Süddeutsche Zeitung

Neues Coronavirus:Peking zeigt sich überraschend transparent

  • Das neuartige Coronavirus ist in China weiter verbreitet als zunächst angenommen: Mehr als 200 Erkrankte, sechs Tote und 14 Mitarbeiter in Krankenhäusern. So lautet die bisherige Bilanz.
  • Der Druck auf Peking war nach Bekanntwerden der tatsächlichen Zahlen schnell so groß, dass sich Staats- und Parteichef Xi persönlich äußerte.
  • Die Behörden sind nervös, weil der Ausbruch zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt kommt: In diesen Tagen reisen Hunderte Millionen Menschen durchs Land, um mit ihren Familien das chinesische Frühlings- oder Neujahrsfest zu feiern.

Von Lea Deuber, Peking

Nachdem es zunächst so wirkte, als sei die Krankheitswelle in der chinesischen Stadt Wuhan unter Kontrolle gebracht worden, haben die neuerlichen Meldungen Anfang dieser Woche regelrechte Panik in dem Milliardenland ausgelöst. Die Bilanz am Dienstag: Mehr als 200 Erkrankte in China, sechs Tote und 14 Mitarbeiter in Krankenhäusern, die sich mit der Lungenkrankheit infiziert haben. Die Zahlen steigen, betroffen ist nun anscheinend auch medizinisches Personal. Wenn sich Ärzte und Krankenpfleger infizieren, dürfte die Krankheit deutlich ansteckender sein als bisher gedacht.

Der Druck auf Peking war nach Bekanntwerden der tatsächlichen Zahlen schnell so groß, dass sich Staats- und Parteichef Xi Jinping noch am Montag persönlich äußerte. Die Sicherheit der Menschen und ihre körperliche Gesundheit habe "absoluten Vorrang", erklärte Xi und versprach eine "energische Eindämmung". Alles werde getan, um die Ausbreitung zu stoppen.

Wollte der Staatspräsident mit seinen Worten beruhigen, hat er bisher eher das Gegenteil erreicht. Für viele scheint sein Statement ein Zeichen dafür, wie ernst es ist. Immerhin äußert sich der Staatschef nur selten zu aktuellen Geschehnissen. Selbst zu den Massenprotesten in Hongkong sagte der mächtigste Mann Chinas erst etwas, als die Stadt in Südchina bereits seit Wochen brannte. Die Worte Corona-Virus, Lungenentzündung und Wuhan gehören inzwischen zu den meistgesuchten Worten im chinesischen Internet. Einen Großteil der Kommentare scheinen die Behörden auch nicht mehr zu löschen. Anscheinend will man den Eindruck vermeiden, die Regierung würde etwas vertuschen wollen. Auch die Staatsmedien berichten bisher ausführlich.

Am Mittwoch entscheidet die Weltgesundheitsorganisation, ob eine Notlage ausgerufen wird

Neben den Fällen in Wuhan gibt es nun auch Erkrankte in der Südprovinz Guangdong, in Peking im Norden und in Shanghai im Osten. Dazu kommen mindestens sechs weitere Verdachtsfälle in anderen Regionen. Die Lage ist zumindest so ernst, dass die Weltgesundheitsorganisation an diesem Mittwoch ihren Notfallausschuss einberuft. Bis zuletzt hieß es, eine Ansteckung von Mensch zu Mensch sei unwahrscheinlich. Nun scheint es, dass sich die Experten geirrt haben. Mindestens bei zwei Fällen in der Provinz Guangdong sei eine Übertragung von Mensch zu Mensch nachgewiesen, erklärten Chinas Behörden diese Woche.

