Covid-19:Kawasaki-Syndrom durch Coronavirus?

Covid-19: Kinder werden in der Regel nicht schwer krank, wenn sie sich mit dem neuen Coronavirus infizieren.

Kinder werden in der Regel nicht schwer krank, wenn sie sich mit dem neuen Coronavirus infizieren.

(Foto: AFP)

Covid-19 verursacht womöglich bei Kindern in seltenen Fällen das mysteriöse Kawasaki-Syndrom, eine umfassende Entzündung der Blutgefäße.

Von Christina Berndt

So sehr die Gesellschaft zur Corona-Zeit auch auf die alten Leute aufpassen muss: Wenigstens um die Gesundheit der Kinder mussten sich Menschen bisher nicht besonders sorgen. Wenn sich Minderjährige mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 anstecken, verläuft die Infektion bei ihnen besonders häufig unerkannt und in der Regel milde. So starben in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bisher lediglich drei Menschen unter 20 Jahren, bei denen das Virus festgestellt wurde. Und aus einem Register der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie geht hervor, dass nur 128 Kinder mit einer Corona-Infektion in einer Klinik behandelt wurden, 17 davon auf der Intensivstation.

Diese relative Ruhe stören nun Berichte über coronainfizierte Kinder, die an einem seltsamen Syndrom leiden - und das ausgerechnet jetzt, da Deutschlands Schulen wieder öffnen. Immer häufiger entdecken Kinderärzte aus aller Welt derzeit bei ihren jungen Patienten eine umfassende Entzündung der Blutgefäße, die mit tagelangem Fieber und einem Hautausschlag einhergeht. Oft ist auch die Bindehaut der Augen entzündet, die Zunge geschwollen und die Lippen sind rissig. Dieses Bild gleicht dem schon länger bekannten Kawasaki-Syndrom, das im Extremfall auch noch das Herz angreift.

"Wir nehmen diese Berichte sehr ernst", sagte Reinhard Berner, Direktor der Kinderklinik an der Universität Dresden und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Es sei durchaus plausibel, dass eine Infektion mit Sars-CoV-2 bei Kindern zu einer Art Kawasaki-Syndrom führt. Denn dass das Coronavirus die Gefäße angreift, ist bekannt. Außerdem spielen auch bei dem nach dem japanischen Kinderarzt Tomisaku Kawasaki benannten Krankheitsbild sehr wahrscheinlich Viren eine Rolle: Vermutlich entsteht das Syndrom, weil das Immunsystem auf eine Atemwegsinfektion überreagiert und den eigenen Körper angreift. Dafür spreche zum Beispiel, dass die Krankheit oft in Wellen und regional gehäuft auftrete, so Berner: "Das passt also alles zusammen, es warnt uns."

Der Gouverneur von New York bittet Eltern, auf mögliche Symptome zu achten

Allerdings gebe es im deutschen Register nur fünf Kinder, bei denen bisher eine solche Entgleisung des Immunsystems festgestellt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Sars-CoV-2 zurückgeführt wurde. Bei weiteren Verdachtsfällen sei der Zusammenhang unklar.

Auf das Kawasaki-Syndrom aufmerksam geworden war als Erste die kalifornische Kinderärztin Veena Jones. Sie hatte schon Mitte März in Palo Alto ein sechs Monate altes Mädchen mit Hautausschlag, Fieber, Bindehautentzündung und beschleunigtem Herzschlag behandelt. Als Jones dann zu diesen typischen Zeichen des Kawasaki-Syndroms auch noch eine Sars-CoV-2-Infektion bei dem Kind feststellte, beschloss sie, Kollegen in aller Welt darauf aufmerksam zu machen. Sie publizierte den Fall im Fachblatt Hospital Pediatrics. Vor wenigen Tagen berichteten nun britische Ärzte um Shelley Riphagen von insgesamt acht Kindern, die binnen zehn Tagen mit einer umfassenden Entzündungsreaktion vorstellig wurden, welche zu einem toxischen Schocksyndrom führte. "Alle Kinder waren zuvor fit und wohlauf", schreibt das Team um Riphagen in der Ärztezeitschrift Lancet.

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Zumindest vier von ihnen seien im familiären Umfeld mit Covid-19 in Kontakt gewesen. Seither ist die Aufmerksamkeit für das Kawasaki-Syndrom bei coronainfizierten Kindern groß. Dementsprechend nehmen die Berichte zu. Mittlerweile wurden in Europa mindestens 50 Fälle aus Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und der Schweiz bekannt. In New York sprach Gouverneur Andrew Cuomo am Wochenende sogar von 73 infizierten Kindern, bei denen das Syndrom aufgetreten sei; drei kleine Kinder seien gestorben. "Es ist gut möglich, dass dies schon seit mehreren Wochen passiert und es wurde bislang nicht als Verbindung zu Covid diagnostiziert", sagte Cuomo. Er bat Eltern, verstärkt auf mögliche Symptome zu achten - zum Beispiel auf länger anhaltendes Fieber, schweres Bauchweh, Hautveränderungen, ein schnell schlagendes Herz und Brustschmerzen. Das New Yorker Gesundheitsamt forderte am Montag Ärzte auf, sämtliche Fälle zu melden. Beschwerden im Bauch seien bei diesem Syndrom besonders häufig, weiß auch Reinhard Berner: "Manche Kinder kamen wegen Blinddarmentzündung zum Arzt", erzählt er. Dann erst zeigte sich, dass sich ihr ganzes Immunsystem im Ausnahmezustand befand. Ob die Kawasaki-Symptome aber in jedem Fall auf eine Corona-Infektion zurückgehen, ist noch völlig offen. Das betont neben Berner auch Johannes Hübner, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie und stellvertretender Leiter der Kinderklinik an der Uni München: So fanden sich nicht bei allen Betroffenen im Ausland Hinweise auf eine Sars-CoV-2-Infektion. Und während manche der Infizierten das Virus noch im Körper hatten, hatten andere es schon erfolgreich bekämpft, bevor die Symptome auftraten.

Vielleicht ist der Befund oft auch nur Zufall, das Syndrom tritt immer wieder auf

Das Kawasaki-Syndrom treffe jedes Jahr rund 450 Kinder in Deutschland, sagt Hübner. Je mehr Kinder sich mit dem Coronavirus ansteckten, desto mehr Covid-19-Infektionen würden auch unter den üblicherweise auftretenden Kawasaki-Fällen erkennbar. Jedenfalls sei in Statistiken aus Deutschland und aus Großbritannien, wo es eine eigene Kawasaki-Gesellschaft gebe, nicht erkennbar, dass die Zahl von Kawasaki-Erkrankungen in letzter Zeit zugenommen habe.

Aber selbst wenn Sars-CoV-2 bei Kindern eine Art Kawasaki-Syndrom auslöst, sollte das Eltern nicht zu sehr ängstigen, sagt Hübner: "Das normale Kawasaki-Syndrom ist meist keine so schwere und auch keine lebensbedrohliche Erkrankung." Sie sei in der Regel mit Aspirin und Immunglobulinen gut behandelbar. "Da stirbt normalerweise kein Kind dran."

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