Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Überraschungsimpfstoff aus Russland

Während westliche Staaten gerade erst große Studien zur Wirksamkeit von Impfstoffen beginnen, sollen in Moskau schon Krankenhausmitarbeiter immunisiert werden. Was taugt der russische Impfstoff?

Von Kathrin Zinkant

Kein Rennen ist vor der Ziellinie entschieden - und manchmal gewinnen jene, die man gar nicht auf dem Zettel hatte. Was das Rennen um einen Corona-Impfstoff betrifft, sieht es derzeit jedenfalls so aus, als kämen die Überraschungssieger aus Russland. Denn während Pharmafirmen aus den USA, Deutschland und Großbritannien mit ihren Kandidaten eben erst abschließende Studien zur Wirksamkeit ihrer Vakzine beginnen, werden Krankenhaus- und Verwaltungsmitarbeiter in Moskau laut Agenturberichten schon zur Immunisierung mit einem Corona-Impfstoff des Gamaleja-Instituts geladen (siehe Hoffen auf den Sputnik-Moment). Aus russischen Regierungskreisen heißt es, der Impfstoff erhalte am kommenden Mittwoch die Zulassung. Mehr als 20 Länder haben angeblich sogar schon Interesse an dem Präparat angemeldet. Was ist das für ein Vakzin, das so unvermittelt zu triumphieren zu scheint?

Tatsächlich weiß man über "Gam-COVID-Vac Lyo", wie der Impfstoff heißt, bislang wenig. Es gibt nur Hinweise. Die Forscher des Moskauer Gamaleja-Instituts haben ihren Kandidaten demnach auf Basis eines recht modernen, aber nicht völlig neuen Konzepts entwickelt: Genetische Informationen des Coronavirus werden in eine Art trojanisches Pferd verpackt und in den Körper geschleust, um dort eine Immunität hervorzurufen. Fachlich nennt man solche Impfstoffe "vektorbasiert". Als Vektor werden dabei ihrerseits Viren genutzt, allerdings solche, die keine Erkrankung im Menschen auslösen. Häufig kommen sogenannte Adenoviren zum Einsatz - so etwa im Covid-Vakzin des chinesischen Hersteller CanSino Biologics, das in China bereits eine beschränkte Zulassung fürs Militär erhalten hat. Und so ist es auch im Fall von Gam-COVID-Vac Lyo, das zwei verschiedene Adenoviren enthält.

Es handelt sich beim russischen Impfstoff nicht um sozusagen virologische rocket science, die Sache ist eher konventionell angelegt. Umso bemerkenswerter ist, dass anders als bei den meisten anderen Corona-Impfstoffen bisher keinerlei Daten aus den ersten Tests des russischen Vorzeigevakzins veröffentlicht wurden. Aus der Studienregistrierung ist lediglich bekannt, dass man den Impfstoff an 38 vollständig gesunden Personen auf Verträglichkeit und eine messbare körperliche Reaktion getestet hat, Agenturberichten zufolge erfolgreich und ohne die geringsten Nebenwirkungen. Eine abschließende Studie zur Wirksamkeit fand jedoch noch nicht statt. Sie soll erst nach der Zulassung des Impfstoffs erfolgen, was ein ungewöhnlicher Weg ist. Üblicherweise müssen vor der Zulassung alle Tests am Menschen abgeschlossen und ausgewertet sein.

Das Vorgehen spricht jedoch nicht zwingend dagegen, dass der Impfstoff funktioniert. "Ich denke nicht, dass dieser Impfstoff besser oder schlechter ist als die anderen Kandidaten", sagt Stephan Becker von der Universität in Marburg. Der Virologe geht davon aus, dass die meisten der jetzt entwickelten Vakzine eine Wirkung entfalten werden, obgleich offen ist, wie stark sie sein wird. "Dass ein Impfstoff vollständig schützt, also eine Infektion verhindert, ist eher die Ausnahme." Es werde schon schwierig sein, einen Kandidaten zu finden, der trotz Infektion einen schweren Verlauf von Covid-19 abwenden kann. Der Behauptung, dass das russische Vakzin keinerlei Nebenwirkung habe, möchte der Experte jedoch keinen Glauben schenken. "Ein Impfstoff völlig ohne Nebenwirkungen ist sehr, sehr selten", sagt der Virologe. In der Regel lösen Impfungen zumindest Reaktionen wie Rötungen an der Injektionsstelle oder leichtes Fieber aus, was oft auch ein Hinweis auf ihre Wirkung ist.

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Abgesehen von diesen leichten Nebeneffekten könnte es gerade bei einem Impfstoff mit menschlichen Adenoviren aber auch andere unerwünschte Wirkungen geben. "Diese Impfstoffe haben in einigen Fällen das Problem, dass eine Immunreaktion gegen das Vektor-Virus vorliegt oder hervorgerufen wird", sagt Becker. Entsprechen schwieriger gestaltet sich dann die Sicherheitsbewertung der Präparate. Unter gewissen Umständen kann es zudem sein, dass der Impfstoff Infektionen mit dem Erreger begünstigt, vor dem er eigentlich schützen soll. Ein Teil der Probleme lässt sich umgehen, indem man andere Vektoren nutzt, die beim Menschen normalerweise nicht vorkommen - zum Beispiel Adenoviren aus Schimpansen. Einen solchen Impfstoff haben Forscher der University of Oxford gegen das neue Coronavirus entwickelt, auch er befindet sich derzeit in der abschließenden klinischen Prüfung. Erste Ergebnisse könnten im Herbst vorliegen. Doch auch bei diesem Impfstoff ist noch nicht sicher, ob er schützt - und wenn ja, wie gut.

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SZ vom 10.08.2020/hmw
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