Development and Sustainability, hält die Kürzung der Mittel für diese beiden Organisationen für „sehr ungünstig und problematisch“. Er verweist darauf, dass es zuletzt einige wichtige Innovationen gegeben habe, wie neue Malaria-Impfstoffe, die dann gar nicht oder nur mit Verzögerung angewendet werden könnten.
Strupat warnt zugleich vor verheerenden Folgen, sollte Deutschland seine Zuwendungen für die globale Gesundheit noch weiter reduzieren. „Dies sendet auch problematische Signale an Partnerländer und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich auf die Zusammenarbeit verlassen.“ Deutschland hatte sich unter der Regierung Merkel zu einem stärkeren Engagement in der globalen Gesundheit bekannt. Wende sich die Bundesregierung nun davon ab, würde dies zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit führen. Es ginge dann genau jener Wert verloren, den Deutschland sich über die Jahre mit viel Geld erarbeitet hat.