Covid-19:Große Tests, große Erwartungen

Coronavirus - Corona-Bluttests in München

Mit Bluttests und Abstrichen wollen Forscher ergründen, wie hoch die Immunität gegen Sars-CoV-2 in der deutschen Bevölkerung bereits sein könnte.

(Foto: dpa)
  • Massentests sollen Aufschluss über die Verbreitung des Coronavirus in Deutschland geben.
  • Die Ergebnisse könnten die Entscheidung über eine Lockerung der Sicherheitsmaßnahmen erleichtern.
  • Doch die extrem unterschiedlichen Verdopplungsraten der Infektionszahlen zeigen schon jetzt, dass eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland problematisch wird.

Von Kathrin Zinkant

Die einen drehen durch, weil die Kinder ihnen im Home-Office auf der Nase herumtanzen. Andere fürchten um ihre Existenz, weil sie nicht mehr arbeiten können. Wie lange noch? So lautet daher die am häufigsten gestellte Frage im Land, und bisher konnten die Experten darauf nur antworten: Wir wissen nicht genug. Doch die Rettung naht. Mehrere Studien sollen die Datenlücken im deutschen Ausbruchsgeschehen schließen, vor allem zu Infektionswegen und zur unbekannten Zahl der unbemerkten Ansteckungen mit dem neuen Virus, heißt es, werden sie Aufschluss geben - sodass die Maßnahmen womöglich gelockert werden können.

Die größte dieser Untersuchungen findet bundesweit statt, das Blut von insgesamt 100 000 Menschen, darunter Blutspendern, wird dafür untersucht. Der Spiegel berichtete groß unter dem Titel "Die Mathematik der Pandemie". Demnach sollen die Ergebnisse des Massentests die Entscheidungen über die Wiederaufnahme von Schulbetrieb und Großveranstaltung erleichtern, schon Ende April sei mit Ergebnissen zu rechnen. Studienleiter Gérard Krause wird mit der Aussicht auf einen Ausweis zitiert, der die Immunität einer untersuchten Person bescheinigen könnte.

An die laufenden Studien aus München und Heinsberg richten sich hohe Erwartungen

Hinzu kommen lokale Studien wie die vom bayerischen Staatsministerium geförderte Untersuchung von 3000 Haushalten in München. Sie wird von der Ludwig-Maximilians-Universität koordiniert, Ministerpräsident Markus Söder stellte sie vor wenigen Tagen vor. Und dann ist da die bereits begonnene Erhebung im inzwischen fast legendären Gangelt. In der Gemeinde im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg hatten zwei Infizierte eine Karnevalssitzung mit 300 Teilnehmern besucht, der kleine Ort gilt seither als Seuchendrehscheibe, allein im Landkreis steckten sich bislang 1500 Menschen an, 46 starben.

1000 Bewohner von Gangelt nehmen jetzt freiwillig an einer Studie der Universität Bonn teil, liefern Abstriche und Blut ab, füllen Fragebögen aus, das Projekt läuft auf Hochtouren. Wieder geht es nicht zuerst um die Frage, wer aktuell infiziert ist, sondern wer es unbemerkt war, wer wann, wie und wo möglicherweise andere angesteckt hat. Es ist das wohl kleinteiligste und ambitionierteste Projekt derzeit, und es wird nicht wenig hineinprojiziert. Die Gangelt-Studie könne "ganz Deutschland helfen", hieß es in der Welt, mit ersten Ergebnissen sei vor Ostern zu rechnen. Landrat Stephan Pusch erhofft sich von der Studie Hinweise darauf, welche Maßnahmen als Erstes gelockert werden können. Was bleibt, ist die Frage, ob diese oder eine andere Studie das wie gewünscht leisten kann - vor allem mit Blick auf den 20. April, der von der Bundesregierung als frühester Zeitpunkt einer Neubetrachtung der Maßnahmen festgelegt wurde.

Die Immunität der Bevölkerung aus Blutspenden abzulesen, ist wohl derzeit nicht möglich

Am Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig, das die bevölkerungsweite Studie an 100 000 Menschen koordiniert, äußert sich Gérard Krause auf Nachfrage der SZ jedenfalls ernüchternd. "Bis Ende April werden wohl nur Ergebnisse der Studien in München und Heinsberg vorliegen", sagt der Epidemiologe. Für das landesweite Projekt seien verschiedene Teilstudien in Planung, die sich ergänzen. Doch der Ansatz, über die Blutspendedienste Spender zu testen, um daraus repräsentativ etwas über die Immunität der Deutschen zu erfahren, sei zum derzeitigen Zeitpunkt nicht umsetzbar.

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"Der Anteil von Menschen mit Antikörpern ist derzeit niedrig, es gibt überhaupt nicht genug Blutspender, um die nötige Anzahl von Menschen zu beproben", erläutert Krause. Das werde wohl erst im kommenden Winter möglich sein. Bis dahin sollen Teilnehmer zufällig aus Einwohnermelderegistern ausgewählt und zunächst angeschrieben werden. Doch auch jene, die dann mitmachen und sich bei einem Test als immun erweisen, werden dann keinen Ausweis bekommen, der ihnen völlige Bewegungsfreiheit ermöglicht. "Diese Untersuchungen haben nichts mit dem Konzept der Immunpässe zu tun", sagt Krause. Ihm geht es, wie er mehrmals unterstreicht, um langfristige Erkenntnisse zur Verbreitung der Immunität. Die Regierung könne mit ihren Entscheidungen nicht auf diese Ergebnisse warten, obwohl sie später dabei helfen könnten, die Maßnahmen anzupassen. "Ich gehe davon aus, dass die wichtigen Entscheidungen zum Umgang mit der Pandemie nicht an einem gewählten Stichtag getroffen werden, sondern fortlaufend über die nächsten ein bis zwei Jahre."

Ergebnisse aus Gangelt sind kaum auf eine Metropole wie München übertragbar

Für alle, die ungeduldig auf den Exit warten, ruht deshalb alle Hoffnung auf den Resultaten aus der Großstadt München und der Gemeinde Gangelt. Doch auch hier sind die Erwartungen womöglich zu groß. So sagte der Leiter der Studie in der bayerischen Landeshauptstadt, Michael Hölscher, auf der Pressekonferenz mit Markus Söder, die Ergebnisse aus dem Kreis Heinsberg seien auf andere Standorte in Deutschland kaum übertragbar. "In Heinsberg oder auch Tirschenreuth kam es aufgrund einer einzigen Veranstaltung zu massiven Coronavirus-Ausbrüchen", erläuterte der Infektionsmediziner. In München dagegen sei das Virus durch viele kleine Ereignisse eingetragen und verbreitet worden - worin sich die Stadt von wieder anderen Teilen des Landes unterscheidet.

Weder die eine noch die andere Studie wird deshalb für ganz Deutschland klären können, welche Maßnahmen bleiben sollten. Das zeigt auch der Blick auf die Verdoppelungsraten der Infektionszahlen, die derzeit als eines der Kriterien gelten, wenn es um den Zeitpunkt eines Exits geht. Sie unterscheiden sich bundesweit erheblich, was einerseits an den Wegen des Viruseintrags liegt, aber auch an der Bevölkerungsdichte, der Zahl der getesteten Einwohner und letztlich der Art und Anzahl der eingeführten Maßnahmen - die es vorerst wohl weiter geben muss.

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