Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Doppeltes Leiden an der Depression

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Eine Studie zeigt, wie hart die Corona-Maßnahmen Menschen treffen, die an einer Depression erkrankt sind. Experten fordern, die Auswirkungen für Betroffene stärker in den Blick zu nehmen.

Von Christina Kunkel

In der Corona-Krise ist immer wieder die Rede von der richtigen Balance. Welche Maßnahme schützt vor Infektionen, aber richtet gleichzeitig nicht an anderer Stelle noch mehr gesundheitlichen Schaden an? Die Deutsche Depressionshilfe hat mithilfe einer Online-Befragung jetzt ein weiteres Schlaglicht auf diese Frage geworfen. Das Ergebnis: Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, wurden von den Corona-Maßnahmen vor allem im Frühjahr deutlich stärker getroffen als die Allgemeinbevölkerung.

Dabei haben depressiv Erkrankte nicht mehr Angst, sich mit dem Virus anzustecken, wie die repräsentative Umfrage unter rund 5000 Menschen ergab, doch machten die drastischen Einschränkungen ihnen deutlich mehr zu schaffen. "Viele Pfeiler sind weggebrochen", beschrieb es etwa der 58-jährige Georg Kepkowski bei der Vorstellung der Studienergebnisse. Er leidet seit vielen Jahren an Depressionen, ist in ärztlicher Behandlung und erlebte im Frühjahr, dass unerwartet viele Angebote wie Selbsthilfegruppen, aber auch wichtige soziale Kontakte wegfielen. Dadurch sei er erneut in eine schwere depressive Phase gerutscht. In der Online-Befragung der Depressionshilfe gaben 80 Prozent der Erkrankten an, sich weniger zu bewegen, mehr als jeder Zweite sagte, er habe sich vermehrt ins Bett zurückgezogen. Insgesamt leiden demnach Betroffene fast doppelt so häufig unter der fehlenden Tagesstruktur (75 Prozent) wie die Allgemeinbevölkerung (39 Prozent).

Jeder zehnte Klinikaufenthalt konnte nicht stattfinden

Laut Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, ist vor allem entscheidend, wie auch in Zeiten der Pandemie die Versorgung psychisch Kranker gewährleistet werden kann. Dort habe es in den vergangenen Monaten einige Defizite gegeben: "Man kann sagen, dass die Situation sehr bedenklich, man kann fast sagen bedrückend ist." Betroffene hätten sich nicht mehr zum Arzt getraut, jeder Zweite berichtete von ausgefallenen Terminen beim Facharzt oder Psychotherapeuten während des Shutdowns. Jeder zehnte an Depression erkrankte Befragte erlebte sogar, dass ein geplanter Klinikaufenthalt nicht stattfinden konnte. Auch Wochen nach dem Shutdown fühlen sich Betroffene durch die Situation belastet. Im Juli 2020 gaben 68 Prozent der depressiv Erkrankten, aber nur 36 Prozent der Allgemeinbevölkerung an, die Situation als bedrückend zu empfinden.

Hegerl glaubt hingegen nicht, dass es durch die Corona-Maßnahmen auch bei bisher psychisch Gesunden vermehrt zu Depressionen kommen wird. Er erwarte keine "Depressionsepidemie", da neben äußeren Einflüssen vor allem Veranlagung eine Rolle spiele, ob man im Laufe seines Lebens an einer Depression erkrankt. Vielmehr gehe es darum, Betroffenen jetzt während der zweiten Corona-Welle eine stabile Versorgung zu ermöglichen. Wie das gelingen kann, dafür gibt die Online-Umfrage der Depressionshilfe erste Anhaltspunkte. Seit dem Frühjahr dürfen Ärzte und Psychotherapeuten Sprechstunden und Behandlungen auch per Video oder Telefon anbieten. 14 Prozent der befragten Patienten, die aktuell an einer Depression leiden, haben die Möglichkeit genutzt. 85 Prozent beurteilten sie als hilfreich. Zudem gibt es verschiedene Online-Angebote, die insbesondere Menschen mit leichten Depressionen unter Anleitung eines Arztes oder Therapeuten helfen können.

"Was momentan fehlt, aber sehr wichtig ist: eine intensivere Diskussion über die Folgen der Maßnahmen", bewertet der Psychiater Ulrich Hegerl die Ergebnisse der Befragung. Zwar habe auch er kein Patentrezept, wie man die Abwägung zwischen Infektions- und Gesundheitsschutz von psychisch Kranken am besten in Einklang bringt. Dennoch sei es wichtig, Ergebnisse wie die des Depressionsbarometers mehr in den Blick zu nehmen, wenn es um zukünftige Entscheidungen der Politik gehe.

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