Süddeutsche Zeitung

Demenz:Hoffnung auf die "Alzheimer-Impfung"

Ist Alzheimer erst einmal ausgebrochen, helfen Medikamente kaum. Doch vielleicht lässt sich die Krankheit hinauszögern, wenn die Therapie bereits vor den ersten Symptomen beginnt. Forscher testen diese Möglichkeit in drei großen Studien - und gehen auch ethischen Fragen nach.

Von Katrin Blawat

Ist es vor allem eine Frage des richtigen Zeitpunkts? Dann besteht Hoffnung. Könnte man jenen Moment erwischen, von dem an in den Gehirnen einiger Menschen die Moleküle verrückt spielen und schließlich Nervenzellen zerstören, dann ließe sich womöglich auch Alzheimer - nein, verhindern wohl nicht, darauf zu hoffen wagt derzeit kaum ein Forscher. Aber ein paar Jahre hinauszögern ließe sich die Krankheit dann vielleicht.

Bislang ist sogar das eine Utopie. Wer erste Symptome der Alzheimer-Demenz zeigt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit immer stärker unter der Krankheit leiden - egal, ob er die derzeit verfügbaren Medikamente nimmt oder nicht. Keines kann die Krankheit wesentlich bremsen.

Was aber, wenn jemand die Therapie beginnt, bevor er überhaupt etwas von der Krankheit bemerkt? Könnte eine solche "Impfung" vor Alzheimer schützen, wenigstens ein paar Jahre lang?

Dies in einigen Jahren bestätigen zu können, ist eine der größten Hoffnungen der Alzheimer-Forschung. Mehrere 100 Millionen Dollar werden allein in den kommenden drei Jahren in die Erforschung dieser Frage fließen. In drei aufwendigen, zum Teil weltweiten Studien soll sich zeigen, ob Medikamente vielleicht doch etwas gegen Alzheimer ausrichten können, wenn sie schon Jahre oder gar Jahrzehnte vor den ersten Symptomen genommen werden. Damit beginne eine "neue Ära" der Alzheimer-Prävention, schreibt Reisa Sperling von der Harvard Medical School in Boston in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science Translational Medicine (Bd. 6, S. 1, 2014).

Dort stellt die Neurologin einen der drei klinischen Ansätze zur medikamentösen Alzheimer-Prävention vor, die sogenannte A4-Studie (Anti-Amyloid Treatment in Asymptomatic Alzheimer's Disease). Sie soll 1000 Menschen zwischen 65 und 85 Jahren in den USA, Kanada und Australien einschließen, die allenfalls eine altersgemäße Vergesslichkeit an sich bemerken, neurologisch aber noch als gesund gelten und auch keine genetische Veranlagung für Alzheimer haben.

Allerdings achten Sperling und ihre Kollegen noch auf ein weiteres Kriterium: In den Gehirnen der Probanden muss sich bereits ein erhöhtes Alzheimer-Risiko andeuten. Feststellen lässt sich das mittels eines speziellen Hirnscans, der Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Mehr als 5000 Freiwillige müssen vermutlich untersucht werden, um 1000 geeignete Probanden zu finden, vermuten die Forscher. "Unseren ersten Probanden haben wir vor zwei Wochen aufgenommen", sagt Sperling.

Kern der Studie ist ein Medikamententest an 500 der Probanden mit dem Präparat Solanezumab. Weitere 500 erhalten ein Placebo, wobei weder Ärzte noch Studienteilnehmer wissen, wer zu welcher Gruppe gehört. Solanezumab soll ein Protein namens Amyloid-beta in den Gehirnen unschädlich machen, das einer weitverbreiteten Hypothese zufolge eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielt. Solanezumab wurde schon in früheren klinischen Alzheimer-Studien eingesetzt und hat dort vor allem enttäuscht. Wer bereits deutlich an der Krankheit leidet, dem kann das Präparat nicht helfen, hat eine im Januar veröffentlichte Untersuchung endgültig gezeigt. Lediglich Probanden in einem sehr frühen Stadium der Demenz schien das Mittel etwas zu nützen.

Darauf bauen die Forscher nun. Vielleicht ist das Medikament ja umso wirksamer, je früher man es nimmt? Für diese Vermutung spricht, dass Alzheimer schon 15, 20 oder noch mehr Jahre beginnt, ehe ein Mensch auffällig vergesslich und orientierungslos wird. Ist es erst einmal so weit, sind in seinem Gehirn bereits so viele Mechanismen außer Kontrolle geraten, dass es nichts mehr bringt, die schädliche Wirkung eines einzelnen Moleküls einzudämmen. So erklären die Vertreter der Amyloid-Hypothese, warum Mittel wie Solanezumab bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium nicht wirken - und warum sich das Präparat in Tests wie der A4-Studie dennoch bewähren könnte.

Gut drei Jahre geben die Forscher dem Präparat dafür Zeit. Dann soll sich zeigen, ob jene Probanden, die das Medikament bekommen haben, sich geistig wirklich besser gehalten haben als die Probanden mit dem Scheinmedikament. "Besser" bedeutet dabei, dass die Krankheit in der Medikamentengruppe um mindestens 30 Prozent langsamer voranschreitet als bei den Kontrollprobanden.

Seinen Schrecken wird Alzheimer damit noch nicht verlieren, das weiß auch Sperling: "Die A4-Studie ist ein erster Schritt, aber sie wird nicht eindeutig ergeben, ob wir den Beginn von Alzheimer herauszögern können." Zu kurz ist dafür die Beobachtungszeit, zu klein die Teilnehmerzahl. Doch sollten die Ergebnisse positiv sein, planen die Forscher eine Verlängerung.

