Debatte um Sterbehilfe:Finale Entscheidungen

Sterbehilfe

Für die einen Erlösung, für die anderen ein gefährlicher Weg: Der ärztlich attestierte Suizid ist umstritten.

(Foto: Illustration: Ilona Burgarth)

Dürfen Ärzte einem todkranken Menschen helfen, sein Leben zu beenden? Für die Befürworter ist das ein Gebot der Menschenwürde. Andere fragen: Ist es würdelos, hilfsbedürftig zu sein?

Von Berit Uhlmann

Jeden Abend kommt die Erlösung. Der Patient erhält ein starkes Beruhigungsmittel, seine epileptischen Anfälle hören auf, und die Angst weicht einem tiefen Schlaf. Ein unheilbarer Hirntumor quält diesen Mann; zwei Monate haben seine Ärzte ihm noch gegeben. Mit dieser Perspektive vor Augen will der Kranke - wenn schon nicht mehr Herr seines Lebens - so doch Herr über seinen Tod sein. Er bittet um Sterbehilfe.

Eine Expertenkommission entwirft den Plan, die hilfreiche Sedierung der Nacht auch auf den Tag auszudehnen. Der unheilbar Kranke würde langsam und friedlich seinem Tod durch Flüssigkeitsverlust entgegendämmern. Am Ende hegen die Verantwortlichen doch Zweifel und fragen sicherheitshalber einen Juristen um Rat. Der Fall landet auf dem Tisch des Münchner Rechtsanwalts Wolfgang Putz.

Der Medizinrechtler kann die Ärzte gerade noch rechtzeitig von ihrem Vorhaben abbringen. "Die aktive Verabreichung einer nicht indizierten Sedierung ist eben nicht die Form von Sterbehilfe, die in Deutschland zulässig ist", sagt Putz. Der Anwalt schilderte den Fall auf dem Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung und der Evangelischen Stadtakademie München - und zeigte damit, wie unsicher selbst Experten beim Thema Sterbehilfe sind. Dass nun Neuregelungen im Bundestag debattiert werden, dass sich neben Unkenntnis auch ideologische Grundsätze in die Debatte mischen, macht die Situation nicht leichter.

Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, hält die ganze Diskussion denn auch für überflüssig. Die jetzigen Gesetze genügen vollkommen, um Missbrauch auszuschließen, sagt sie und warnt davor, die Möglichkeiten für Schwerkranke zu beschneiden: Würde "jede Form der Sterbehilfe kriminalisiert", würden mehr Todkranke vom "Sterbetourismus in die Schweiz Gebrauch machen oder Zuflucht zu gefährlichen und grausamen Suizidmethoden suchen". Für Baezner ist ein vertrauter Arzt am besten geeignet, den Sterbewunsch mit seinem Patienten zu besprechen und ihm gegebenenfalls einen "menschenwürdigen, sanften und raschen Tod zu ermöglichen".

Marcus Schlemmer hat in 25 Jahren als Palliativmediziner viele Gespräche über das Sterben geführt. Immer wieder hat er Sätze gehört wie diesen: "Wenn ich blind werde, töte ich mich." Zugleich hat er immer wieder erfahren, dass nur die wenigsten Menschen diese Ankündigung im Ernstfall auch verwirklichen. Selbst von der Zusage einer Sterbehilfe machen viele Kranke am Ende doch keinen Gebrauch. Das lässt sich unter anderem an Zahlen der Schweizer Sterbehilfe-Organisation Exit ablesen. Im Jahr 2014 haben sich 13 500 Menschen dort registrieren lassen, um im Fall des Falles Sterbehilfe erhalten zu können. Im selben Jahr nahmen aber nur 583 Menschen das Angebot in Anspruch. Es scheint dem Großteil dieser Menschen also eher um eine Absicherung zu gehen. Doch könnte Sicherheit für die allerletzte Lebensphase nicht auch auf anderem Weg erlangt werden?

Wie wirkt sich die Suizidhilfe auf die Gesellschaft aus?