Experten des Imperial College London gehen davon aus, dass die neue Krankheit zudem schon wesentlich weiter verbreitet ist als bisher bekannt. Nach ihrer Hochrechnung könnte es bereits mehr als 1700 Infizierte geben. Die Zahl errechnet sich vor allem aus den inzwischen zahlreichen Fällen an Erkrankungen im Ausland, die statistisch betrachtet auf eine deutlich höhere Zahl in China hindeuten. Alle Betroffenen im Ausland waren zuvor in Wuhan und haben sich sehr wahrscheinlich in China angesteckt. Die Experten der Weltgesundheitsorganisation, die am Mittwoch tagen, sollen nun darüber beraten, ob eine internationale Gesundheitsnotlage ausgerufen werden solle. Auch China schickt Experten zu dem Treffen, wie ein Sprecher am Dienstag in Peking erklärte.

In Chinas Hauptstadt tragen seit dieser Woche viele Menschen auf der Straße und in den U-Bahnen Masken. Besonders an den Bahnhöfen der Millionenstadt versuchten sich die Passagiere am Dienstag zu schützen. Der Preis für Masken ist bei vielen Anbietern teilweise um das Dreifache gestiegen. Selbst bei einem beliebten Lieferdienst, der sonst fast ausschließlich Pizza und gebratene Teigtaschen liefert, waren Schutzmasken am Dienstag der meistgesuchte Begriff.

Die Behörden sind auch deshalb nervös, weil der Ausbruch zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt kommt. In diesen Tagen reisen Hunderte Millionen Menschen durchs Land, um mit ihren Familien das chinesische Frühlingsfest zu feiern. Züge und Flüge sind seit Wochen ausgebucht. Am Westbahnhof in Peking berichtete eine Frau am Dienstag, mehrere ihrer Kollegen aus Wuhan hätten ihre Zugtickets storniert. Sie würden aus Angst nicht nach Hause fahren. Auch im Internet berichteten viele Nutzer davon, dieses Jahr die Feierlichkeiten ausfallen zu lassen.

Bei einer Pressekonferenz in Peking bestätigte ein Sprecher des Außenministeriums, dass die Behörden in Wuhan Maßnahmen ergriffen hätten, um die Ein- und Ausreise aus Wuhan zu kontrollieren. An Bahnhöfen und Flughäfen soll die Temperatur von Reisenden gemessen werden. Personen, die unter Verdacht stehen, erkrankt zu sein, dürfen die Stadt nicht verlassen. An den Zufahrtsstraßen in die Stadt werden Fahrzeuge überprüft. Der Sprecher wollte allerdings nicht von einem "Reiseverbot" sprechen. Auch in anderen Teilen des Landes werden Passagiere aus Wuhan an Flughäfen und Bahnhöfen sowie in Flugzeugen und Zügen kontrolliert.

In der Elf-Millionen-Stadt war die Krankheit Ende Dezember erstmals ausgebrochen. Offenbar breitete sie sich von einem inzwischen geschlossenen und desinfizierten Fischmarkt aus. Dort wurden nicht nur lebende Fische und Krebse verkauft, sondern angeblich auch Wildtiere. Aufnahmen des Marktes zeigen, dass dort anscheinend auch Hunde, Esel, Kamele und verschiedene Schlangenarten verkauft wurden. Das neue Virus stammt aus derselben großen Familie von Corona-Viren, zu der auch Sars gehört, an dem weltweit fast 800 Menschen während eines ebenfalls in China begonnenen Ausbruchs 2003 starben.

Peking richtete indes mahnende Worte an sein eigenes Personal. Kader seien dazu angehalten, verantwortlich und transparent mit der Krise umzugehen. Dies sei die beste Waffe gegen Gerüchte. Neue Fälle dürften deshalb auf keinen Fall vertuscht werden. China sei verpflichtet, aus den Fehlern zu lernen, die 2003 gemacht wurden. Politische Interessen dürften nicht über dem Wohlergehen des Volkes stehen. Ansonsten, so die offizielle Verlautbarung, müssten die Verantwortlichen mit herben Strafen rechnen. Ihnen drohe, "für ewig an die Säule der Schande genagelt zu werden".

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SZ vom 22.01.2020
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