Süddeutsche Zeitung

Weltgesundheitsorganisation:Coronavirus bereitet der WHO "große Sorgen"

  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Coronavirus als weltweiten Notfall eingestuft.
  • Dies ist zum einen ein politisches Signal, zum anderen aber auch eine Aufforderung zum weltweit gemeinschaftlichen Kampf gegen den Erreger.
  • In China sind inzwischen über 200 Menschen an den Folgen der Erkrankung gestorben, mehr als 9500 erkrankt.
  • In Deutschland wurde am Donnerstag der fünfte Infektionsfall bestätigt.

Von Andrea Bachstein, Henrike Roßbach, Berlin, und Berit Uhlmann

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die rasante Ausbreitung des neuartigen Coronavirus aus China zum internationalen Gesundheitsnotstand erklärt. Das bedeutet, dass die mehr als 190 Mitgliedsländer von der WHO empfohlene Krisenmaßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung untereinander koordinieren. Noch sei die Zahl der Infektionen außerhalb Chinas relativ gering, sagte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Donnerstagabend nach der Sitzung eines Expertenausschusses. Aber man wisse nicht, welchen Schaden das Virus in einem Land mit schwachem Gesundheitssystem anrichten würde.

"Wir sitzen alle im selben Boot", sagte Tedros. Das Virus könne nur gemeinsam aufgehalten werden. "Das ist die Zeit für Fakten, nicht Angst." Der Notstand heißt offiziell "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite". Die WHO empfiehlt, dass Länder mit weniger entwickelten Gesundheitssystemen unterstützt werden sollen. Zudem soll die Arbeit an Medikamenten und Impfstoffen beschleunigt, Wissen und Daten geteilt werden. Gleichzeitig empfiehlt die WHO aber keine Handels- und Reisebeschränkungen. Die WHO kann kein Land zwingen, Maßnahmen zu ergreifen oder zu unterlassen. Empfehlungen an die Bürger sind auf der WHO-Homepage zu finden.

Nach der Entscheidung der WHO gaben das Auswärtige Amt sowie das US State Department Reisewarnungen für China aus. In den USA gilt seit der Nacht zum Freitag für ganz China die Einstufung "Do not travel", was der höchsten Warnstufe entspricht. Das Auswärtige Amt dagegen warnt zunächst nur vor Reisen in die am stärksten betroffene Provinz Hubei, rät jedoch dazu, nicht notwendige Reise nach ganz China zu verschieben. Auch Japan empfiehlt seinen Bürgern, falls möglich, von China-Besuchen abzusehen.

China will Staatsbürger aus dem Ausland zurückholen

China kündigte an, im Ausland festsitzende Staatsbürger aus der Provinz Hubei zurück in die Heimat zu holen. Es würden Chartermaschinen geschickt, die die Landsleute zurückbringen sollen, teilte das Außenministerium in Peking am Freitag mit. Jene mit Wohnort Wuhan - dem Ausgangspunkt des Ausbruchs - sollen demnach direkt dorthin geflogen werden.

Die WHO-Entscheidung ist auch ein politisches Signal, das die internationale Aufmerksamkeit für die Erkrankung erhöhen und den Kampf gegen die Epidemie verstärken kann. "194 Länder, die einseitige Maßnahmen basierend auf ihren eigenen Risikoabschätzungen ergreifen - das ist ein potenzielles Rezept für ein Desaster in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht", sagte WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan. Es sei essenziell, dass Entscheidungen, die Handel, Reise und die weitere Wirtschaft betreffen, rational getroffen werden.

Erst die sechste "Notlage" überhaupt

Der Alarm kann für jeden Ausbruch ausgerufen werden, wenn er ein ernstes und unerwartetes Gesundheitsproblem darstellt, das Risiko birgt, sich in andere Länder auszudehnen und internationale Reaktionen nötig werden. Die Möglichkeit der Warnung besteht seit 2007. Seither machte die WHO sechs Mal von ihr Gebrauch: bei der Schweinegrippe-Pandemie, dem Wiedererstarken des in vielen Ländern bereits ausgerotteten Poliovirus, angesichts des Zika-Virus in Südamerika, während der Ebola-Epidemie in Westafrika, dem noch andauernden Ebola-Ausbruch im Kongo und nun dem Coronavirus.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte vor Falschinformationen, die im Internet kursierten. Derzeit gibt es in Deutschland fünf bestätigte Coronavirus-Fälle - alle in Bayern. In Potsdam wurde eine Schülerin als Verdachtsfall in eine Klinik gebracht. Die Untersuchungen zeigten aber, dass sie nicht mit dem Virus infiziert ist. Die finnische Gesundheitsbehörde meldet einen ersten Infektionsfall. Es sei eine chinesische Person, die aus Wuhan eingereist sei.

Die Infektionszahlen steigen unterdessen weiter deutlich an. Bei mehr als 9500 Menschen ist die Erkrankung bestätigt. Das sind bereits mehr Infizierte alsbei der Sars-Pandemie 2002/2003. Damals starben weltweit 774 an den Folgen der der virus-Infektionen. Das neuartige Coronavirus ist eine Variante des Sars-Virus.

Fast 10 000 Erkrankte, über 200 Tote. Fünfter Fall in Bayern

In China sind chinesischen Medien zufolge nach Coronavirus-Erkrankungen bereits über 200 Menschen gestorben. Die Todesfälle ereigneten sich fast alle in der Provinz Hubei. Das Virus kann erkältungs- oder grippeartige Symptome auslösen, zudem Kurzatmigkeit und Lungenentzündungen.

In Bayern wurde am Donnerstag der fünfte Coronavirus-Fall bestätigt. Der Patient wohnt den Angaben des Gesundheitsministeriums zufolge im Landkreis Traunstein. Es handelt sich um einen Mitarbeiter der Firma Webasto aus dem Landkreis Starnberg, bei der auch die vier bislang bekannten Fälle beschäftigt sind.

Angesichts der geplanten Rückkehraktion für Deutsche aus Wuhan sagte Gesundheitsminister Spahn, dass dies mit Quarantäne für die Betroffenen einhergehen werde. Nötig sei eine "zentrale Unterbringung während der Inkubationszeit". In diesen "bis zu zwei Wochen" müsse abgewartet werden, ob eine Infektion vorliege. Schon der Flug werde ärztlich begleitet, mitfliegen könne nur, wer symptomfrei sei. Zurück kämen "erst mal Bürgerinnen und Bürger, nicht Patienten", so Spahn.

Russland hat in Reaktion auf den Ausbruch des Coronavirus entschieden, chinesischen Staatsbürgern keine elektronischen Visa mehr auszustellen, teilte das Moskauer Außenministerium mit. Auch mehrere Fluggesellschaften, darunter die Lufthansa, haben vorübergehend ihre Verbindungen nach China ausgesetzt.

Im Hafen der italienischen Stadt Civitavecchia saßen am Donnerstag circa 6000 Passagiere des Kreuzfahrtschiffes Costa Smeralda fest, da bei einem chinesischen Paar an Bord der Verdacht auf Infizierung bestanden hatte. Am Abend gaben die Behörden aber Entwarnung. Niemand auf dem Schiff sei mit dem Virus infiziert.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2020/mxm/bix/thba
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