Schlemmer verweist auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin. Eine gute Betreuung durch speziell geschulte Ärzte, Pfleger, Psychologen, Seelsorger, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter und hoch engagierte Ehrenamtliche könne dem Sterben viele der gefürchteten Begleitumstände nehmen. All diese Helfer können quälende Symptome schwerster Krankheit lindern, Sterbende aus ihrer Einsamkeit befreien und auch den Angehörigen Trost bieten.

"Die Palliativmedizin kann nicht alles richten", sagt dagegen Ralf Jox, ebenfalls Palliativmediziner und Medizinethiker. Dabei meint Jox nicht allein das zumindest momentan noch begrenzte Angebot an qualifizierter Sterbebegleitung, sondern Grundsätzliches: Die Motive für den Sterbewunsch "sind in vielen Fällen gerade nicht Schmerzen und körperliche Leiden, sondern in der Persönlichkeit verankerte Vorstellungen von Würdeverlust und Selbstbestimmung". Dafür sprechen Daten aus dem US-Staat Oregon: 90 Prozent der Menschen, die mit ärztlicher Hilfe aus dem Leben schieden, hatten bereits eine palliativmedizinische Behandlung erhalten.

Oregon ist eine der wenigen Regionen der Welt, aus der man umfassende Erkenntnisse über die Auswirkungen des ärztlich assistierten Suizids hat. Im Jahr 1997 trat in dem Bundesstaat das "Gesetz über Sterben in Würde" in Kraft. Es gestattet die Suizidbeihilfe unter strengen Voraussetzungen. So muss der Patient volljährig und urteilsfähig sein, in Oregon wohnen und an einer unheilbaren Krankheit leiden, die nach der Auffassung von zwei Ärzten innerhalb von sechs Monaten zum Tod führt.

Seit Inkrafttreten des Gesetzes, so Jox, ist der oft zitierte Dammbruch ausgeblieben. Etwa 0,2 Prozent aller Verstorbenen erhielten Suizidhilfe - und zwar konstant über die vergangenen 18 Jahre. Der assistierte Suizid wurde überwiegend von Bürgern aus dem gehobenen sozialen Milieu in Anspruch genommen. Das spricht gegen die Befürchtung, dass sich vor allem sozial Benachteiligte zu dem Schritt gedrängt fühlen könnten. Traten Schwerkranke freiwillig aus dem Leben, litten die Hinterbliebenen nicht stärker als bei einem natürlichen Tod, da die Entscheidung in der Regel offen mit ihnen besprochen wurde. Auch das Vertrauen in die Mediziner hat offenbar nicht abgenommen.

Doch Leben, Sterben, Selbstbestimmung und Würde sind gewaltige Worte, die nicht nur in den vier Wänden eines Krankenzimmers eine Rolle spielen. So richtet der Theologe Eberhard Schockenhoff den Blick auch auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der Diskussion. Wird der ärztlich assistierte Suizid mit dem "menschenwürdigen Tod" begründet, entstehe leicht der Eindruck, dass es würdelos sei, am Ende des Lebens auf Hilfe und Pflege angewiesen zu sein. Werden sich unter diesem Eindruck Menschen künftig dafür rechtfertigen müssen, wenn sie Unterstützung beanspruchen? Wenn sie ohne Perspektive und Nutzen noch immer da sind?

Wird Sterben eine Angelegenheit des Zeitmanagements werden, weil das Warten auf den Tod in unserer hektischen Gesellschaft nur noch als Sinnlosigkeit und Zeitvergeudung angesehen wird?

Dies sind Fragen, auf die es keine schnellen Antworten geben kann. Demgegenüber stehen Schwerkranke, die rasche Entscheidungen brauchen, wie der Patient mit dem unheilbaren Hirntumor. Er hat mittlerweile eine Möglichkeit zur legalen Suizidhilfe gefunden. Doch eine Selbstverständlichkeit ist diese Unterstützung momentan nicht.

Die Experten des SZ-Gesundheitsforums

Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, Berlin

Privatdozent Dr. Ralf J. Jox, Stellvertretender Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München

Wolfgang Putz, Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik der LMU München

Privatdozent Dr. Marcus Schlemmer, Chefarzt Krankenhaus Barmherzige Brüder, München

Professor Dr. Eberhard Schockenhoff, Priester und Moraltheologe, Freiburg

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