Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Bloß keine Panik!

Dass sich die Meldungen über das neue Virus zu überschlagen scheinen, ist auch ein gutes Zeichen. Es zeugt davon, dass der Ausbruch vergleichsweise schnell und transparent aufgeklärt wird.

Kommentar von Berit Uhlmann

Nun sind die Bilder wieder da: Gesichtsmasken unter verängstigten Augen, Fieberthermometer, die Reisenden vor die Schläfen gehalten werden, Mediziner, die jeden Quadratzentimeter ihres Körpers in Schutzkleidung hüllen. Tag für Tag werden neue Fälle von Lungenentzündungen gemeldet. Sie treten längst nicht mehr nur in der zentralchinesischen Stadt Wuhan auf, in der alles begann. Erkrankungen werden auch aus anderen Regionen des riesigen Landes sowie einiger Nachbarstaaten gemeldet. Etwa 300 Menschen sind infiziert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO lässt prüfen, ob die Geschehnisse als weltweiter Notfall zu betrachten sind. Das wirkt alles recht bedrohlich. Muss man sich also fürchten?

Ein wenig Sorge ist nicht nur verständlich, sondern auch angebracht. Der neuartige Erreger aus der Familie der Corona-Viren sollte ernst genommen werden. Er hat bereits mehrere Menschen getötet und scheint ansteckender zu sein als anfänglich vermutet. Die globalisierte Welt mit ihren unaufhaltsamen Strömen von Menschen und Waren ermöglicht es heute Mikroben, sich in nie dagewesenem Tempo zu verbreiten. Gerade das Sars-Virus - ein enger Verwandter des aktuell grassierenden Erregers - hat der Welt gezeigt, wie schnell ein Ausbruch auf diese Weise außer Kontrolle geraten kann. Der Erreger gelangte 2003 aus der südchinesischen Provinz Guangdong nach Hongkong - und wurde von dort binnen 24 Stunden um den halben Erdball transportiert. Möglich war die ungebremste Ausbreitung auch deshalb, weil die Regierung in Peking lange dazu schwieg, dass sich in ihrem Land eine Epidemie zusammenbraute.

Dieses Mal wird das Virus nicht totgeschwiegen: eine wichtige Lektion aus der Vergangenheit

Sars war ein Weckruf, genau wie der Ebola-Ausbruch in Westafrika, der jedes Maß sprengte, weil sehr lange Zeit niemand wahrnahm, wie das Virus in den drei bettelarmen Staaten um sich griff. Doch hat die Weltgemeinschaft aus diesen Ereignissen viel gelernt. Dass nun alles so schnell geht, dass sich die Meldungen zu überschlagen scheinen, ist daher auch ein gutes Zeichen. Im Vergleich zu früheren Ausbrüchen wird rasch und transparent aufgeklärt. Im Dezember waren die ersten Fälle in Wuhan aufgetreten, noch im gleichen Monat informierten die chinesischen Behörden die WHO. Bereits eine Woche später war der Erreger identifiziert und sein Genom veröffentlicht. Eine weitere Woche danach hatten deutsche Forscher einen Labortest entwickelt, der das Virus schnell identifizieren kann.

Seit Kurzem wird der Test eingesetzt und ermöglicht es, Fälle zuverlässiger zu erkennen, darunter auch leichtere Erkrankungen, die andernfalls womöglich niemandem aufgefallen wären. Damit können Antworten auf drängende Fragen gefunden werden: Wie groß ist das Ausmaß dieses Ausbruchs? Wie schnell und über welche Wege verbreitet sich das Virus? Wer ist am stärksten gefährdet? Wenn dies klar ist, lässt sich auch herausfinden, wie die Menschen am besten geschützt werden können.

Bis dahin schadet etwas Respekt vor der Macht der Mikroben nicht. Auch mit unerwarteten Entwicklungen zu rechnen, ist angebracht und wichtig. Panik aber ist kontraproduktiv. Denn wo sie sich ausbreitet, wo Erkrankte ausgegrenzt werden, Kontakte abgebrochen und Grenzen geschlossen werden, entstehen die Tabus, die dazu führen, dass Krankheitsausbrüche verschleiert werden. Wenn Angst viral wird, haben Erreger ein deutlich leichteres Spiel.

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SZ vom 22.01.2020/cat
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