Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:China verschärft Virus-Eindämmung

  • Mittlerweile ist die Zahl der durch den neuartigen Lungenvirus gestorbenen Menschen in China auf 56 gestiegen.
  • Drei Patienten in Frankreich, die sich mit dem Virus angesteckt haben, sind offenbar nicht schwer erkrankt.
  • Die Krankenhäuser in der chinesischen Millionen-Metropole Wuhan sind nach unbestätigten Berichten völlig überlastet.

Trotz drastischer Gegenmaßnahmen nach dem Ausbruch der neuen Lungenkrankheit in China gibt es immer mehr Todesfälle in der Volksrepublik. Die Zahl der bestätigten Todesopfer stieg inzwischen auf 56, wie die Nationale Gesundheitsbehörde des Landes am Sonntag mitteilte. Die Zahl der Infizierten hat sich auf 1975 erhöht. Weltweit sind bisher 38 Menschen an dem Virus erkrankt. Zuletzt hatten die Behörden in den USA zwei weitere Fälle des Coronavirus' bestätigt, auch aus Kanada wurde am Sonntag ein erster Patient gemeldet.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ein gemeinsames Vorgehen gegen den Erreger angemahnt. "In einer Zeit der Unsicherheit über die Entstehung und das Verhalten eines Virus ist es umso entscheidender, dass Länder, Organisationen und die internationale Gemeinschaft als Einheit handeln", teilte das WHO-Regionalbüro Europa am Samstagabend mit. Dazu zähle auch, Erkrankte aufzuspüren und auf das Virus zu testen. Die WHO sieht den Ausbruch der Lungenkrankheit als Aufforderung dazu, dass jedes Land vorbereitet sein müsse, um Krankheitsausbrüche jeglicher Art rechtzeitig zu erkennen und einen Plan für den Umgang damit zu haben. Eine Vorhersage, wie sich der Ausbruch des Coronavirus entwickele, wollte die WHO zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geben.

Aus Frankreich waren die ersten drei Ansteckungsfälle in Europa gemeldet worden. Alle drei Patienten seien aber offenbar nicht schwer erkrankt. Einem Paar, das im Pariser Krankenhaus Bichat behandelt werde, gehe es gut, erklärten Ärzte am Samstag bei einer Pressekonferenz. Einer von ihnen habe noch etwas Fieber. Auch dem dritten Patienten, der in einer Klinik in Bordeaux behandelt wird, gehe es gut, sagte der Bürgermeister der Stadt.

Großbritannien rät seinen Staatsbürgern von Reisen in die chinesische Provinz Hubei ab. Die USA wollen ihre Bürger und Diplomaten einem Zeitungsbericht zufolge aus Wuhan ausfliegen lassen. Es sei ein Charterflug für 230 Personen am Sonntag organisiert worden, berichtet das Wall Street Journal. Das chinesische Außenministerium habe dem Vorhaben nach tagelangen Verhandlungen zugestimmt. Das US-Konsulat in Wuhan solle vorübergehend geschlossen und die Mitarbeiter nach San Francisco ausgeflogen werden, teilte das Außenministerium in Washington mit. Auch französische Staatsbürger sollen aus Wuhan direkt in ihre Heimat mit einem Flugzeug gebracht werden. Die Rückholung geschehe im Einverständnis mit den chinesischen Behörden, teilte die französische Gesundheitsministerin Agnes Buzyn mit. Der Schritt sei für Mitte der Woche geplant.

Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping berief am Samstag in Peking ein Krisentreffen ein. Alle Ebenen von Partei und Regierung müssten dem Kampf gegen das Coronavirus höchste Priorität einräumen, sagte er laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Die Partei habe eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um das weitere Vorgehen zu koordinieren. Teams würden in die Provinz Hubei entsandt, um die Arbeit vor Ort zu steuern.

Überlastete Krankenhäuser, Neubauten im Eiltempo

Die Provinzhauptstadt von Hubei, die Millionenmetropole Wuhan, ist besonders stark von dem Virus betroffen: Dort war der Erreger vor wenigen Wochen auf Menschen übergesprungen - vermutlich stammt er ursprünglich von einem Tiermarkt. Die Krankenhäuser in Wuhan sind offenbar völlig überlastet. Nach offiziell unbestätigten Berichten werden Patienten zurückgewiesen, weil es nicht genug Personal und Betten gibt.

Wie Staatsmedien am Sonntag berichteten, sollen in der Stadt 24 allgemeine Krankenhäuser nun zusätzliche Betten für Patienten bereitstellen. Wuhan hatte zuvor bereits im Eiltempo mit dem Bau von zwei neuen Krankenhäusern begonnen, die insgesamt eine Kapazität von 2300 Betten haben sollen. Das erste Hospital in Schnellbauweise soll am Montag in einer Woche erste Patienten aufnehmen, das zweite zwei Tage später. Aus anderen Teilen Chinas wurden mehr als 1680 Ärzte und Pfleger nach Wuhan entsandt. Auch wurden 14 000 Schutzanzüge bereitgestellt.

