Ernährung:Auf dem Land leben mehr dicke Menschen als in der Stadt

Ernährung: Fastfood in Neu-Delhi: Jedoch sind dauernd verfügbare, hochverarbeitete Nahrungsmittel mit hoher Energiedichte inzwischen auch in den ländlichen Regionen der Schwellen- und Entwicklungsländer angekommen.

Fastfood in Neu-Delhi: Jedoch sind dauernd verfügbare, hochverarbeitete Nahrungsmittel mit hoher Energiedichte inzwischen auch in den ländlichen Regionen der Schwellen- und Entwicklungsländer angekommen.

(Foto: AP)
  • Daten aus mehr als 2000 Studien zeigen, dass Menschen in ländlichen Regionen schneller dick werden als in der Stadt. Bislang dachte man, es sei genau umgekehrt.
  • Gewicht und Körpergröße von mehr als 112 Millionen Menschen sind in die Untersuchung eingeflossen.
  • Die Forscher fordern ein radikales Umdenken in der Prävention, um dieses globale Gesundheitsproblem anzugehen.

Von Hanno Charisius

Ein durchschnittlicher Erdenbürger war im Jahr 2017 etwa fünf bis sechs Kilogramm schwerer als noch 1985. Das geht aus Daten hervor, die mehr als 1000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt zusammengetragen haben, um zu bestimmen, wo die Menschheit am schnellsten dick wird.

Der Studie im Journal Nature zufolge wachsen die Fettpolster der Bewohner ländlicher Regionen schneller als die von Stadtmenschen. Diese Beobachtung stellt altes Wissen auf den Kopf: Bislang waren Gesundheitsforscher davon ausgegangen, dass Städter schneller zunehmen als Landbewohner.

Überall auf der Welt zieht es die Menschen in die Städte. Und bisher war die Annahme, dass die neuen Stadtbewohner durch die Fülle an dauernd verfügbarer, billiger, stark verarbeiteter Nahrung mit hoher Energiedichte rasant Gewicht zulegen. Das mag eine Zeit lang auch so gewesen sein, doch inzwischen sind diese Nahrungsmittel auch in den ländlichen Regionen der Schwellen- und Entwicklungsländer angekommen - mit verheerenden Konsequenzen für die Gesundheit der Bevölkerung. "Das bedeutet, dass wir umdenken müssen, wie wir dieses globale Gesundheitsproblem angehen", sagt Majid Ezzati vom Imperial College London, der die Studie geleitet hat, in einer Mitteilung der Universität.

"Wir müssen umdenken"

Ezzati und seine zahlreichen Kolleginnen und Kollegen haben mehr als 2000 Studien aus etwa 30 Jahren ausgewertet, die Gewicht und Körpergröße von mehr als 112 Millionen Menschen erfasst haben. Aus diesen beiden Maßen lässt sich der sogenannte Body-Mass-Index (BMI) errechnen, der einen Schätzwert für das Übergewicht eines Menschen darstellt. Sie stellten fest, dass mehr als die Hälfte des globalen BMI-Anstiegs im Untersuchungszeitraum durch Gewichtszunahme der ländlichen Bevölkerung zu erklären ist.

In manchen einkommensschwachen Ländern machen die anschwellenden Fettpolster der Männer, Frauen und Kinder auf dem Land sogar mehr als 80 Prozent des BMI-Anstiegs aus. Die Wissenschaftler weisen in ihrem Aufsatz darauf hin, dass in diesen Regionen das Problem der Unterernährung in den vergangenen Jahren durch Fehlernährung mit zu viel ungesunder Nahrung abgelöst worden ist.

Auch in Deutschland hat die Landbevölkerung mehr Gewicht zugelegt als die in Städten, wenngleich die Unterschiede hier im weltweiten Vergleich eher klein ausfallen. Nahezu neun Millionen Deutsche sind übergewichtig, mehr als 800 000 von ihnen haben deswegen schwere gesundheitliche Probleme. Das Herz-Kreislauf-System leidet zum Beispiel, es kommt vermehrt zu Diabetes und auch das Krebsrisiko steigt mitunter mit dem Gewicht.

Als wesentlichen Einflussfaktor für die hiesigen Stadt-Land-Unterschiede macht Christa Meisinger vom Universitären Zentrum für Gesundheitswissenschaften am Klinikum Augsburg Einkommensunterschiede aus. "Wir wissen, dass sozial schwache Gruppen sich meist schlechter ernähren und weniger bewegen", sagt die Oberärztin, die an der aktuellen Studie beteiligt war.

In Deutschland aber auch weltweit sei Aufklärung wohl das beste Werkzeug, um diesen Trend zu stoppen, sagt Meisinger. Man müsse dabei insbesondere die Hochrisikogruppen ansprechen. Auch der Ernährungswissenschaftler Barry Popkin von der University of North Carolina empfiehlt in einem Begleitkommentar zur Studie in Nature staatliche Steuerung des Essverhaltens, etwa durch günstigere Preise für gesunde Nahrungsmittel, Überwachung der Schulkost und eine deutliche Kennzeichnung hochverarbeiteter Lebensmittel auf der Verpackung, wie es in Chile bereits vorgeschrieben ist.

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