Coronavirus:Was Südkorea anders macht

Coronavirus: Masken sind in beiden Ländern verbreitet, selbst auf dem Moped wie hier in Tokio. Zur Eindämmung der Pandemie reicht das aber nicht aus.

Masken sind in beiden Ländern verbreitet, selbst auf dem Moped wie hier in Tokio. Zur Eindämmung der Pandemie reicht das aber nicht aus.

(Foto: AP)

Südkorea hatte in der Corona-Pandemie ähnliche Startbedingungen wie Japan, aber eine andere Strategie. Nun kann Seoul schon wieder aufatmen, der Nachbar noch lange nicht.

Von Thomas Hahn

Es sieht so aus, als hätte Südkorea das neuartige Coronavirus tatsächlich abgeschnürt: Koreas Zentrum für Seuchenkontrolle (KZSK) meldete am Donnerstag wieder nur vier neue Infektionen. In Japan dagegen hat die Regierung den Notstand verlängert. Dabei stehen Japan, 126 Millionen Einwohner, und Südkorea, 51 Millionen Einwohner, beide in regem Austausch mit China.

In beiden Ländern müsste es früh zu Ansteckungen durch infizierte Reisende gekommen sein. Trotzdem erwischte Südkorea die erste Welle viel stärker. Erst einen Monat später stieg Japans Verlaufskurve steil an. Jetzt ringt Japan mit seinen Fallzahlen, während sich Südkorea langsam entspannt. Warum? Kann man etwas über den Umgang mit einer Epidemie lernen, wenn man die beiden Nachbarn vergleicht?

Japans erster Covid-19-Fall wurde am 16. Januar bekannt: ein 30-jähriger Chinese, wohnhaft in Japan. Er war in Wuhan gewesen, hatte dort Fieber bekommen, neun Tage nach seiner Rückkehr wurde sein Test am Nationalen Institut für Infektionskrankheiten (NII) als positiv auf das Coronavirus gewertet. Zwei Wochen später fand man das Coronavirus bei einem Busfahrer aus Nara. Er war der erste Japaner mit Covid-19, der vorher nicht in Wuhan gewesen war. Er hatte zwei Reisegruppen aus Wuhan bei einem Rundtrip chauffiert.

Südkorea meldete seinen ersten Covid-19-Fall am 20. Januar: eine Chinesin aus Wuhan. Der Wärmescanner am Flughafen Incheon zeigte an, dass sie Fieber habe, sie wurde für Test und Behandlung in ein Spezialisolationskrankenhaus gebracht. Mit 44 Menschen habe sie Kontakt gehabt, teilte das KZSK mit, neun davon seien nicht mehr im Land, der Rest stünde unter Beobachtung.

Man spürte früh die Wachsamkeit der Behörden. Am 10. Februar waren in Südkorea 2776 Personen auf das Coronavirus getestet, so viele Tests hatte Japan drei Wochen später noch nicht geschafft. Die Stadtregierung in Seoul lancierte eine große Informationskampagne: Plakate, Bildschirme und Durchsagen in vier Sprachen mahnten an, Hände zu waschen, beim Niesen die Ellenbeuge vor den Mund zu halten, in Zügen Masken zu tragen. Die meisten folgten.

Von Anfang Februar an war Japans Gesundheitsministerium mit der Quarantäne auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess beschäftigt - es gab Kritik. Der Virologie-Professor Kentaro Iwata aus Kobe nannte die Zustände auf dem Schiff "chaotisch", das Virus könne überall an Bord sein; letztlich bekamen 712 von 3711 Passagieren und Crew-Mitgliedern Covid-19. An Land allerdings waren die Infektionszahlen unauffällig. Das Gesundheitsministerium rief alle mit Fieber dazu auf, sich erst zu melden, wenn die Temperatur nach vier Tagen nicht sinke, um Testzentren und Krankenhäuser zu entlasten.

In Japan bekamen nur Personen mit schweren Symptomen Tests - die anderen sollten abwarten

Japans Strategie wurde deutlich: Vor allem Patienten mit schweren Symptomen sollten einen Test bekommen sowie nahe Kontaktpersonen. Das Vorgehen hat sich in Japan bewährt, etwa bei der Tuberkulose-Bekämpfung. Iwata nennt es "sehr effektiv". Allerdings nur, wenn sich Krankheiten eher langsam verbreiten. Und Kenji Shibuya, Professor für Volksgesundheit am King's College in London, gibt zu bedenken: "Wenn man bei der Strategie bleibt, verfehlt man definitiv Fälle mit keinen oder milden Symptomen."

