Süddeutsche Zeitung

Sozialwissenschaft:Frauen nehmen Covid ernster

Eine Befragung in acht Ländern offenbart Geschlechtsunterschiede im Umgang mit dem Coronavirus.

Von Berit Uhlmann

Die Beobachtung passt zum Zeitgeist und ist in den sozialen Netzwerken für einige Likes gut: Länder, die bisher vergleichsweise glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen sind, werden von Frauen regiert; man schaue nur auf Deutschland und Neuseeland. Dagegen stehen Staaten, die hohe Fall- und Todeszahlen verzeichnen, unter der Regentschaft von Männern, die eine ausgeprägte, stereotype Maskulinität an den Tag legen. Man denke an US-Präsident Donald Trump oder den brasilianischen Regierungschef Jair Bolsonaro. Mehr als eine Beobachtung ist das Ganze freilich zunächst nicht.

Und doch haben Forscherinnen und Forscher aus mehreren Ländern nun Befunde vorgelegt, die dafür sprechen, dass Frauen anders als Männer auf die Pandemie reagieren. Das Team um den Mailänder Sozialwissenschaftler Vincenzo Galasso hat Ende März mehr als 21 000 Menschen aus acht Industrieländern - darunter Deutschland und Österreich - zu ihren Einstellungen befragt. Es zeigte sich, dass Frauen Covid-19 in allen Ländern häufiger als echtes Gesundheitsproblem ansahen. Insgesamt hielten 59 Prozent der Frauen die Erkrankung für ernst, aber nur 49 Prozent der Männer. Frauen stimmten den Maßnahmen gegen die Pandemie häufiger zu und gaben auch öfter an, ihnen Folge zu leisten. 88 Prozent der Frauen und im Vergleich dazu 83 Prozent der Männer folgten demnach den aktuellen Empfehlungen, wie die Forscher im Fachmagazin PNAS schreiben.

Nun könnte es sein, dass die Antworten der Frauen lediglich ihre größere Verletzlichkeit widerspiegeln. Frauen werden älter, sind in ihren späten Jahren häufiger krank und damit anfälliger für Covid-19. Sie arbeiten womöglich häufiger in Jobs, die von der Pandemie bedroht sind, und haben eher Geldsorgen. Die Wissenschaftler haben daher solche sozioökonomischen Faktoren herausgerechnet, dazu weitere Faktoren wie politische Einstellungen und Vertrauen in Wissenschaft allgemein. Die Unterschiede blieben bestehen.

Das Team hat auch versucht auszuschließen, dass Frauen in der Befragung häufiger sozial erwünschte Antworten gaben, also schlicht nicht zugaben, wenn sie Regeln gebrochen hatten. Kontrollfragen erlaubten den Autoren, den Anteil der Regelbrecher grob einzuschätzen: Es waren mehr Männer als Frauen. Und selbst wenn die Befragten die Wirkung des Virus schon mit angesehen hatten, wenn sie selbst erkrankt oder in ihrer unmittelbaren Umgebung einen Fall erlebt hatten, blieb es bei den Unterschieden. Mit dem Alter wuchs die Lücke in den Einstellungen der Geschlechter noch. Die Forscher fordern daher, Kommunikation geschlechtsspezifisch auszurichten, um mehr Männer zu erreichen.

Ob die Unterschiede mit erklären können, warum Männer weltweit einen schwereren Covid-19-Verlauf erleiden, bleibt offen. Als Ursache für dieses Phänomen werden eine Reihe Faktoren diskutiert, darunter biologische Gegebenheiten wie eine unterschiedliche Funktionsweise des Immunsystems. Aber auch Verhaltensweisen könnten eine Rolle spielen. Männer rauchen beispielsweise häufiger und scheinen sich generell eher ungern mit der eigenen Gesundheit zu beschäftigen.

Auch dafür gibt es ein prominentes Beispiel. Während Donald Trump alles dafür tat, seine Covid-Erkrankung kleinzureden und unter Mühe betonte, wie gut es ihm gehe, schilderte seine Frau Melania das Leiden detaillierter. Eine "Achterbahnfahrt der Symptome" habe sie erlebt, Husten sei dabei gewesen, Schmerzen und Müdigkeit. Dabei war die 50-Jährige allen Anzeichen nach längst nicht so schwer von Sars-CoV-2 getroffen wie ihr 74-jähriger Mann.

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