Reisende aus der Stadt Wuhan sollen 14 Tage lang zur medizinischen Beobachtung zuhause bleiben. Nach einer Anordnung der chinesischen Gesundheitskommission in Peking soll sich jeder, der kürzlich in dem von der Lungenkrankheit Wuhan war, bei den Behörden melden, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Sonntag meldete. Auch die franzöische Gesundheitsministerin Agnès Buzyn appellierte angesichts der drei in Frankreich gemeldeten Corona-Fälle an Reisende aus China, bei Lungenproblemen oder Fieber keinesfalls einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen, sondern den Notdienst zu kontaktieren.

Vorsorglich ist der Handel mit Wildtieren eingestellt worden. Da vermutet wird, dass das Virus von wilden Tieren auf den Menschen übertragen wurde, ordneten die Marktbehörden am Sonntag auch an, alle Zuchtfarmen unter Quarantäne zu stellen. Nicht nur der Handel sondern auch der Transport von Wildtieren sei verboten. Alle Plattformen - von Frischmärkten über Supermärkte und Restaurants bis hin zu Online-Geschäften - müssten den Verkauf einstellen. Die Behörden sollten das Verbot streng überwachen.

Aus Angst vor einer weiteren Verbreitung der Lungenkrankheit müssen die Bewohner der südchinesischen Provinz Guangdong an öffentlichen Orten generell eine Gesichtsmaske tragen. Die Pflicht zum Mundschutz gilt unter anderem in Einkaufszentren, Hotels, Restaurants, Vergnügungsstätten, Parks, Friseurgeschäften, religiösen Stätten, Museen, Galerien, Bibliotheken und Wartehallen des öffentlichen Verkehrs, wie die Gesundheitsbehörden der Provinz am Sonntag anordneten. Am Eingang müssten Betreiber prüfen, ob Besucher auch Mundschutz tragen, sonst müsse der Zutritt verwehrt werden. In Guangdong bisher knapp 100 Fälle mit dem neuartigen Virus bestätigt.

Jeder mit dem Virus Infizierte steckt Studien zufolge zwei bis drei weitere Personen an. Um die Krankheit einzudämmen, müssten künftig mindestens 60 Prozent der Neuansteckungen verhindert werden. Möglicherweise haben manche Infizierte aber nicht einmal Fieber, was es schwieriger macht zu erkennen, wer sich mit dem Lungenvirus angesteckt hat. Somit wird auch die Eindämmung erschwert. Bisher wurde eine erhöhte Temperatur als erstes Anzeichen einer Infektion gewertet.

Der öffentliche Nah- und Fernverkehr, Zug- und Flugverbindungen wurden gestoppt, Ausfallstraßen gesperrt. Von Sonntag an wird auch der gewöhnliche Autoverkehr in den großen Stadtbezirken Wuhans gestoppt. Zudem kündigten Universitäten der Stadt an, den Beginn des neuen Semesters zu verschieben. Inzwischen wurden mehr als 40 Millionen Menschen in gut einem Dutzend Städten im Herzen Chinas weitgehend von der Außenwelt abgeschottet, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern.

Auch zahlreiche Sehenswürdigkeiten in China sind geschlossen. Die beiden größten Vergnügungsparks in Hongkong, Disneyland und Ocean Park, schließen wegen des Virus ab Sonntag ihre Pforten. In der bevorstehenden Ferienwoche zum chinesischen Neujahrsfest hatten die Parks eigentlich mit einem Besucheransturm gerechnet. Ab Montag sind jegliche Gruppenreisen ins Ausland untersagt. Das berichtet der staatliche Fernsehsender CCTV unter Berufung auf eine Mitteilung des chinesischen Reiseverbandes. Gruppenreisen innerhalb Chinas fänden bereits seit Freitag nicht mehr statt.

Wie das Staatsfernsehen berichtete, verkündeten am Sonntag weitere Regionen Einschränkungen des Verkehrs. Demnach stellt die ostchinesische Provinz Shandong ihren Busverkehr mit anderen Städten und Provinzen ein. Gleiches gilt für die zentralchinesische Metropole Xi'an. Bereits am Samstag hatte auch die Hauptstadt Peking ähnliche Beschränkungen verhängt.

Deutliche Kritik an den Behörden

Hu Xijin, Chefredakteur der staatlichen Global Times, übte überraschend deutliche Kritik. "Dieser Ausbruch hätte in einem Land wie China nicht passieren dürfen, das über fortschrittliche medizinische Standards und soziale Organisationsfähigkeiten verfügt", schrieb der Chef der sonst regierungstreuen Tageszeitung am Samstag im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo. "Ich persönlich glaube, dass die Stadt Wuhan und die nationalen Gesundheitsbehörden verantwortlich gemacht werden sollten."

Die Kontrollfunktion der Medien sei in den vergangenen Jahren durch Behörden auf allen Ebenen immer weiter geschwächt worden, was Journalisten daran gehindert habe, den Virusausbruch weiterzuverfolgen.

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