Süddeutsche Zeitung

Covid-19:Stiko empfiehlt allen Fünf- bis Elfjährigen die Impfung

Gesunde Kinder in dieser Altersgruppe sollen zunächst eine Dosis eines Corona-Vakzins bekommen. Ob die Impfung später aufgefrischt wird, ließ das Gremium offen.

Von Berit Uhlmann

Bisher war die Ständige Impfkommission (Stiko) zurückhaltend, wenn es um die Corona-Impfung der Fünf- bis Elfjährigen ging. Sie riet lediglich Kindern mit Grunderkrankungen oder besonders gefährdeten Angehörigen offiziell zur Spritze. Nun empfiehlt sie allen Kindern dieser Altersgruppe eine Impfung mit dem Biontech-, bei Wunsch auch mit dem Moderna-Vakzin. Ungewöhnlich an der aktuellen Entscheidung ist, dass die Stiko zunächst nur eine Impfdosis für alle gesunden Kinder vorsieht - und offen lässt, ob später noch eine Auffrischung hinzukommen soll.

Von dieser geänderten Strategie erhofft sich das Impfgremium, dass die Kinder eine Basisimmunität aufbauen, die auch vor etwaigen neuen Virusvarianten oder Subtypen schützen soll. Zugleich sollen die seltenen schweren Covid-19-Verläufe verhindert werden und auch indirekte Infektionsfolgen wie Isolations- und Quarantänephasen reduziert werden. Es gehe mit der neuen Empfehlung um eine "Vorsorge für kommende uns noch nicht bekannte Infektionswellen", erläuterte Pädiater und Stiko-Mitglied Martin Terhardt bei einer Veranstaltung des deutschen Science Media Center. Reinhard Berner, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Dresden, der ebenfalls Mitglied der Stiko ist, drückte es so aus: "Wir wagen einen Blick in die Zukunft und wollen Kinder in ihrem dritten Corona-Winter so vorbereiten, dass sie möglichst sicher durch diese Zeit kommen."

Die beiden Stiko-Mitglieder begründeten die Entscheidung für zunächst nur eine Dosis damit, dass ohnehin bereits ein sehr großer Teil der Fünf- bis Elfjährigen eine Infektion durchgemacht haben dürfte - und damit schon einen gewissen Immunschutz habe. Den Meldedaten des Robert-Koch-Instituts zufolge haben sich fast die Hälfte aller Kinder dieser Altersgruppe bereits einmal mit Sars-CoV-2 angesteckt. Hinzu komme eine erhebliche Dunkelziffer, sodass eine Rate an durchgemachten Infektionen von mehr als 80 Prozent mög­lich sei, heißt es in der wissenschaftlichen Begründung des Gremiums.

Mit der Impfung könne der schon bei vielen Kindern bestehende Immunschutz noch einmal verstärkt werden. Man habe beobachtet, dass Kinder, die nach einer Infektion geimpft werden, mit einer sehr starken Antikörper-Antwort reagieren, sagte Tim Niehues, Chefarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Helios-Klinikum Krefeld. Man gehe daher davon aus, dass diese Kombination zu einer besseren Immunität führe als Infektion oder Impfung allein. Der Mediziner schränkte allerdings ein, dass dieses spezielle Modell noch nicht in randomisierten klinischen Studien überprüft wurde. Die Erkenntnisse stammten aus Antikörpermessungen und Beobachtungsstudien in anderen Altersgruppen.

Schwere Nebenwirkungen wurden nur sehr selten gemeldet

Dass die Stiko ihre Zurückhaltung bei der Kinderimpfung aufgab, hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Erkenntnisse zur Sicherheit der Vakzine verbessert haben. Die bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Folge der Impfungen beobachteten Herzmuskelentzündungen seien bei den Jüngeren "verschwindend gering", sagt Terhardt. In Deutschland gebe es keinen bewiesenen Fall. Der Stiko zufolge sind schwere Nebenwirkungen in verschiedenen Ländern - auch Deutschland - bei einem von 100 000 geimpften Kindern gemeldet worden.

An der Einschätzung zur Gefahr schwerer Covid-Erkrankungen in dieser Altersgruppe hat sich nichts geändert; das Risiko für Kinder mit guter Grundgesundheit wird weiterhin als gering angesehen. Weniger als eines von 10 000 gesunden Kindern im Alter von fünf bis elf müsse wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden, heißt es in der Begründung. Berücksichtigt wurde in der Einschätzung jedoch, dass mit Omikron jetzt eine sehr viel ansteckendere Variante dominiert, weshalb mit weiteren Infektionswellen zu rechnen sei.

Über eine mögliche zweite Dosis soll im Spätsommer oder Herbst entschieden werden. Kriterien seien das Infektionsgeschehen, die dann vorherrschenden Varianten, die Dauer der bis dahin erworbenen Immunität und die Wirksamkeit der dann verfügbaren Impfstoffe. Es sei möglich, dass dann bereits ein an neuere Varianten angepasster Impfstoff vorliege, sagte Terhardt. Möglich sei aber auch, dass keine Empfehlung zur zweiten Spritze erfolgt. "Wenn weiter Omikron das Spiel bestimmt, wüsste ich nicht, warum wir im Herbst eine zweite Impfung geben sollten", sagte Berner. In dem Fall sei von einer Auffrischung mit den aktuell verfügbaren Impfstoffen kein großer zusätzlicher Nutzen zu erwarten.

Gegen Omikron-Infektionen betrage der Impfschutz bei den jüngeren Kindern ohne durchgemachte Erkrankung etwa 30 bis 60 Prozent, sagte Terhardt. Gegen schwere Erkrankungen sei der Schutz höher, doch die meisten Kinder in dieser Altersgruppe hätten ohnehin keinen schweren Verläufe zu erwarten.

Für jene Kinder mit Grunderkrankungen, die ein höheres Risiko für schwere Covid-Erkrankungen haben, gelte weiterhin die alte Empfehlung. Sie sollen insgesamt drei Impfdosen bekommen. Kinder, die die Impfung erhalten, um ein gefährdetes Familienmitglied mitzuschützen, sollen wie zuvor zwei Dosen bekommen.

Die Impfung kann ab sofort in Anspruch genommen werden. Hat das Kind bereits eine Infektion durchgemacht, sollten drei Monate bis zur Impfung vergehen. Sollte die Infektion unbemerkt durchgemacht worden sein und der Abstand weniger als drei Monate betragen, gehen die Experten nicht von einer Gefährdung aus. Es könne in dem Fall aber sein, dass der Immunschutz weniger gut ausfalle.

Auch zuvor konnten die Fünf- bis Elfjährigen die Impfung auf freiwilliger Basis bekommen. Bisher haben 22 Prozent das Angebot angenommen. Mit der jetzigen Empfehlung hofft die Stiko, dass sich mehr Familien für den Schutz entscheiden. Ob die Unklarheit über das weitere Vorgehen ab Herbst und die unterschiedlichen Empfehlungen in verschiedenen Altersgruppen die Akzeptanz beeinträchtigen, muss abgewartet werden. Terhardt wies darauf hin, dass die aktuelle Situation auch für die Stiko "eine sehr neue und anstrengende Erfahrung" gewesen sei. Dennoch müsse man in einer Pandemie flexibel bleiben: "Wir müssen von Monat zu Monat entscheiden."

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