Corona-Pandemie:Die große Verunsicherung

Corona-Pandemie: Ein Impfstoff noch im Herbst? In Deutschland sehr unwahrscheinlich.

Ein Impfstoff noch im Herbst? In Deutschland sehr unwahrscheinlich.

(Foto: Shutterstock)

Die Corona-Ansteckungszahlen steigen wieder, ein ausgereiftes Vakzin scheint nicht in Sicht und in Bayern werden Testergebnisse verschleppt. Die möglichen Nebenwirkungen von Pannen und Pleiten sind keineswegs banal.

Von Werner Bartens

Es war keine gute Woche in den ohnehin nicht guten Wochen der Pandemie: Weltweit haben sich inzwischen fast 21 Millionen Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert. In Deutschland gibt es mit 1445 Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag den höchsten Stand seit Anfang Mai. Russland lässt einen unzureichend getesteten Impfstoff gegen das Coronavirus zu. Deutschlands selbsternannter oberster Seuchenbekämpfer Markus Söder (CSU) muss zugeben, dass Bayerns Testzentren versagt haben und unter 44 000 Reiserückkehrern, die nicht über ihre Ergebnisse informiert wurden, 900 Infizierte sind - die bereits andere angesteckt haben könnten. Und das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlicht aus Versehen eine "völlig veraltete" Prognose, wonach im Herbst 2020 mit einem Impfstoff zu rechnen sei.

Man könnte sich politisch auf einem Gurkenhof wähnen. Da in Deutschland seit einem halben Jahr kein Thema so dominant ist wie das Coronavirus, erstaunt es, dass in einem Land, das die digitale Offensive ausruft, Testergebnisse von Hand vermerkt werden, verlässliche Zahlen für das hiesige Infektionsgeschehen von der Johns-Hopkins-University stammen - und das RKI in der Impfdiskussion ein überholtes Strategiepapier aufbietet.

Die möglichen Nebenwirkungen von Pannen, Pleiten und Symbolpolitik sind keineswegs banal. Menschen fühlen sich verunsichert, wenn Politiker und Behörden in elementaren Gesundheitsfragen patzen. In diesen Tagen fällt das Machtvakuum zwischen Bund und Ländern besonders auf. Jedes Bundesland hat eigene Regeln, ordnende Stimmen aus Berlin sind allenfalls von Christian Drosten aus der Charité zu vernehmen. Zudem entsteht der Eindruck, sich monatelang diszipliniert zu haben - und jetzt steigen die Infektionszahlen doch wieder. "Es geht um einen massiven Vertrauensverlust und das bestärkt leider Kritiker und Leugner", sagt Dieter Frey, Sozialpsychologe von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Neben dem Imageverlust für Bayern und Söder werden sich die Skeptiker bestätigt sehen, dass man ,denen da oben' nicht vertrauen kann." Andererseits gelte nun mal, dass Fehler passieren, daraus gelernt werden könne und individuelle Vorsicht bestehen bleiben müsse.

Ob sich die Rückschläge beim Kampf gegen das Virus und die voreilige Zulassung des russischen Vakzins auf die Akzeptanz von neuen Impfstoffen oder Therapien in der Bevölkerung auswirken, ist ungewiss. "Ganz ehrlich, wir wissen nicht, ob die Impfskepsis steigt", sagt Cornelia Betsch, Expertin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt. "Auch ein paradoxer Effekt ist möglich. Werden andere Impfstoffe später besser und transparenter getestet, steigert das womöglich sogar die Zustimmung."

Unter Federführung von Betsch wird im Cosmo-Monitoring regelmäßig repräsentativ erfasst, wie sich Risikowahrnehmung und Vertrauen während der Pandemie ändern. Im Juli - neuere Zahlen gibt es nicht - hätten sich demnach 64 Prozent der Befragten gegen Covid-19 impfen lassen, wenn ein Impfstoff verfügbar gewesen wäre. Mitte April waren es noch 79 Prozent. "Seitdem hat die Bereitschaft also deutlich abgenommen", sagt Betsch. Männer, ältere Menschen und Kranke seien eher dazu bereit. Das sei ungewöhnlich, da sich Männer sonst nicht sehr gesundheitsbewusst verhalten, womöglich habe sich herumgesprochen, dass sie schwerer an Covid-19 erkranken.

Vor Kurzem haben niederländische Forscher in einer Studie mit 7600 Teilnehmern aus sieben europäischen Ländern gezeigt, dass die Bereitschaft zur Impfung gegen Sars-CoV-2 in Großbritannien, Dänemark und der von Covid-19 stark betroffenen Lombardei mit 80 Prozent besonders ausgeprägt ist. Deutschland lag in dieser Erhebung mit 70 Prozent an vorletzter Stelle, nur unterboten von Frankreich mit 62 Prozent Zustimmung. Diese beiden Länder sind es auch, die mit zehn Prozent den größten Anteil an potenziellen Impfverweigerern aufweisen.

"Der wichtigste Grund, sich nicht impfen zu lassen, sind Zweifel an der Sicherheit", sagt Betsch. Ob mögliche Nebenwirkungen des russischen Impfstoffes kommuniziert werden, sei ebenfalls unklar - das öffne Spekulationen Tür und Tor. "Es wäre schade, wenn der Impfgedanke durch das Vorpreschen eines Landes beschädigt wird. Es geht schließlich um ein Thema, das Leben retten oder kosten kann", so die Psychologin.

Für Dieter Frey bieten die Versäumnisse die Chance zur Fehleranalyse. Statt Sündenböcke zu suchen, gehe es darum, welche Strukturen und Personen infrage gestellt werden müssen, damit es nicht wieder zu Pannen komme. Zudem werde weltweit daran gearbeitet, die Pandemie zu besiegen. Absolute Kontrolle und Sicherheit sei nicht zu erwarten, wenn alles Neuland ist. "Fehler unterwegs müssen auch nicht die individuelle Bereitschaft mindern, sich an Abstand und Hygiene zu halten", sagt der Sozialpsychologe. "Vielmehr ist die richtige Botschaft, dass der beste Schutz für uns und andere bei uns selbst liegt - dann müssen wir uns weder auf russischen Impfstoff stützen noch auf eine schnelle Diagnose, die ohnehin nur kurze Zeit gültig ist."

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