Wissen und Nichtwissen

Erkenntnisse erhoffen sie sich zudem darüber, wie Menschen damit umgehen, wenn sie um ihr erhöhtes Alzheimer-Risiko wissen. Wie mächtig ist der Gedanke an dieses verheerende Molekül im eigenen Kopf? Fühlt man sich dann automatisch krank? Oder werden die Betroffenen im Gegenteil alles daran setzen, ihr jetzt noch beschwerdefreies Leben umso mehr zu genießen?

"Wir haben detaillierte Richtlinien erarbeitet, wie wir dem Probanden mitteilen, was wir wissen - und vor allem, was wir nicht wissen", sagt Sperling. Denn auch wenn ein erhöhter Amyloid-Spiegel statistisch gesehen auf ein großes Alzheimer-Risiko hinweist - individuell und konkret beziffern lässt es sich damit nicht.

Dieser ethische Aspekt sei "extrem wichtig", sagt der Alzheimerforscher Christian Haass von der Uni München und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). "Ich finde das Design der Studie sehr gut. Es ist der beste Ansatz, den es momentan gibt."

Jedoch nicht der einzige. Neben der A4-Studie laufen zwei weitere Tests, die eine "Alzheimer-Impfung" erproben. Allerdings hat ein Teil deren Probanden nicht nur ein erhöhtes Alzheimer-Risiko, sondern Gewissheit: In zehn bis 15 Jahren werden sie Alzheimer bekommen. Die Teilnehmer dieser beiden Studien tragen genetische Mutationen in sich, die zum Ausbruch der Krankheit führen - oft schon mit Mitte 40.

Bezogen auf die gesamte Bevölkerung, sind diese Erbgutvarianten selten, nur etwa fünf Prozent aller Alzheimerfälle gehen darauf zurück. Eine der Mutationen aber hat sich in einer weitverzweigten Familie in Kolumbien ausgebreitet, von der viele Mitglieder an der sogenannten Api-Studie (Alzheimer Prevention Initiative) teilnehmen. Sie verfolgt über fünf Jahre das Schicksal von etwa 300 jungen Erwachsenen, die noch keinerlei Alzheimer-Symptome zeigen. Viele der Teilnehmer tragen jedoch die krankmachende Mutation in sich, und deren verheerende Auswirkung hoffen Forscher mithilfe eines Medikamentes wie in der A4-Studie hinauszuzögern. Dafür testen sie einen anderen Wirkstoff als das Team um Sperling.

Viele der insgesamt 240 Teilnehmer der dritten großen Präventionsstudie namens DIAN (Dominantly Inherited Alzheimer Network) tragen ebenfalls Mutationen in sich, wegen denen sie in zehn bis 15 Jahren, ebenfalls mit Mitte 40, an Alzheimer erkranken werden. Auch einige Familien aus Deutschland nehmen an der fünfjährigen Studie teil, sie werden vom DZNE in München und Tübingen betreut. Sollten sich die Medikamente während der Studie als wirksam erweisen, werden auch die Teilnehmer der Kontrollgruppe statt des Placebos die Arznei bekommen, sagt der Münchner Forscher Haass.

Gemeinsam ist allen drei Ansätzen nicht nur, dass sie derzeit die einzige fundierte Hoffnung darstellen, die gefürchtete Krankheit zumindest eine Zeit lang bekämpfen zu können. Auch wenn die Probanden für die drei Tests nach unterschiedlichen Kriterien ausgesucht werden, seien die Ergebnisse sehr wahrscheinlich miteinander vergleichbar, vermutet Haass. Zudem hoffen die Wissenschaftler, durch die genaue Beobachtung der Probanden einige typische physiologische Veränderungen als Biomarker ausmachen zu können, mit deren Hilfe sich das Fortschreiten der Krankheit in künftigen Studien besser klassifizieren lässt.

Vor allem aber könnte sich an den Resultaten aller drei Studien zeigen, ob das Protein Amyloid-beta tatsächlich ein wichtiger Angriffspunkt für Alzheimer-Medikamente ist. Unumstritten ist das nicht. Einige Forscher zweifeln an dieser Hypothese vor allem wegen der zahlreichen enttäuschenden Ergebnisse, die Anti-Amyloid-Präparate wie Solanezumab in bisherigen Studien erbracht haben.

Dabei geht es in der Amyloid-Debatte nicht nur um akademisches Rechtbehalten - sondern vor allem um die Frage, ob es sich für öffentliche Institute und die Pharmaindustrie lohnt, weiter in diese Richtung zu forschen. "Ich glaube, es wäre ein herber Rückschlag für die Amyloid-Hypothese, wenn diese Studien erfolglos blieben", sagte Ronald Petersen, Direktor des Alzheimerforschungszentrums der Mayo Clinic in Rochester vor einem Jahr im Fachmagazin Lancet.

Dem widerspricht Haass. Für ihn würden auch negative Ergebnisse der drei Präventions-Studien nicht das Aus der Amyloid-Hypothese bedeuten: "Ich bin optimistisch, dass es einen Effekt gibt", sagt er. "Ich bin mir nur nicht sicher, ob die Studien früh genug ansetzen. Vielleicht kommt man auch diesmal wieder zu spät." Müssten klinische Tests also nicht zehn, sondern eher 20 oder 30 Jahre vor dem erwarteten Auftreten erster Symptome beginnen? So sinnvoll dies auch sein könnte, "dazu bräuchte es riesige Studien, und das wäre kaum praktikabel", sagt Haass.

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Quelle:
SZ vom 20.03.2014
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