Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Indische Variante dominiert in Großbritannien

Die Coronavirus-Variante B.1.617.2 könnte bis zu fünfzig Prozent ansteckender sein als B.1.1.7. Was bedeutet das für Deutschland?

Von Berit Kruse

Mehr als die Hälfte der Coronavirus-Fälle in Großbritannien lässt sich jetzt auf die indische Variante B.1.617.2 zurückführen. Laut Gesundheitsminister Matt Hancock könnte das sogar auf bis zu drei Viertel der Fälle zutreffen. Zuvor war in Großbritannien wie derzeit in Deutschland die Variante B.1.1.7 dominant. Im Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) heißt es, es gäbe Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit der 617er-Variante. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité bezeichnete im Coronavirus-Update des NDR die Wachstumsgeschwindigkeit von B.1.617.2 als möglicherweise doppelt so hoch wie die von B.1.1.7. Die britischen Entwicklungen bedeuten allerdings nicht zwingend, dass Deutschland Ähnliches bevorsteht.

Die hohen Anteile der indischen Variante am britischen Infektionsgeschehen seien vorsichtig zu interpretieren, so warnt der Epidemiologe Rowland Kao von der Universität Edinburgh. Zumindest teilweise könne der hohe Anteil der Fälle mit den niedrigen Fallzahlen begründet werden. Die Inzidenz in Großbritannien ist zuletzt leicht gestiegen, liegt aber nur auf einem Niveau von etwa 25. "Auch kleine Ausbrüche können daher einen sehr hohen Anteil hervorrufen", erklärt Kao.

Die Variante ist außerdem in Großbritannien ungleich verteilt, was für den Einfluss lokaler Ausbrüche spricht. Besonders stark ist sie in den Regionen um London und Manchester verbreitet. Dies könnte laut Drosten darauf hindeuten, dass das Virus vor allem dort vorkommt, wo viele Menschen aus Indien einreisen. Um die Infektiosität einer Variante nicht zu überschätzen, wird der Einfluss von Reiserückkehrern bei Statistiken zur Ansteckungsgefahr des Virus herausgerechnet. Inwiefern auch bei Folgeinfektionen immer eine differenzierte Bewertung gelingt, ist jedoch unklar.

Dass in Deutschland striktere Maßnahmen nötig werden, ist nicht abzusehen

In vielen früh von der Variante betroffenen Gruppen war die Übertragungsrate laut Kao generell erhöht - zum Beispiel, weil viele Personen in einem Haushalt wohnen oder in Berufen arbeiten, bei denen Abstandsmaßnahmen schwierig einzuhalten sind. Auch in Deutschland betrifft das Coronavirus nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark.

Trotz der hohen Impfquote in Großbritannien seien speziell Berufstätige noch teils ungeimpft oder hätten nur eine Dosis erhalten, sagt Kao. Für die Eindämmung von B.1.617.2 ist ein kompletter Impfschutz aber besonders relevant. Aktuelle Daten zeigen zwar, dass vollständig immunisierte Menschen ähnlich gut vor einer symptomatischen Infektion mit B.1.617.2 geschützt sind wie bei den bisherigen Varianten. Wer allerdings nur eine Impfdosis erhalten hat, ist laut der Behörde Public Health England anders als bei den bisherigen Varianten vermutlich einem höheren Risiko ausgesetzt.

Auch hierzulande steigt der Anteil der 617er-Variante am Infektionsgeschehen, liegt aber laut aktuellem RKI-Situationsbericht noch bei 2,2 Prozent. 90 Prozent des Infektionsgeschehens in Deutschland sind weiterhin auf die Variante B.1.1.7 zurückzuführen. Nun gilt es zu beobachten, ob es in Großbritannien bei lokalen Ausbrüchen der Variante B.1.617.2 bleibt, oder ob sich das Virus in die Breite der Gesellschaft verbreitet. Dass in Deutschland striktere Maßnahmen nötig werden, ist nicht abzusehen: Die Einreise aus Indien und England ist bereits erschwert, und den besten Schutz gegen die Variante B.1.617.2 dürften Zweitimpfungen bieten, die in Deutschland ohnehin in den nächsten Wochen vermehrt stattfinden werden.

Derweil kommen aus Vietnam beunruhigende Nachrichten. Dort wurde nach Regierungsangaben eine Variante entdeckt, die Eigenschaften von B.1.1.7 und B.1.617.2 vereint und besonders leicht übertragbar ist.

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