Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:"Ungewöhnlicher Grad an Unsicherheit"

Seit gut einem Jahr breitet sich das neue Coronavirus aus. Aktuelle Untersuchungen lassen hoffen, dass es weniger gefährlich ist als der Sars-Erreger. Doch noch immer wissen Experten viel zu wenig.

Von Katrin Blawat

Zunächst war der Nahe Osten betroffen, dann folgten Fallberichte aus Europa. Anfangs schienen sich die Patienten nur unabhängig voneinander infiziert zu haben, dann gab es auch Belege für die Ansteckung von Mensch zu Mensch. Seit gut einem Jahr breitet sich das neue Coronavirus aus - langsam, aber stetig.

Die Patienten leiden unter grippeähnlichen Beschwerden und Lungenschäden. Mindestens 77 Menschen haben sich bislang infiziert, 43 sind gestorben. Die Sorge steigt, der Erreger könne eine Pandemie auslösen, vergleichbar der von 2003. Damals infizierte das Sars-Virus etwa 8000 Menschen und tötete jeden zehnten von ihnen. Das Sars-Virus gehört zur gleichen Gruppe wie der neue Erreger.

Nun aber mildern Epidemiologen um Romulus Breban vom Pasteur-Institut in Paris die Pandemie-Sorge etwas (The Lancet, online). Bislang habe das Mers-Coronavirus - so lautet der offizielle Name, der für "Middle East Respiratory Syndrome" steht - kein pandemisches Potenzial.

Auch in der Zukunft ist das den statistischen Hochrechnungen der Forscher zufolge eher nicht zu erwarten, selbst wenn sie vom pessimistischsten aller wahrscheinlichen Szenarien ausgehen. Es schließt ein, dass ein Infizierter mindestens acht weitere Menschen in seiner Umgebung anstecken müsste. Die Anzahl dieser sogenannten Sekundärinfektionen ist ein wichtiger Indikator für die Frage, ob ein Erreger pandemisch wird.

Die höchste bislang bekannte Zahl an Sekundärinfektionen mit dem Mers-Erreger liegt bei sieben, also noch unter der pessimistischen Annahme der Forscher. Sechs dieser Betroffenen litten bereits unter einer schweren Krankheit, und dies fördert die Anfälligkeit für den Erreger. "Das Mers-Virus breitet sich weniger schnell und weitflächig aus, als der Sars-Erreger es getan hat", folgert Breban aus seinen Ergebnissen.

So beruhigend diese Botschaft klingt, so groß ist die Vorsicht, mit der sie interpretiert werden muss. Darauf verweisen auch die Studienautoren selbst und zählen die vielen offenen Fragen rund um das Mers-Virus auf. Wo kommt es her? Von Tieren vermutlich - doch von welchen? Fledermäuse gelten als die wahrscheinlichsten, aber womöglich nicht die einzigen Wirtstiere. In Saudi-Arabien wurden Fledermäuse auf die Viren hin untersucht, Ergebnisse sind aber noch nicht bekannt.

Nicht einmal über die Verbreitung des Erregers lässt sich Verlässliches sagen. Seit Kurzem nämlich gilt es als sicher, dass eine Mers-Infektion auch ohne Symptome verlaufen kann, von Betroffenen also vielleicht nicht einmal bemerkt wird. Womöglich ist das Virus viel weiter verbreitet als gedacht - und seine Todesrate entsprechend niedriger als 56 Prozent, wie es sich aus den bisher bekannten Fällen ergibt.

Hinzu kommt, dass Breban nur mit dem Erreger in seiner derzeitigen Form rechnen kann. Viele Viren sind jedoch sehr geschickt darin, sich so zu verändern, dass ein neuer Wirt - etwa der Mensch - sie leichter weitergeben kann. Hat das Mers-Virus diesen Schritt bereits hinter sich, steht er noch aus, oder wird er nie erfolgen? Statt eine Antwort zu geben, lässt sich nur auf ein kürzlich veröffentlichtes Fazit der Europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC verweisen: "Es ist ungewöhnlich, in diesem Stadium eines Ausbruchs einen solchen Grad an Unsicherheit zu haben."

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Quelle:
SZ vom 05.07.2013
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