Süddeutsche Zeitung

Medikamentenentwicklung:Diese Wirkstoffe bieten Hoffnung gegen das Coronavirus

Lesezeit: 3 Min.

Von Werner Bartens

Die wichtigste Botschaft vorneweg: Es gibt bisher noch keine wirksame, sichere, zugelassene Therapie und auch keine Impfstoffe gegen eine Infektion mit dem neuartigen Erreger Sars-CoV-2. Werden Patienten mit schweren Verläufen in der Klinik behandelt, besteht die medizinische Versorgung vor allem aus symptomatischer Hilfe wie Fiebersenken, ausreichend Flüssigkeit, Schmerzmitteln und Unterstützung der Atmung. Viel mehr können Ärzte derzeit nicht für die Kranken tun, es sei denn, sie probieren eine noch nicht zugelassene oder gar experimentelle Therapie aus.

Weltweit werden derzeit zahlreiche Ansätze diskutiert, wie die Corona-Epidemie medikamentös eingedämmt werden könnte, manche sind wilde Spekulationen, einige klingen jedoch vielversprechend. Allerdings heißt vielversprechend nicht, dass die Arzneimittel demnächst bereitstehen und sich die Welt damit eindecken sollte. Vielmehr fehlen zumeist noch die wichtigsten Schritte, bis ein Medikament auf den Markt kommen kann: Die Testung nicht nur in Zellkulturen, sondern auch im Tierversuch und anschließend - besonders wichtig - die klinische Prüfung an Dutzenden, besser Hunderten Patienten.

Diese aufwendige Prüfung ist nicht etwa eine unnötige Vorschrift engstirniger Behörden, sondern dient vor allem der Sicherheit. Schließlich fallen mehr als 90 Prozent aller neu entwickelten Medikamente in der entscheidenden klinischen Phase durch. Was als brillante pharmakologische Idee begann, im Modell theoretisch überzeugend aussah, in der Zellkultur funktionierte und auch im Tierversuch wirksam war, führt beim Menschen oft zu ungeahnten Nebenwirkungen und Komplikationen und schadet mehr, als dass es nutzt. Zwei derzeit besonders intensiv diskutierte Kandidaten für die Therapie gegen Covid-19 werden hier vorgestellt.

Gerade haben Wissenschaftler vom Primatenzentrum in Göttingen und von der Berliner Charité - darunter der landesweit wohl gefragteste Corona-Experte Christian Drosten - im Fachmagazin Cell beschrieben, wie ein Medikament aus der Gruppe der Protease-Inhibitoren verhindern kann, dass Coronaviren in die Zelle eindringen. Der Nachweis gelang bisher allerdings nicht bei Patienten, sondern nur in Zellkultur. Diese wurde mit Viren infiziert, die von den ersten deutschlandweit Infizierten stammen: dem "Isolate Munich".

Die Ärzte prüfen auch Medikamente, die gegen andere Erkrankungen entwickelt wurden

Die Infektionsforscher haben erkannt, dass ein zelluläres Enzym - die Protease TMPRSS2 - nötig ist, damit das Virus überhaupt in die Lungenzelle gelangen kann, sie zur Wirtszelle umfunktioniert, sich dort weiter vermehrt und anschließend noch mehr Unheil anrichtet. Ein Medikament, das diese Protease hemmt, könnte eine neue Behandlungsmöglichkeit darstellen. "Damit haben wir einen Ansatzpunkt zur Bekämpfung des Virus gefunden", sagt denn auch Infektionsbiologie Stefan Pöhlmann vom Deutschen Primatenzentrum, der an der Studie beteiligt war.

Camostat Mesilate heißt das Mittel, das zumindest im Labor die Virenaufnahme in die Zelle hemmt. In Japan ist es schon länger zugelassen, allerdings nicht etwa zur Therapie von Patienten mit Corona-Infektionen, sondern um eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse zu behandeln. In früheren Studien hatte sich aber bereits gezeigt, dass die Substanz auch effektiv verhindern kann, dass herkömmliche Sars-Coronaviren in Lungenzellen eindringen, also jene Erreger, die vom Ausbruch im Jahre 2002 bekannt und mit den aktuellen Coronaviren nahe verwandt sind.

Die deutschen Forscher sind dennoch zurückhaltend und äußern sich nur im Konjunktiv, was ihre Therapie-Option angeht. Den Namen des potenziellen Viren-Blockers erwähnen sie weder im Titel noch in der Kurzzusammenfassung ihres Artikels. Später im Text schreiben sie aber, dass "die Off-Label-Behandlung für Patienten, die mit Sars-CoV-2 infiziert sind, in Betracht kommen könnte". Damit ist eine Therapie ohne Zulassung gemeint, wie sie in der Kinderheilkunde, Geburtshilfe und Onkologie häufig vorkommt, wenn neue Behandlungsformen zwar aussichtsreich aber noch nicht dafür zertifiziert sind oder wenn sich für bekannte Mittel eine neue Anwendung auftut.

Die Stoffe sollen verhindern, dass Viren sich ungebremst vermehren

Die Infektionsforscher wissen, dass ihre Ergebnisse zwar Anlass zur Hoffnung geben, aber noch längst kein Beweis dafür sind, dass der Protease-Hemmstoff beim Menschen auch wirksam ist und sicher hilft. "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Camostat Mesilate auch vor der Krankheit Covid-19 schützen könnte", sagt Markus Hoffmann, der Erstautor des Cell-Artikels. "Dies sollte aber im Rahmen von klinischen Studien untersucht werden."

Ein weiterer aussichtsreicher Ansatz in der Bekämpfung der Corona-Epidemie sind Mittel, die schon gegen Ebola-Erreger und andere gefährliche Viren versuchsweise gegeben wurden, zum Beispiel das Medikament Remdesivir. Es handelt sich bei der Substanz um ein Nukleosid-Analogon, das heißt, sie ähnelt den Bausteinen der Erbmoleküle RNA und DNA. Diese Stoffe verhindern durch ihren Einbau, dass sich die Viren ungebremst vermehren. Ähnlich wie ein passendes Segment von außen einen Reißverschluss blockieren würde, beenden in die Viren-RNA eingeschleuste Mittel wie Remdesivir die weitere Replikation des Erregers. Diese Wirkungsweise ist vergleichbar mit schon länger bekannten Medikamenten gegen Herpesviren wie beispielsweise Aciclovir.

Der erste bestätigte Fall eines US-Amerikaners, der sich mit Sars-CoV-2 infiziert hatte und etwa eine Woche später eine Lungenentzündung bekam, wurde mit Remdesivir behandelt, wie Ärzte aus dem Bundesstaat Washington im New England Journal of Medicine berichteten. Ob sich die Symptome des 35-Jährigen wenige Tage später deswegen dramatisch besserten, oder dies dem glücklichen Verlauf der Krankheit zu verdanken war, kann bei einem Einzelfall nicht seriös geklärt werden. Auch deswegen wurden in China und den USA kürzlich insgesamt fünf klinische Studien mit Remdesivir begonnen. Ob die Erwartungen erfüllt werden, zeigt sich frühestens in ein paar Monaten.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2020
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