Gleichzeitig schnellten in Südkorea die Fallzahlen in die Höhe. Eine Kirche der Bewegung Shinchonji in Daegu war der Ausgangspunkt der größten Masseninfektion im Land. Es wurde sehr ruhig in Südkoreas Städten. Und es begann ein bis dahin beispielloses Testprogramm. Am 2. März waren schon knapp 110 000 Menschen auf das neuartige Coronavirus getestet. 118 Labore analysierten Proben von Hunderten Teststationen, darunter Drive-in-Kliniken. Der Kern der südkoreanischen Strategie: viele Tests, um möglichst viele Covid-19-Infizierte isolieren zu können.

In Tokio gab es Ende Februar Schließungen und Absagen. Die Pendlerzüge blieben voll. Mediziner kritisierten, dass die Behörden zu wenige Tests genehmigen würden. Das wahre Ausmaß des Ausbruchs sei nicht bekannt.

Deshalb war auch nicht klar, wie jener Anstieg in der Präfektur Hokkaido zu deuten sei, der die erste Coronavirus-Notstandserklärung Japans auslöste. Von 39 auf 72 stieg die Infizierten-Zahl von 26. Februar bis 1. März offiziell. Aber Hiroshi Nishiura von der Hokkaido-Universität, ein Spezialist für Epidemiemodelle, errechnete aus der Zahl der Reisenden, dass es in der Tourismusregion mehr als zehnmal so viele Infizierte geben müsste. "Es gibt wohl viele, die keine oder milde Symptome entwickeln", erklärte Nishiura. Es blieb bei wenigen Tests. Premierminister Shinzo Abe empfahl am 28. Februar, alle staatlichen Schulen zu schließen.

Südkorea verzeichnete den höchsten Zuwachs am 29. Februar: 909 bestätigte Fälle. Danach wurde die Kurve langsam flacher - ohne strengen Lockdown. Die Behörden verfeinerten die Fahndungsmethoden. Die Gesundheitsdetektive des KZSK spüren seither mit Kreditkarten- und Mobilfunkdaten Personen auf, die sich infiziert haben könnten, und verfolgen mögliche Ansteckungswege. Kenji Shibuya sagt: "Die Koreaner sind vor allem deshalb erfolgreich, weil sie sich an die Grundlagen halten: Testen und isolieren, egal in welcher Phase des Ausbruchs."

In Japan warb Abe noch Mitte März für die Olympischen Spiele, die im Sommer in Tokio stattfinden sollten. Es gab ja auch nur wenige Fälle, kaum Tote. Der Notstand in Hokkaido wurde nach drei Wochen aufgehoben. Aber in vielen anderen Ländern schwoll die Krise an. Athleten und Sportverbände forderten die Verlegung der Spiele. Japan stellte fest, dass die Zahl von Infizierten aus dem Ausland steige. Am 24. März wurden die Spiele auf Sommer 2021 verlegt. Am nächsten Tag stiegen die Fallzahlen in Tokio so stark wie noch nie.

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Am 7. April erklärte die Regierung den Notstand für Tokio und sechs weitere Präfekturen. Am 16. April für das ganze Land. Am 23. April hatte Japan erstmals mehr Covid-19-Fälle als Südkorea. Es kam zu Infektionen in Krankenhäusern, weil Schutzkleidung fehlte. Andere nahmen Leute mit Covid-19-Symptomen nicht auf, weil sie für die Krankheit nicht ausgestattet waren. "Es war fast unmöglich, die Übertragung in den großen Städten zu kontrollieren, ohne die Testkapazität so zu erhöhen, wie Südkorea das getan hat", sagt Kenji Shibuya.

Trotzdem beginnt Japans Regierung erst jetzt damit, ihre Strategie zu überdenken. Laut einem Sprecher deutet die relativ niedrige Zahl der Todesfälle darauf hin, dass es nur wenige versteckte Fälle gebe. Shibuya und Iwata ziehen andere Schlüsse. Aber, sagt Iwata: "Japan war nie gut darin, die Strategie zu wechseln, weil schon der Gedanke an Plan B zeigt, dass man das Scheitern von Plan A zugibt." So wurde die Covid-19-Welle wohl verschleppt.

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