Bei ihrer 128. Hauptversammlung hat sich die Bundesärztekammer am vergangenen Freitag für einen strengeren Umgang mit Pubertätsblockern ausgesprochen. In dem mehrheitlich gefassten Beschluss fordert die Ärzteschaft die Bundesregierung dazu auf, Pubertätsblocker, geschlechtsangleichende Hormontherapien und Operationen bei unter 18-Jährigen "nur im Rahmen kontrollierter wissenschaftlicher Studien" sowie unter Hinzuziehen verschiedener Experten und Mediziner zu gestatten. Die Resolution sieht auch vor, dass der bisherige Entwurf für eine neue Behandlungsleitlinie für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie überarbeitet wird.
Medizin:Neue Leitlinie für Umgang mit trans Jugendlichen vorgestellt
Nach sieben Jahren des Ringens erscheint nun die deutschsprachige Empfehlung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie. Die Beteiligten sprechen von einem Quantensprung.
In der Begründung beziehen sich die Antragsteller, sieben Medizinerinnen und Mediziner aus Mecklenburg-Vorpommern, darauf, dass es sich um "irreversible Eingriffe in den menschlichen Körper bei physiologisch primär gesunden Minderjährigen" handeln würde, die zudem "bei fehlender Evidenz für derartige Maßnahmen kein informiertes Einverständnis" geben könnten.
Der Vorstoß der Bundesärztekammer kommt überraschend. Immerhin hatte unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ein Zusammenschluss von 27 Fachgesellschaften und Betroffenenorganisationen sieben Jahre lang an einer neuen Behandlungsrichtlinie gearbeitet. Wie und unter welchen Umständen Pubertätsblocker zum Einsatz kommen sollen, waren die Fragen, mit denen sich das Gremium besonders intensiv auseinandersetzte. Im März hatte die AWMF schließlich bekannt gegeben, sich auf eine Behandlungsleitlinie geeinigt zu haben. Diese liegt den Fachgesellschaften zur Kommentierung vor und sollte eigentlich in Kürze final verabschiedet werden.
Pubertätsblocker sind hormonelle Medikamente, die das Fortschreiten der Pubertät hinauszögern sollen, um so mehr Zeit für irreversible Entscheidungen bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie zu gewinnen. Da in diesem Bereich die wissenschaftliche Datengrundlage aus Langzeitstudien nur unzureichend ist, fällt es Expertinnen und Experten besonders schwer, zu einem Konsens zu kommen. So hat beispielsweise kürzlich in England der National Health Service (NHS) entschieden, Pubertätsblocker nur noch im Rahmen von Studien zu erlauben.
Dieses Vorgehen, das nun die Bundesärztekammer ebenfalls befürwortet, haben die Expertinnen und Experten der AWMF zuvor auch lange diskutiert. Die AWMF argumentiert, dass man den Leidensdruck der betroffenen Kinder und Jugendlichen ernst nehmen und in jedem Fall individuell die Folgen eines medizinischen Eingriffs gegenüber den Auswirkungen einer abwartenden Nicht-Behandlung abgewägt werden müssen. In die Entscheidungen seien auch Minderjährige einzubeziehen.
Kritik an der Resolution des Deutschen Ärztetags kommt von der Deutschen Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (DGTI). Sie bezeichnete die Resolution der Ärzteschaft als "unnötige, der Politik rechtskonservativer Regierungen in den USA und Europa folgende trans*feindliche Forderungen" an die Bundesregierung. Sie seien "der politisch motivierte und fachlich irreführende Versuch", der von der AWMF erarbeiteten Behandlungsrichtlinie zuvorzukommen.
Der Deutsche Ärztetag hat sich in seinem Antrag übrigens auch über eine medizinische Empfehlung hinaus dafür ausgesprochen, das vom Bundestag beschlossene Selbstbestimmungsgesetz zu ändern. Demnach soll es unter 18-Jährigen nicht gestattet werden, "ohne vorherige fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und Beratung" ihr Geschlecht und ihren Personenstand ändern zu lassen. Momentan sieht das Gesetz vor, dass Minderjährige ab 14 Jahren mit Zustimmung der Eltern ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können.